13. November 2012

Drei Wochen „Muzica Suprimata“

Drei Wochen lang, vom 11. bis 30. September, zog MUSIK im KonTEXT mit „Muzica suprimata“ durch die siebenbürgischen Lande, machte drei Mal das Ringel von Hermannstadt über Kronstadt, Schäßburg, Mediasch zurück nach Hermannstadt. Drei Programme, die verschiedener nicht sein konnten, wurden auf diese Weise vier Mal aufgeführt.
Ein viertes Programm, das Klavierrezital „Die hohe Kunst der Fuge“, das den Bogen von Samuel Scheidt über J. S. Bach zu Norbert von Hannenheim spannte, gab es nur für Hermannstadt und Kronstadt, die bereits im Vorjahr Bekanntschaft mit Hannenheim gemacht hatten, dem „heimgeholten“ Hermannstädter. Moritz Ernst trug das in großer Klarheit und Einfühlung in die Verästelungen von Hannenheims Musiksprache vor.

Als erstes die Lyrik+Musik-Collage. In gewisser Weise ein Wagnis, denn sie war auf Ohren angewiesen, die mit der deutschen Sprache vertraut sind, damit das Dargebrachte auch ins Herz gehen kann. Es gelang weitgehend, ist doch Oskar Ansull die Gabe eigen, Gedichte lebendig werden zu lassen. Diejenigen, die dann doch Verständnislücken hatten, konnten sich von dem Klavierspiel von Moritz Ernst ihr Teil abnehmen. Musik ist nun mal die Sprache, die jeder verstehen kann, der möchte. Jeder? Die Musik, die Absicht und „Mission“ der Konzerttournee schon im vorigen und in diesem Jahr war, gehört in den Bereich der suprimierten, also der unterdrückten und folglich „unerhörten“ Musik. Mit ihr ist nicht auf Anhieb und nebenbei gut Freund zu werden. Sie ist anspruchsvoll, fordert ungeteilte Aufmerksamkeit, denn der musikalische Fortgang der Stücke bringt keine Wiederholung, ist eine Rede, die tatsächlich „nur einmal gesagt“ wird.

Gebannt hört man zu, wenn Irena Troupová Lieder von Viktor Ullmann, Norbert von Hannenheim und Philip Herschkowitsch singt. Zu bewundern sind die Sprünge von den höchsten Tönen zu den grundtiefen, die sie nicht nur ungetrübt, sondern auch noch textverständlich vortrug. Unterstützt, gestützt wurde sie dabei durch den Pianisten Jan Dušek. Blankpolierte Juwelen der Tonkunst. „Athenäumswürdig“, wie sich der Bukarester Musikkritiker Dumitru Avakian dazu äußerte. Encore, „rein fürs Herz“, waren ihre Zugaben, „Lieder aus Teschen“, Volkslieder, die von Erwin Schulhoff mit Kunst aufbereitet, nichts als das pure Vergnügen sind und sich dazu eignen, auf dem Heimweg nachgeträllert zu werden – was auch geschah.

Erwin Schulhoff ist der inzwischen meistgespielte der „wiederbelebten“ Komponisten. Wiederbelebt? Ja, wer noch im Bewusstsein der Menschen präsent ist, der ist noch nicht völlig tot, auch wenn er zu den durch die Nazis ermordeten Menschen zählt. Dieses Weiterlebenlassen ist ein dringendes Anliegen von MUSIK im KonTEXT, seit mehr als zwanzig Jahren.

Erwin Schulhoff also, im dritten Konzert der Tournee, innerhalb des Programms „Ein Hauch von Jazz“ mit nicht nur „angehauchten“, sondern echt fetzig jazzig vorgetragenen Jazz-Etüden – Charleston, Blues, Chanson, Tango –, gewidmet u.a. den Operettenkomponisten Robert Stolz und Eduard Künnecke! Der erste, der in Deutschland eine Konservatoriumsklasse für Jazz einrichtete, war 1929 Bernhard Sekles. Er selbst komponierte allerdings nicht in diesem Idiom, sondern ohne stilistische Festlegung, ausdrucksstark, auch melodiös, rhythmusbetont, hochbeeindruckend z.B. in der „Chaconne“, dem Schluss-Satz der Sonate für Violine und Klavier op. 44. Diese Kompositionen unter anderem gehörten zu der zweiten Hälfte des Konzerts, die der Geiger Marat Dickermann und die Pianistin Monica Gutman hochengagiert vortrugen. Die erste Konzerthälfte „Hebräische Melodien“ gehörte der aus dem Volk hervorgegangenen und zur Kunstmusik adaptierten Klezmermusik. So authentisch wie kaum wiederholbar trugen sie das „Kaddisch“ von Alexander Weprik vor. Kaddisch ist ein Teil der jüdischen Liturgie und wird auch im Gedenken an die Toten gesprochen. Am Tag genau vor 71 Jahren geschah das Massaker von Babi Yar, der Schlucht bei Kiew, der Stadt, in der Marat Dickermann geboren wurde.

Noch ein Nachtrag zum Liedprogramm. Der Pianist Jan Dušek gliederte es durch Solokompositionen von Pavel Haas, der wie Ullmann Theresienstadt durchlitt, ehe er in Auschwitz ums Leben gebracht wurde. Man staune! Auch Haas’ op. 13, die Klaviersuite aus dem Jahr 1935, ist kunstvoller, fetziger Jazz – straff, doch locker vorgetragen. Noch ein Wort zu den Widrigkeiten der Tournee. Die äußeren Bedingungen der Konzerte waren so verschieden wie die mitgebrachte Musik. Geiger haben ihr Instrument immer bei sich. Sänger ihre Stimme auch. Doch die Pianisten sind auf das angewiesen, was sie vor Ort erwartet. Vortragssäle lassen mancherorts die Geräusche des unmittelbar vor den Fenstern vorüberrollenden Verkehrs hinein. Zuweilen hatten die Künstler und die Veranstalterin nur mit der Enttäuschung über die unerwartet geringen Zuhörerzahlen zu kämpfen. Geschuldet u.a. dem Umstand, dass die Menschen existentielle Sorgen haben und sich mit Leichterem entspannen wollen. Doch ergaben sich in allen vier Städten Kontakte, in denen Samen gelegt werden konnten, die Musik und die Idee irgendwann einmal dort selbständig wachsen lassen zu können. Fazit: Es war ein zukunftweisender Erfolg.

Heidemarie T. Ambros

Schlagwörter: Musik, Hermannstadt, Kronstadt, Schäßburg, Mediasch

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