3. November 2011

Sieglinde Bottesch: Ausstellung im Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim

Am 8. Oktober 2011 fand im Siebenbürgischen Museum auf Schloss Horneck in Gundelsheim die Vernissage zur Ausstellung der aus Siebenbürgen stammenden, heute in Ingolstadt lebenden Zeichnerin und Objektkünstlerin Sieglinde Bottesch statt. Nach einer kurzen Begrüßung der rund achtzig Gäste durch die Vorsitzende des Museumsvereins, Dr. Irmgard Sedler, führte der Kurator der Ausstellung, Marius Joachim Tataru, in das Werk der Künstlerin ein. Im Anschluss bedankte sich Sieglinde Bottesch beim Siebenbürgischen Museum für die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit, wobei sie das perfekte Zusammenspiel zwischen der Botschaft ihrer „leise an die Tür“ des Zuschauerverstands „pochenden“ Arbeiten und dem stilvoll zurückhaltenden Ausstellungsambiente betonte. Die Eröffnungsrede von Marius J. Tataru wird im Folgenden ungekürzt wiedergegeben.
Zwei maßgebliche Festlegungen lassen sich im Umgang mit den Arbeiten Sieglinde Botteschs finden. Die erste betrifft das Bilden, das Gestalten der gezeichneten Blätter und der aus Gips und Wachs geformten Objekte. Gleichermaßen weit von ungegenständlicher wie von jedweder Programm-Kunst entfernt, geht es Bottesch nicht darum, Lebenserfahrungen oder bildliche Eindrücke geradewegs in Kunst zu überführen. Nicht das Bildwerden in seiner zwei- oder dreidimensionalen Gestaltungsspielart steht hier im Vordergrund, sondern der kreative Prozess, den die Künstlerin dank ihrer mitreißenden Unmittelbarkeit des Umgangs mit Vorgefundenem und Erfundenem in Gang setzt. Freilich braucht sie die Realität, doch sie wird von innen heraus so umgemodelt, dass sie Raum für ungeahnte Interpretationen, für spannungsvolle Doppeldeutigkeiten lässt, aus denen sich neu formulierte Realitäten herauskristallisieren. Schließlich entscheidend ist die gedankliche Assoziation, das Konzept, das sich mit diesen Werken verbindet.
Teil-Habe, 2009, Gips, Bister und Wachs, Höhe 44 ...
Teil-Habe, 2009, Gips, Bister und Wachs, Höhe 44 cm. Foto: Reinhard Dorn
Die zweite Festlegung betrifft die Relation zwischen den Arbeiten und dem Betrachter. Die bei Bottesch stark ausgebildete intellektuelle Reflexivität verbietet dem Betrachter ihrer Werke die rein kontemplative Herangehensweise. Vielmehr steht es ihm frei, den schöpferischen Impuls aufzunehmen und zu vollenden, indem er sich auf dem schmalen Pfad zwischen dem noch erfahrbaren Gegenstand und der schon selbstständigen ästhetischen Struktur bewegt. Denn nur so verschafft er sich Einsicht in den lautlosen, aber resoluten Sublimierungsprozess, der sich zwischen Spontaneität, Phantasie und Ratio abspielt und diese Kunst in all ihren Äußerungsformen kennzeichnet. Der aus diesem Sublimierungsprozess hervorgehenden Kunst stehen dann zwei Wege zur Verfügung: Sie darf ein Mittel zur Vergegenwärtigung eines Zustands sein, der als Ereignis erlebt werden soll – so die mit fein dosierter Dramatik gezeichneten Bilder noch lebender oder absterbender Pflanzen –, oder sie dient – man denke an die immer wieder organisch anmutenden Objekte – als Wegweiser für die transzendierende Wanderung in eine Formenwelt, deren Rätselhaftigkeit in der eigenen poetischen Sprache lösbar ist. So oder so: Ob es mit „realistischen“, ja gegenstandsbezogenen zeichnerischen Mitteln herausgebildet wird oder mit emblematischen, dreidimensionalen Realien die Vorstellungskraft provoziert – das Dargestellte ist nicht um seiner selbst willen da, sondern steht immer in einem vereinigenden Zusammenhang zur Unteilbarkeit des Natürlichen. Sieglinde Bottesch ist fasziniert von der unermesslichen Vielfältigkeit des Naturmodells mit all seinen Facetten und Formen, von dem nie endenden Prozess von Werden und Gedeihen, Umwandeln und Verenden, Sterben und Verwesen. Diesem allgemeinen Fließen wohnen Kräfte inne, die es als Künstlerin zu hinterfragen gilt, allerdings nicht etwa romantisch-ehrfürchtig hinaufschauend, sondern auf Augenhöhe.

In puristischen, kammermusikalisch leise instrumentierten, feingliedrigen Zeichnungen werden einfache Pflanzenteile in ihrem meist langsamen Verderben, still verendete Insekten oder leere Vogelnester derart verinnerlicht dargestellt, dass sie sich dem Betrachter fast porträthaft-personalisiert zeigen. Durch die sensitive Handschrift, durch die von gepflegter Eleganz und kultivierter Zurückhaltung geprägte Farbigkeit entsteht am Ende ein Ganzes, in dem auch der letzte Strich und die scheinbar beiläufige Abwandlung einer Farbe noch ihren Bildsinn haben. Allerdings, in dieser nahtlosen Einheit aus Technik und Bilderfindung suchen wir vergebens nach pingeligem Detail-Realismus. Diese Ausdrucksform, die derart das Nüchtern-Unterrichtende zu überwinden sucht, stellt sich keine methodischen, illustrativen Aufgaben. Es geht hier nämlich darum, das Leben und die Gegenwart im Vergangenen und Werdenden als Erscheinung festzuhalten. Um das zu erreichen, werden gängige, affektgetragene Vorurteile gegenüber Themen und Einstellungen abgetragen – folglich wird jene Instanz abgeschafft, die meint, zwischen „schönen“ und „widerlichen“ Seiten des Lebendigen zugunsten der „Kunstwürdigkeit“ zensieren zu dürfen.

An dieser Stelle knüpft Sieglinde Bottesch an die Objekte an, durch die sie das Spektrum ihres kunstforschenden Interesses in den letzten Jahren erweitert hat. Es sind Lockmittel für das Auge, die sich durch verhalten-eindringliche Materialkontraste und poetische Imaginationskraft, durch Spannung und Stille dem Betrachter nachhaltig einprägen. Meistens befinden wir uns im gleichen programmatischen Kontext wie in den Zeichnungen, nicht nur, wenn es um Aufkeimen und Heranbilden, um das Lebendigsein auch in den einfachsten Formen unscheinbarer Kreaturen wie Insektenpuppen oder Maden geht, sondern auch in einem erweiterten Sinne – so beispielsweise in der Anspielung auf die griechische Göttin Artemis von Ephesos, deren mit Brüsten bedeckter Oberkörper die Ernährerin aller Lebewesen versinnbildlichte. Mit fein dosierter Ironie ist immer etwas Anekdotisches im Spiel: Eher melancholisch als rebellisch wird auch hier, wie in den Zeichnungen, eine assoziative Kurzgeschichte erzählt. Vorausgesetzt wird seitens des Betrachters eine totale Mobilität in der Wahrnehmung, die ihn auf die beeindruckende, nachdenklich stimmende Mehrsinnigkeit vorbereitet, auf die schließlich alles in dieser Kunst hinausläuft.

Schlagwörter: Ausstellung, Kunst, Gundelsheim, Bottesch

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