4. April 2011

„De Zegden ändern sech“: Hans Seiwerths Solokonzert in Stuttgart

Am Freitag, dem 25. Februar, bot der bekannte siebenbürgisch-sächsische Liedermacher Hans Günter Seiwerth einen Liederabend im Stuttgarter Haus der Heimat.
Der 1953 in Herrmannstadt geborene Historiker und Germanist trat bereits während der Studienzeit so erfolgreich als Sänger auf, dass ihn die deutsche Abteilung des Rumänischen Fernsehens immer wieder zu Konzerten einlud. Gemeinsam mit Kommilitonen sang er schon 1974 im Quartett „Cantores Cibiniensis“ siebenbürgisch-sächsische Balladen. Als herausragender Laienmusiker, Volksmusikant und Chorleiter hat er sich vielseitig in Hermannstadt in der musikalischen Jugendarbeit engagiert und sich Verdienste erworben um den Chorgesang, die siebenbürgische und allgemeine klassische Chormusik und um Volkslied und Volksgesang. Er war in den 1980er Jahren Leiter des von Kurt Martin Scheiner übernommenen Kammerchors, den er erneuerte und vergrößerte und unter dem Namen „Cantores juvenes“ über Hermannstadt hinaus bekannt machte. Mit diesem Chor spielte er 1987 eine vielbeachtete Schallplatte Stimmen der Völker in Liedern ein.

An diese Tradition knüpfen die einstigen Sänger vom Zibin knapp 30 Jahre später in Deutschland an und touren unter dem Namen „De Lidertrun“ durch die Lande, wie Siegfried Habicher, Leiter der „Stuttgarter Vortragsreihe“, feststellte.

Hans Günter Seiwerth bei einem Konzert der ...
Hans Günter Seiwerth bei einem Konzert der „Lidertrun“ beim Heimattag 2008 in Dinkelsbühl. Foto: Hans-Werner Schuster
Hans Günter Seiwerth begann sein Konzert mit dem Titel „Die Gipfel der Karpaten“ von R. Neumeister/Fr. Binder. Es handelt sich um ein Befreiungslied, das Seiwerth mit seiner Feststellung: „Ohne die Karpaten wären Siebenbürgen und seine Bewohner nicht das, was sie sind und vielleicht noch werden“ einleitete. Vom Siebenbürgen-Lied (Text: Leopold Maxililian Moltke, Musik: Johann Lukas Hedwig) trug Seiwerth alle sieben Strophen und die sechste Strophe, leicht abgewandelt, als europäische Hymne vor. Daran reihte sich folgerichtig „Spätes Heimatlied“ ein. Die kleine Suite gesungener Worte hat der Künstler selbst geschrieben und vertont. Im Zusammenhang mit diesem Lied zitierte Seiwerth Johann Gottfried Herder: „Heimat ist dort, wo man sich nicht zu erklären braucht.“

Somit war dann auch die Brücke geschlagen: Es folgte „Preisend mit viel schönen Reden“, die württembergische Hymne von Justinus Kerner. In diesem Lied preisen der Fürst von Sachsen, der Kurfürst vom Rhein und Ludwig von Bayern ihre Ländereien und materiellen Schätze. Zur selben Melodie folgte ein Lied von Joseph Victor Scheffel, wonach Seiwerth das Volkslied „Papst und Sultan“ zum Besten gab.

Zu seiner Komposition „Orient-Express“ meinte er, in Südosteuropa könne jeder über den Zaun seines Kulturkreises sehen und der Orient-Express habe diese Kulturkreise verbunden. Auch das nächste Lied war eine Eigenkomposition. Hier griff der Vollblutmusiker, im Stile eines Bob Dylan, zur Mundharmonika, zu der er gekonnt die Gitarre zupfte. Der Vergleich ist durchaus angebracht, denn wie Dylan einst gegen den Vietnamkrieg, so begehrte Seiwerth gegen die Securitate auf. Sein Lied trägt den bezeichnenden Titel „Spätsommerliche Schatten“. Denn schon um die Mittagszeit seien die Schatten sehr lang gewesen.

