18. Dezember 2012

Paul Philippi: "Weder Erbe noch Zukunft?"

Mit einer bemerkens- und bedenkenswerten Sammlung von Vorträgen und Aufsätzen hat sich Professor Paul Philippi, Ehrenvorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, zu Wort gemeldet. Obwohl mehrheitlich in den letzten zehn Jahren veröffentlicht bzw. vorgetragen, fügen sich diese Texte zu einem schlüssigen Kompendium der Grundthesen, für die sich der Nestor der siebenbürgisch-sächsischen Theologen und Politiker seit vielen Jahrzehnten konsequent, eloquent und nicht selten auch vehement einsetzt. Die Aufsatzsammlung stellt eine Fortschreibung der Analysen und Thesen dar, die der Autor bereits 2006 in seinem zweibändigen Werk „Kirche und Politik. Siebenbürgische Anamnesen und Diagnosen“ vorgelegt hat.
Obwohl – oder gerade weil – sich der als temperamentvoll und gelegentlich streitbar bekannte Paul Philippi vor 1989 konsequent, aber letztlich vergeblich gegen den unaufhaltsamen Exodus der Siebenbürger Sachsen gestemmt hat („hier stand er, er konnte nicht anders“), sind diese Veröffentlichungen keineswegs rückwärtsgerichtet. Es geht dem Autor vielmehr darum, uns allen – den „Dortgebliebenen“ ebenso wie den „Ausgereisten“ – eine neue Sichtweise auf unser Fortbestehen als sächsische Gemeinschaft zu vermitteln. Die „Substanz unseres Erbes“, so der Autor, ist „die Sicherung eines strukturierten Gemeinschaftslebens, das zum Nutzen des gesamten Vaterlandes auch politisch eingesetzt werden kann“. Wenn wir nicht riskieren wollen, sowohl unser Erbe als auch unsere Zukunft zu verspielen, müssen wir die Tradition in ihren wesentlichen Elementen neu bestimmen und daraus die Konzepte für unsere Zukunft herleiten. „Zukunft und Tradition müssen sich als Kontinuität wiederfinden“, und zwar in einer europäischen Perspektive, schreibt er.

Die Kirchenburg als Ort der Sammlung nach innen: ...
Die Kirchenburg als Ort der Sammlung nach innen: Dr. Paul Philippi, aufgenommen 2004 in Hermannstadt. Foto: Konrad Klein
Mehrere Beiträge des Sammelbandes dienen der Verankerung seiner „strategischen Konzepte“ zur Sicherung der Identität und Kontinuität der Siebenbürger Sachsen in der Geschichte. Unbestritten ist das historische Fundament seiner Thesen, wonach die Siebenbürger Sachsen nicht als „deutscher Volkssplitter in einem fremden Land“ zu betrachten sind, sondern als „siebenbürgische Nation [im vor-nationalstaatlichen Sinne] in ihrem eigenen Land“. Keinen Widerspruch dürfte auch die Darstellung der Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert hervorrufen, als sich die Siebenbürger Sachsen unter dem Druck der territorialen Nationalstaaten, in die sie eingegliedert waren, immer stärker an der deutschen Kulturnation und dem deutschen Nationalstaat orientierten, von dem sie nach 1940 vereinnahmt und instrumentalisiert wurden.

Anlass zu kontroversen Debatten lieferte hingegen wiederholt die nunmehr seit Jahrzehnten ausgetragene Kontroverse des Verfassers mit Vertretern des siebenbürgisch-sächsischen Verbands in Deutschland, denen er – damals wie, in abgeschwächter Form, auch heute – vorwirft, sich ausgehend von der „sicheren Prognose des unvermeidlichen Untergangs der deutschen Rechtsgemeinschaft in Rumänien“ bei bundesdeutschen Politikern für die Auswanderung der Siebenbürger Sachsen nach Deutschland eingesetzt zu haben. Dies habe dazu ­geführt, dass „die Aussiedlung der Rumäniendeutschen zur fast alleinigen politisch wirksamen Strategie“ der Bundesregierung(en) geworden sei. Die Crux seiner Argumentation muss allerdings auch Philippi in einem Nebensatz seines Buches eingestehen – dass nämlich diese Strategie „letztlich sicherlich im Einverständnis mit einem Großteil der Betroffenen“ umgesetzt wurde, die nicht nur ihre kollektive, sondern auch ihre individuelle Existenz im kommunistisch verfassten Rumänien gefährdet sahen.

Heute aber geht es dem Neunundachtzigjährigen, der bereits 1979 nach Siebenbürgen zurückkehrte und im Dezember 1989 in Hermannstadt zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Demokratischen Forums in Rumänien gehörte und diesem zwischen 1992 und 1998 vorsaß, längst nicht mehr um die Verteidigung einer politischen Position, da nicht zuletzt auch infolge der massiven Auswanderungsbewegung aus Siebenbürgen vor und unmittelbar nach 1989 eine Rückkehr zum „status quo ante“ hinfällig geworden ist. Nun, da der weitaus größte Teil der Siebenbürger Sachsen außerhalb Siebenbürgens lebt, betont der Autor die Notwendigkeit eines konstruktiven Dialogs und einer aktiven Zusammenarbeit zwischen „Ausgewanderten“ und „Zurückgebliebenen“. Über den Geist des anzustrebenden neuen Zusammenhalts sowie über dessen praktikable Lebensformen müsse nun gemeinsam nachgedacht werden. Konkret geht es dabei um die Vertretung der Interessen und Rechte der Siebenbürger Sachsen als „aktive Subjekte“, nicht nur „passive Objekte“ im innerrumänischen Kontext sowie in den bilateralen rumänisch-deutschen Beziehungen sowie um ihre fortdauernde „kulturelle und geistige Präsenz im rumänischen wie im deutschen Raum“.

Doch Paul Philippi wäre nicht Theologe und Seelsorger, wenn er in diesem Kontext der Evangelischen Kirche A.B. der Siebenbürger Sachsen nicht ein eigenes Kapitel widmen würde. Und auch seiner Kirche stellt er schwierige Fragen: Darf sie, muss sie gar eine andere als die deutsche Sprache im Gottesdienst verwenden? Nein, argumentiert der Autor, denn Kirche (wie übrigens auch die Schule) ist Teil einer „Kommunikationsgemeinschaft“, die durch eine gemeinsame Lebenskultur und auch eine gemeinsame Sprache geprägt ist.

Fazit: Ein wichtiges Buch, das die richtigen Fragen stellt, mit deren Beantwortung wir uns nicht mehr allzu viel Zeit lassen dürfen!

Anneli Ute Gabanyi


Paul Philippi, „Weder Erbe noch Zukunft? Fragen rumäniendeutscher Gegenwart im 201. Jahrzehnt“, Hermannstadt, Honterus Verlag, 2010, 247 Seiten, 8,00 Euro, ISBN 978-973-1725-67-3.

Schlagwörter: Rezension, Siebenbürgen, Politik

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