3. Dezember 2011

Lorenz Gross’ Tagebuchaufzeichnungen: „Tartlau gerettet“

„Tartlau gerettet“ – schon der Titel des in diesem Herbst erschienenen Buches weist auf eine große Tat eines bedeutenden Mannes hin, der die Burzenländer Großgemeinde Tartlau in den Revolutionsstürmen des 19. Jahrhunderts (1848/49) vor raubenden und brandschatzenden ungarischen Truppen zu retten wusste – im Gegensatz zu Honigberg und Petersburg, die ausgeraubt und niedergebrannt wurden. Lorenz Gross wurde dafür mit dem „Silbernen Verdienstkreuz“ Seiner Kaiserlichen und Königlichen Majestät ausgezeichnet. Das ist ein bislang kaum bekanntes historisches Ereignis. Der Schulmann und Obernotär hat vielen Menschen geholfen und sich große Verdienste um die Marktgemeinde Tartlau erworben.
Werner Schunn, ein Nachfahre von Lorenz Gross (1813-1900), hat die Tagebuchaufzeichnungen aus dessen Manuskript „Tartlauer Chronik“ von 1886 herausgegeben und stellt sie nun erstmals einer breiten Öffentlichkeit vor. Das Werk richtet sich an alle an der Geschichte und Schulgeschichte Siebenbürgens Interessierten. Das Tagebuch von Lorenz Gross ist ein außergewöhnlicher Fund aus den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts, ein wunderbarer Spiegel der Zeit vor mehr als 150 Jahren.

Das 148-seitige Buch, mit einem in den Farben Blau und Rot gestalteten Umschlag, gliedert sich in ein aufschlussreiches Vorwort, geschrieben von Hansgeorg v. Killyen, eine kurze Einführung in die Anfänge Tartlaus sowie eine dreiseitige Kurzbiografie über Lorenz Gross (geschrieben 1916 von Franz Sindel). Die Tage- ­buchaufzeichnungen selbst bestehen aus zwei Teilen: „Aus meinem Leben als Schulmann und Obernotär“ sowie „Erinnerungen an den Revolutionskrieg 1848“.
Lorenz Gross mit seiner zweiten Ehefrau ...
Lorenz Gross mit seiner zweiten Ehefrau Katharina, geborene Türk, um 1880.
Auf den beiden vorletzten Seiten werden Gross’ Familie und Nachkommen bis zur heutigen fünften Generation vorgestellt, die ebenfalls den Lehrerberuf gewählt haben und sich z.T. auch in die Gemeinschaft einbringen. Versehen ist das Buch mit neun Tuschzeichnungen, die von Hans Copony (1891-1962) sowie Hans Kurt Copony (1919-2000) stammen und die von ihrer Aussagekraft optimal in die Zeit der Entstehung des Tagebuches hineinpassen.

Der erste Teil des Tagebuches, „Aus meinem Leben als Schulmann und Obernotär“, erscheint wie eine Karriere aus dem Bilderbuch. Als fünftes Kind armer Landbauern wurde Lorenz Gross 1813 in Schirkanyen geboren. In der Dorfschule gehörte er zu den begabtesten und fleißigsten Schülern. Dies ermöglichte ihm den Weitergang ins Kronstädter Gymnasium und die Ausbildung zum Lehrer. Dem jungen Mann standen alle Türen offen, da er nicht nur hervorragende Leistungen erbrachte, sondern auch aufgrund seiner Klugheit und Persönlichkeit auffiel. So warb die wohlhabende Gemeinde Tartlau, durch den Pfarrer, den fähigen Lehrer aus der Nachbargemeinde Petersberg ab. Schon bald zählte er zu den Spitzenverdienern der damaligen Zeit. Lorenz Gross übertraf alle Erwartungen der Tartlauer und erwies sich in allen Lebenslagen als souveräner und diplomatischer Mann. Schon 1836 wurde er zum Vizenotär (stellvertretender Bürgermeister) von Tartlau gewählt, einige Jahre später wurde er Obernotär. Die Aufzeichnungen sind weit mehr als ein Selbstporträt, sie legen Zeugnis ab von Gesellschaft, Politik und Kultur jener Zeit.

Teil zwei des Werkes, „Erinnerungen an den Revolutionskrieg 1848“, erzählt über die Rettung Tartlaus vor den raubenden und brandschatzenden ungarischen Truppen durch seinen mutigen und klugen Einsatz sowie die Reaktionen darauf. Hier kommt sein ganzes menschliches Potential zum Tragen.

Über diese Zeit berichtet Lorenz Gross äußerst lebendig, fesselnd und mit viel Humor. Er nimmt uns mit auf eine Zeitreise ins Burzenland des 19. Jahrhunderts, eingebettet ins Habsburger Reich, lässt uns teilhaben am Leben in Petersberg und Tartlau, berichtet über kleine Abenteuer und große Hochzeiten, über den Status der Lehrer in jener Zeit und über Lehrerschlägereien, über Erlebnisse in Honigberg sowie über die Zeit seines Amtes als Vizenotär in Tartlau. Es ist das Porträt einer ganzen Gesellschaft. Dabei werden die sozialen und politischen Verhältnisse um die Jahre 1835-1848, mit wachem Blick, besonders authentisch und detailliert geschildert. Die spannende, informative Lektüre ist gespickt mit zahlreichen Anekdoten. Der Leser erfasst dabei nicht nur die Rolle, die Gross in der Geschichte Tartlaus einnahm, sondern auch seinen vielschichtigen, brillanten Charakter.

Das Tagebuch ist historisch besonders wertvoll und absolut empfehlenswert. Es ist das perfekte (Weihnachts-)Geschenk und ist wohl eines der besten siebenbürgischen Bücher des Jahres 2011.

Heidrun Trein


Lorenz Gross: „Tartlau gerettet“, Böblingen, 2011, 148 Seiten, neun Tuschzeichnungen, ISBN 978-3-929848-90-8, zu bestellen zum Preis von 12,90 Euro, zuzüglich Versandkosten, bei Werner Schunn, Telefon: (0 70 31) 27 18 14.

Schlagwörter: Rezension, Geschichte, Schulgeschichte, Tagebuch

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