Als virtuoser Gitarrist erwies sich Seiwerth auch in „Spiegelbilder“. Aus Erich Kästners Serie „Gedicht aus dem 13. Monat“ trug er das von ihm vertonte Lied „Der Februar“ vor. Das Lied beginnt mit den Worten „Nord-Ost-Wind“ und erinnert an Reinhard Meys „Wind Nord-Ost, Startbahn Null Drei – Über den Wolken“. Der Vergleich mit Mey drängt sich einem durch Seiwerths Vortragsstil in verschiedenen Tempi, die Zupftechnik und seinen ganzen Charakter auf.

Es folgte „De Zegden ändern sech“, ein Lied in siebenbürgisch-sächsischer Mundart von Ernst Thullner. Bei „Der Owend kit erun“ und „De Astern blähn insem em Guorten“ von Grete Lienert-Zultner sang das Publikum leise und verzaubert mit.

Mit „Steh ich in finstrer Mitternacht“ von Wilhelm Hauff und Friedrich Silcher ging es dann wieder nach Württemberg. Doch die Zuhörer wunderten sich über den Text, denn er erklang zur Melodie von „De Brokt um Olt“. Seiwerth klärte auf: Die Klänge des großen Schwaben Silcher dienten sowohl dem Schwaben Hauff als auch dem Viktor Kästner als Vorlage für ihre Balladen. Und so rief uns unser siebenbürgisch-sächsischer Barde zum Mitsingen auf: „Enst soine mer um Olt, um Olt um geehlen Rien“, worauf die Zuhörer erneut innig und hingerissen mitmachten.

„Et saß e klien wäld Vijeltchen“ trug Seiwerth mit seiner Tochter Nora in wundervoller Harmonie, gesanglich einwandfrei und mitreißend vor. Danach stellte er die Gitarre kurzerhand wie ein Cello auf und trug Bruder Jakob, ein Lied, das übrigens in allen Sprachen gesungen werden kann, auf sächsisch vor: „Siwwe Kraddern schlappen durch den Zong, de hainderscht keind net nokun…“.

Sein instrumentales Können zeigte er mit einem Stück Valentin Greffs, eines der berühmtesten Lautenisten des späten Mittelalters. Als Letztes sang er „Hänschen klein“, eine Volksweise, die auf ein altes Jägerlied des frühen 18. Jahrhunderts zurückgeht. Den Text schrieb Franz Wiedemann im 19. Jahrhundert. Seiwerth begeisterte mit seiner Interpretationskunst, vor allem was Sprache, Dialekt, Stil und musikalische Ausdrucks- und Darbietungsform betrifft: Er sang „Hänschen klein“ auf sächsisch: „As Hons, die geng allien“. Dann kam die rumänische Version, mit zwar deutschem Text, aber rumänischem Rhythmus, die ungarische mit verzerrter Stimme, es folgten zigeunerisch, griechisch, italienisch, französisch, spanisch, wozu andalusische Flamenco-Klänge erklangen. Der Interpret nahm uns, im wahrsten ­Sinne des Wortes, mit auf die Reise nach Russland, Goldgräber-Alaska mit Mundharmonika-Begleitung und in die Südstaaten der USA, als er in der Stimme Louis Armstrongs den kleinen John sang. Die kleine Weltreise endete in Asien. Dabei kamen seine mannigfaltige Interpretationsbegabung, die sich in unzähligen Variationen widerspiegelt, und nicht zuletzt seine gitarristische Virtuosität zum Ausdruck.

Als „Abendlied“ begleitete Seiwerth den Publikumschor zu den 14 Strophen der sächsischen und der schwäbischen Hymne und man beschloss den Abend mit gegenseitigem Applaus. Seiwerth fragte: „Warum hatte man früher so lange Texte? Man hatte mehr Zeit.“ Wobei man wieder beim Thema des Liederabends war. Er schloss: „Wissend, dass die Zeit vergeht, wollen wir uns hoffentlich gesund wieder treffen!“

Hans-Jürgen Albrich

Schlagwörter: Konzert, Stuttgart, Mundart, Lieder

Bewerten:

39 Bewertungen: –

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.