4. März 2011

Ein Buch über Ernst Irtel im Spiegel der Siebenbürgischen Zeitung

Walter Hutter hat den fast einmaligen, interessanten, glücklichen und, wie sich herausgestellt hat, auch geglückten Versuch unternommen, mit Artikeln, Rezensionen und Mitteilungen, die in der Siebenbürgischen Zeitung (von 1973 bis 2007) erschienen sind, ein lesenswertes, aufschlussreiches, bereicherndes Buch zusammenzustellen und darin das Porträt eines Künstlers vor uns erstehen zu lassen: des Musikers Ernst Irtel, Musiklehrer, Chorleiter, Interpret und Komponist, geboren 1917 im siebenbürgischen Mühlbach, gestorben 2003 im Altenheim auf Schloss Horneck in Gundelsheim am Neckar.
Wenn man es hochtönend, aber durchaus realistisch bezeichnen will, kann man sagen, dass Irtel neben Hermann Bönicke (1821-1879), Hermann Kirchner (1861-1928), Rudolf Lassel (1861-1918), Emil Honigberger (1881-1953), Victor Bickerich (1895-1964) und Franz Xaver Dressler (1898-1981) der musikalische Praeceptor transsilvaniae war. Er hat im Unterricht, in Konzerten, Gesprächskonzerten, Vorträgen und im Umgang mit vielen Menschen nicht nur Kenntnisse vermittelt, nicht nur Musikwerke durchleuchtet und verständlich gemacht, Komponisten vorgestellt, sondern er hat vor allem auch, wie Hannes Schuster sagt, „Schönheit verschenkt“, das heißt, er hat Bildung und Urteilsvermögen vermittelt, Ausdruckswerte, Wesenheiten, inneres Leben, geistige Kategorien und spirituelle Dimensionen der Musik erschlossen und weitergereicht, einen Teil seines eigenen Zugangs zum Kosmos Musik, seines tiefen Musikverständnisses, seiner Erkenntnisse, auch seines noblen Menschentums auf andere übertragen.

Oft wirkte Literatur direkt oder indirekt mit hinein. Irtels leidenschaftliche Hinwendung zur schöngeistigen Literatur und Dichtung machte sich auch in seinem musikschöpferischen Tun bemerkbar. Nicht zufällig sind seine besten Kompositionen Vertonungen aus der Lyrik, allen voran die musikalische Umsetzung von Adolf Meschendörfers Siebenbürgischer Elegie, einer der bedeutendsten kompositorischen Würfe der siebenbürgischen und südosteuropadeutschen Musik.

Ernst Irtel, Federzeichnung von Walter Hutter ...
Ernst Irtel, Federzeichnung von Walter Hutter
Dadurch, dass Irtel nacheinander in mehreren Städten Siebenbürgens tätig war, hat er eine noch breitere Streuung seiner Wirksamkeit erreicht. Eine eher nüchterne, aber treffende Zusammenfassung von Irtels Vermächtnis lesen wir in einem Nachruf ehemaliger Schüler der Pädagogischen Schule Schäßburg: „Er hat uns die großen Werke der Musik verstehen gelehrt und viele seiner Schüler dafür begeistert. Zahllose Besucher seiner Komponistenstunden erlebten ihn als feinfühligen Interpreten und begnadeten Pädagogen.“ Wenn wir im obigen Verständnis statt „Werke“ Werte sagen würden, kämen wir der Essenz seines Wirkens noch näher.

Die Publikation Hutters lässt nicht nur das Bild des so verdienstvollen, unvergessenen und nicht zu vergessenden Irtel als charismatischen Lehrer, praktischen Musiker, Chordirigenten, Komponisten und Musikschriftsteller wieder erstehen (Bilder im wörtlichen Sinn bereichern die Publikation). Sie beleuchtet Irtels Wirken auch in vertiefenden Zusammenhängen, gibt gleichzeitig Aspekte siebenbürgisch-deutscher Musikgeschichte und siebenbürgischen Musiklebens wieder. Gleichzeitig stellt sie der in München erscheinenden Siebenbürgischen Zeitung automatisch ein lobendes Zeugnis aus: Diese Zeitung muss eine gängige Zeitung, Mitteilungsblatt, Vereinszeitung, Informationsschrift, aber auch ein politisches, kulturelles, literarisches, kunst- und musikhistorisches Periodikum sein. Dass sie all das auf hohem Niveau bewältigt, ist unter anderem dem Bemühen zu danken, kompetente, professionelle, namhafte Fachleute und Sachkenner als Autoren, Rezensenten und Berichterstatter heranzuziehen. So lesen wir in Hutters Zusammenstellung Beiträge von Anneliese Barthmes, Hans Bergel, Wilfried Bielz, Johannes Brandsch, Siegbert Bruss, Otto Deppner, Hiltrud Florescu, Ingrid von Friedeburg-Bedeus, Horst Gehann, Erhard Graeff, Wieland Graef, Christoph Haffner, Edda Horedt, Walter Hutter, Johannes Killyen, Werner Knall, Erwin Lessl, Friedrich Menning, A. Mrass, Dieter Schlesak (Gedicht „Er nahm uns mit“), Karin Servatius-Speck, Hildegard Sontag, Ortrud Speck, Arnold Teindel, Karl Teutsch, Wolfgang Wittstock, Ewald Zweyer, sowie diverse Mitteilungen und Annoncen ohne Angabe des Verfassers. Aufgenommen wurden auch Artikel von Irtel selbst, so einige Vorabdrucke seiner Carl-Filtsch-Monographie und Konzertrezensionen. Wäre es aber auch nur die erneute Bewusstmachung der kompetenten, treffenden, schönen und bewegenden Worte von Hannes Schuster, hätte sich diese Publikation schon gelohnt.

