4. August 2011

Zum 100. Geburtstag von Helfried Weiß

Am 8. August dieses Jahres wäre der in Kronstadt geborene Grafiker, Maler und Kunsterzieher Helfried Weiß hundert Jahre alt geworden. Am 5. August wird im Dachauer Wasserturm am Hofgartenweg eine Ausstellung eröffnet (siehe Ankündigung in dieser Zeitung), die das Oeuvre des Künstlers dokumentiert. Eine besondere Gewichtung liegt auf den späten Jahre seines Schaffens, die Helfried Weiß, nach seiner Ausreise 1988 aus Rumänien, zunächst in München und dann bis zu seinem Tode im Dezember 2007 in Röhrmoos bei Dachau verbrachte. Durch sein vielgestaltiges Werk zählt Weiß zu den repräsentativen Figuren der siebenbürgisch-deutschen Kunstszene des letzten Jahrhunderts.
Im April des Jahres 1968, als in Rumänien ein „kleiner Prager Frühling“ anbrach, der den zwei Jahrzehnten proletkultistisch-stalinistischer Bevormundung und Abschottung des dortigen Kulturlebens ein Ende zu machen und die Öffnung der Kunstszene hin zur europäischen Moderne auf Jahre hinaus zu ermöglichen schien, was sich allerdings bald als Illusion erweisen sollte, hat Helfried Weiß sich in einer Diskussionsrunde, die der Schreiber dieser Zeilen mit bildenden Künstlern und Kunstkritikern in der Redaktion der Kronstädter Karpatenrundschau zusammengeführt hatte, darüber geäußert, wie er zu der Konfrontation „mit dem Außen“, mit der „Weltmoderne“ stehe, die nun endlich rezipiert werden durfte: Es gelte, meinte er, ihre Entdeckungen und Erkenntnisse sich „anzueignen“, das heiße letztendlich, sie „sich zu eigen zu machen“, indem dennoch der Kunstschaffende bei all den wuchtigen Eindrücken, die auf ihn einstürmten, immer wieder seine „Eigenheit“ zu finden und zu „bewahren“ habe.

Helfried Weiß (1911-2007) ...
Helfried Weiß (1911-2007)
Die Aussage scheint uns, die wir seither die Arbeit des älteren Freundes bis hinein in die letzten Lebensjahre publizistisch begleiten durften, kennzeichnend für seine Lebenshaltung und seinen Kunstwillen: Bei all der Vielgestaltigkeit seines Werks und bei all der Vielfältigkeit der Techniken, deren er sich, oft auch nur experimentierend, befleißigte, finden sich in jedem Blatt, das er schuf, in jedem Bild, das seine Staffelei verließ, die Zeichen der ihm lebenslang eigenen Suche nach Kommunikation mit dem Bildbetrachter und damit nach sinnstiftender Abbildung von Welt. Ob im Ölgemälde oder im fließenden Aquarell, im herb geschlossenen Holzschnitt oder in der phantasievollen Kollage, ob in Mischtechniken unterschiedlichster Art oder in der skizzenhaft lockeren Bleistift- und Kohlezeichnung – überall lässt sich der eine Grundgestus nachweisen: Mitteilung zu machen und Denkanstöße zu geben. Selbst dort, wo er sich vom Figurativen willentlich entfernte und in Bereiche der malerischen Abstraktion vorstieß, setzte Helfried Weiß unter die jeweiligen Arbeiten zumeist „sprechende“ Titel, mit denen der Bezug zur Realität hergestellt wurde, mit denen sich eigene und Weltbefindlichkeiten verdeutlichen und Aussagen darüber transportieren ließen. Es scheint, dass ihm ein Leben lang jede Unverbindlichkeit, jede abgehobene Esoterik verdächtig war, um so mehr in seiner Kunst, in der er dem hohen Anspruch auf Wahrhaftigkeit und Verantwortung zu genügen suchte.