Was in dem Buch wenig zur Geltung kommt – es ist aber auch noch nicht speziell darüber geschrieben worden –, ist Irtels Rolle als Sachwalter, Hüter und Anwalt des Volkslieds im Sinne eines ästhetisch-ethischen Zugangs, strenger Qualitätsmerkmale und hoher Wertkriterien. Ihm war es gegeben, seinen Schülern, dem Umfeld seines Wirkens, seiner privaten Umgebung und seinen Freunden Sinn und Verständnis für Wertkategorien auch im Bereich Volkslied zu vermitteln. So gesehen war er der siebenbürgische Walther Hensel, den er selbst sehr schätzte.
Ernst Irtel mit der berühmten Violonistin Anne ...
Ernst Irtel mit der berühmten Violonistin Anne-Sophie Mutter bei einem Konzert in Heilbronn.
Kaum zur Sprache kommen desgleichen die Belästigungen, Drangsalierungen und Leiden, denen Irtel fast ein Leben lang bis zu seiner Ausreise nach Deutschland 1987 durch die Securitate ausgesetzt war. Auch darüber ist noch nicht expressis verbis berichtet worden. Irtel hat ­selten darüber gesprochen, wie die „Sicherheits“organe Rumäniens ihn sichtbar beschatteten, ihm zusetzten, ihn bedrängten und bedrohten. Besonders seine „Komponistenstunden“ und Literaturabende zu Beginn der 1950er Jahre in Schäßburg, danach in Mediasch – thematisch gestaltete Vorträge, oft verbunden mit konzertierendem Musizieren oder Rezitation durch geladene Gäste – wurden beobachtet und beargwöhnt, da sich dazu immer eine zahlreiche Zuhörerschaft versammelte. Wie andere Lehrer oder Pfarrer musste Irtel auch Besuche oder Vorladungen der Securitate erdulden. Er wurde gezwungen, in Anwesenheit der Beamten Berichte und Erklärungen, oft auch als Diktat, zu schreiben, was bei ihm einen psychisch bedingten chronischen Schreibkrampf, eine Art Graphospasmus auslöste, der ihn in der Folge sehr behinderte.

In das Buch sind Bilder eingearbeitet: Fotografien mit Irtel, eine eindrucksvolle Federzeichnung von Walter Hutter, ein Foto der mittlerweile bekannten, im Festsaal des Schlosses Horneck aufgestellten Bronzebüste Irtels von Kurtfritz Handel. Obwohl das Buch, wie im Untertitel vermerkt, die „letzten 20 Jahre“ Irtels behandelt, hätte man sich vielleicht doch auch Bilder seiner Wirkungsstätten in Mühlbach, Hermannstadt, Schäßburg, Mediasch und Gundelsheim gewünscht, zumal auch frühere Zeitabschnitte thematisiert werden. Zu den Illustrationen auf der Innenseite des Inhaltsverzeichnisses gibt es leider keine Angaben (nur eine vage Bildunterschrift), so dass man sie nicht einordnen kann.

Wir entnehmen dem Buch, dass Irtel in seelischen, musischen, wohl auch in manchen wesenhaft menschlichen, ethischen inneren Schichten seiner Schüler, vieler seiner Mitmenschen und natürlich in seinen Kompositionen lebte und weiter lebt. Möge das Buch Hutters dazu beitragen, dass auch künftige Generationen etwas vom Zauber und der Wirkungskraft von Irtels Persönlichkeit mitbekommen. Und vielleicht sammelt Hutter auch Beiträge über Irtel aus anderen Publikationen?

Karl Teutsch

Walter Hutter (Hg.): „Ernst Irtel. Eine Chronologie“, Edition arev 2010, broschiert DIN A4, 140 Seiten, Preis: 16,90 Euro, ISBN-13: 978-3-83918-817-0.

Schlagwörter: Porträt, Musiker, Buch, Rezension, Siebenbürgische Zeitung

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  • 04.03.2011, 15:24 Uhr von JRechert: Diesem ausserordentlich wertvollem Pädagogen Musiker Lehrer und Freund gebührt eine Ehrentafel an ... [weiter]

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