Das mag auch an seiner Herkunft gelegen haben, an dem Landstrich, dem er entstammte, und der Stadt im südöstlichen Karpatenbogen, in der er aufwuchs und von seinem Zeichenlehrer Heinrich Schunn erste Förderung erfuhr. Im siebenbürgischen Kronstadt, bis tief ins letzte Jahrhundert hinein eine Stadt des produzierenden Gewerbes und einträglichen Handels, gehörten sichere Weltgewandtheit und gesunder Realitätssinn zu den bestimmenden Bürgertugenden, da war wenig Platz für wirklichkeitsfremde Exerzitien windiger Künstlerfiguren. Über sie, die Stadt, in der er ab 1950 fast vier Jahrzehnte lang, von wenigen Reisen abgesehen, schier ununterbrochen gelebt hat, sagte der Künstler in einem Gespräch, das er nur wenige Monate vor seinem Tod führte, in der Erinnerung verursache sie ihm eine Art „Phantomschmerz“, so, wie das bei Gliedmaßen der Fall ist, die abgetrennt worden sind, aber immer noch weh tun. Freilich entwuchs Helfried Weiß dieser seiner Vaterstadt mit ihrem praktischen Bürgersinn, ließ sich an Kunstakademien in Klausenburg und Bukarest, in Paris und München ausbilden und durfte ab 1934 mehrfach in Ausstellungen erfolgreich sein. Allerdings war es ihm nie vergönnt, sich freischaffend ausschließlich seiner Kunst zu widmen: Lebenslang, bis zum Rentenantritt, war er auf den Broterwerb als Kunsterzieher, in den schweren Nachkriegsjahren zeitweilig auch als Hersteller von kunstgewerblicher Handelsware oder Kinderspielzeug angewiesen, um sich und seiner Familie den Unterhalt zu sichern.
Helfried Weiß: Herbstlandschaft mit Lerchen, ...
Helfried Weiß: Herbstlandschaft mit Lerchen, Mischtechnik, 63 x 49 cm, 2002
Seinem künstlerischen Sichmühen um die bildnerische Erkundung und Deutung von Welt und der eigenen Befindlichkeit hat das jedoch keinen Abbruch getan. Bald nach dem Krieg widmete er sich neben der Ölmalerei, der Zeichnung und dem Aquarell zunehmend intensiv dem Holzschnitt. Dazu mag er sich das nötige Rüstzeug bereits an der Münchner Akademie für angewandte Kunst erworben haben, wo bei Josef Henselmann die Holzskulptur Schwerpunkt seiner Ausbildung war. Im frühen Umgang mit dem strengen Material, das kein Abgleiten ins ungenau Beliebige verzeiht, hatte er die nötige Sicherheit gewonnen, um mit Schnittmesser und Stichel erfolgreich gegen die Rigidität des Druckstocks anzukämpfen und ihm lebendig sprechende Realien und Bewegungen zu entreißen. Viele seiner Holzschnitte, auch viele Linolschnitte, gehören heute zu den repräsentativen Zeugnissen siebenbürgischer Kunst im letzten Jahrhundert und sind dadurch, dass sie wiederholt in Ausstellungen zu sehen waren und zudem in vielen Privatsammlungen hängen, zum Gemeingut einer ganzen Generation von Menschen des Landstrichs geworden, aus dem Helfried Weiß hervorgegangen ist.
Vergnügte Alte, Holzschnitt,  46 x 36 cm, 1986 ...
Vergnügte Alte, Holzschnitt, 46 x 36 cm, 1986
Doch nicht allein in meisterhaften Schnitten, in denen der abgewogene Wechsel von Weiß und Schwarz, von Linie und Fläche zu rigoroser Selbstbeschränkung zwingt, hat der Grafiker meisterhafte Proben seines Könnens geliefert. Auch das freiere Aquarell und vor allen andern seine vielen Blätter in Mischtechnik, die vornehmlich in den letzten Lebensjahrzehnten entstanden sind, weisen ihn im Rückblick unzweifelhaft als Künstler aus. Nicht zufällig hat sein Sohn Ortwin Gerald Weiß, ebenfalls Grafiker, die von ihm eingerichtete Jubiläumsausstellung im Dachauer Wasserturm mit „Der Weg zur Farbe“ überschrieben. Sie belegt, mit welch zunehmend unbeschwerter, ja heiterer Souveränität der Vater im fortschreitenden Alter mit Pinsel und Farbpalette umzugehen verstand.

Nach seiner Aussiedlung 1988 nach München, die für ihn sichtlich einen Akt der Befreiung aus bedrückenden Zwängen darstellte, durfte er sich noch knapp zwei Jahrzehnte lang einer geradezu entfesselten Kreativität erfreuen. Am Anfang dieser „hellen Jahre“, wie er sie einmal in einem nachmittäglichen Gespräch nannte, stand allerdings der Tod seiner Gattin, die 1989 an den Spätfolgen ihrer Deportation in die ehemalige Sowjetunion starb. Es folgte eine Zeit stiller Selbstbesinnung, in der kaum Arbeiten entstanden. Doch dann fand der Künstler eine neue Gefährtin, die er wiederholt auf Reisen durch europäische Länder, vor allem nach Italien begleitete. Das gleißende Licht und die prangenden Farben der südlichen Landschaft bezauberten ihn nach eigener Aussage in besonderem Maße und lösten eine wahre Explosion an Schaffenslust aus. In den Jahren bis zu seinem Tod 2007 entstanden auf diese Weise unzählige Aquarelle und Blätter in Mischtechnik, eines wie das andere von kräftiger Farbigkeit und heiterer Gelöstheit. Helfried Weiß hatte seinen „Weg zur Farbe“ endgültig gefunden.
Helfried Weiß: Bucht Norwegen, Mischtechnik, 63 x ...
Helfried Weiß: Bucht Norwegen, Mischtechnik, 63 x 49 cm, 1995
Dennoch: Ein Leben lang war er ein Suchender gewesen. Und wie es Suchenden eigen ist, hat er auch dann, wenn er Erfüllung fand, diese stets nur als Stufe, als Schritt zu bloß vorläufiger Selbstfindung und neuerlicher Suche gesehen. Das, was er seine „Eigenheit“ nannte und die es für ihn zu „bewahren“ galt, hat er nie als statisches Verharren in unverrückbarer Selbstgewissheit verstanden, auch zuletzt nicht. Das allerdings, was von ihm blieb, ist freilich beständig Bleibendes: meisterhaft schöne Bilder und Blätter sowie, in der Erinnerung seiner Bewunderer und Freunde, eine unverfälschte Bescheidenheit, wie sie eben nur wahrhaft Suchende auszeichnet.

Hannes Schuster


Einladung zur Ausstellung

Schlagwörter: Porträt, Geburtstag, Maler, Kronstadt, Helfried Weiß, Hannes Schuster

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Neueste Kommentare

  • 18.08.2011, 17:00 Uhr von von Randlage: Ich bin ihm sehr, sehr dankbar, er hat mir sehr viel gegeben, ich hatte ihn sehr, sehr gerne! ... [weiter]

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