15. April 2013

Kronstädter Bachchor feiert rundes Jubiläum

Im Frühjahr 1933 traf der Kronstädter Bachchor zu seinen ersten Probewochen zusammen. Das Werk, das damals unter der Leitung von Victor Bickerich intensiv und begeistert einstudiert wurde, war Bachs „Matthäuspassion“ – ein anspruchsvoller Start für ein neues Ensemble. Heuer feiert der Bachchor seinen 80. „Geburtstag“. Er hat schwierige Zeiten überstanden, oftmals Neuanfänge erlebt, musste sich wiederholt umdefinieren – und probt zurzeit eifrig für seine nächsten Auftritte: das diesjährige Kirchenchortreffen in Bekokten bei Fogarasch am 25. Mai, ein „Bachchorfest“ am 23. Juni und die Aufführung von Mendelssohns „Elias“ im Rahmen der Festspiele „Musica Coronensis“ im Oktober.
Anfang der zwanziger Jahre, als der spätere Chorgründer Victor Bickerich nach Kronstadt kam, fand er in der Stadt ein reges musikalisches Umfeld und eine inspirierende kulturelle Landschaft vor.

Der „Männergesangverein“, aus dem der Bachchor hervorgehen sollte, war ­damals schon sechs Jahrzehnte alt und organisierte regelmäßig neben den beliebten „Liedertafeln“ auch Oratorien-, Operetten- und Opernaufführungen, deren Schwierigkeitsgrad nach oben bis hin zu Beethovens „Fidelio“ oder zu Wagner-Werken wie „Der Fliegende Holländer“ und „Tannhäuser“ reichte. Der „Kronstädter Deutsche Liederkranz“ ergänzte die Tätigkeit des „Männergesangvereins“; der „Evangelische Schülerkirchenchor“ eiferte dem Vorbild der traditionsreichen Leipziger Thomaner nach; außerdem gab es ungarische und rumänische Gesangsvereine in der Stadt unter der Zinne.

Was allerdings in der Klassik-Szene fehlte, waren die großen Chor- und Orchesterwerke Johann Sebastian Bachs. Victor Bickerich erkannte sofort das Manko – und auch das vorhandene Potential. Er begann mittels Vorträgen und kammermusikalischen Abenden, Bachs Musik bei dem Kronstädtern einzuführen. 1924 konnten mit dem „Männergesangverein“ bereits umfassende Auszüge aus der „Matthäuspassion“ dargeboten werden, 1929 kam es zur Erstaufführung der ungekürzten Version und 1931 folgte die festliche Premiere der „Johannespassion“.
Der Kronstädter Bachchor im Kapitelzimmer des ...
Der Kronstädter Bachchor im Kapitelzimmer des Stadtpfarrhauses. Foto: Bachchor Kronstadt
Vielen Choristen war jedoch „leichtere“ musikalische Kost lieber als die technisch und stilistisch so komplexen Oratorien. Bickerich sah sich gezwungen, für weitere Bach-Aufführungen freiwillige Sänger in den Reihen der Mitglieder des „Männergesangvereins“ zu suchen. Zur ersten Probe im Januar 1933 erschienen 25 Personen. Es war die Geburtsstunde des Bachchors. Die Mitgliederzahl stieg rapide an, aus den Reihen der „Honterus“-Absolventen kamen junge Stimmen hinzu, so dass in den darauffolgenden Jahren die Konzerte des Bachchors im Radio übertragen und damit rumänienweit bekannt wurden. Der Chor trat in Bukarest und anderen Städten auf – einmal sogar mit George Enescu am Dirigentenpult –, beteiligte sich sozusagen „tonangebend“ an dem ersten siebenbürgischen Bach-Fest im Jahre 1935 und unternahm eine Konzertreise nach Deutschland. Parallel fing auch in Hermannstadt dank des dortigen Bachchors eine intensive Bach-Pflege an.

Im April 1944 fielen die Bomben über Kronstadt – und trotzdem wurde noch einmal die „Matthäuspassion“ gesungen. Der 23. August brachte aber die erste Zäsur in der Karriere der Singgemeinschaft. Zwangsinternierungen und Enteignungen trübten die Stimmung, Instrumentalisten durften nicht mehr in Gotteshäusern auftreten, folglich war man in der Schwarzen Kirche auf die „musikalische Schmalspurbahn“ angewiesen und konnte nur noch viel kleinere Werke mit Orgelbegleitung aufführen. Wenige Jahre später, Ende der Fünfziger, folgten der Schriftsteller- und der Schwarze-Kirche-Pro- zess. Von November 1959 bis März 1960 hörte der Bachchor auf zu existieren. 1962 trat der Musiker Walter Schlandt die Nachfolge von Victor Bickerich an. Unter seiner Stabführung wurden erneut größere Projekte mit bekannten Solisten in die Wege geleitet, wenngleich das Orchester mehrheitlich aus Laienmusikern bestand. 1965 übernahm Hans Eckart Schlandt von seinem Vater die Leitung des Bachchors. Er setzte Bickerichs Tradition fort, indem er Bachchor-Konzerte mit Feiern des Kirchenkalenders verband. Passionszeit, Ostern, Pfingsten, Reformationstag, Totensonntag und Weihnachtsfeier waren im musikalischen Repertoire stets präsent. „Meine schönste Aufführung war Bachs h-Moll-Messe nach dem Abschluss der Sanierungsarbeiten in der Schwar- zen Kirche. Es war ein unvergessliches Konzert“, erinnert sich der Chorleiter. Doch auch die schwierigste Zeit seines Wirkens bleibt ihm in reger Erinnerung: das Abschiednehmen Anfang der neunziger Jahre, als die meisten Chormitglieder auswanderten. „Der Herbst 1990 war ein absoluter Neuanfang. Leute, die vorher in der Kirche gesessen oder die Konzerte des Bachchors besucht hatten, kamen nun zu den Chorproben, weil sie es nicht ertragen konnten zuzusehen, wie das Ensemble aufgelöst wird.“

Der Neustart gelang hervorragend, die Geschichte ging weiter: 1993 gründete Hans Eckart Schlandt den Jugendbachchor, der bald darauf die ersten Gastkonzerte gab und eine Deutschland-Tournee unternahm. 2004 übernahm der Sohn des Musikers, Steffen Schlandt, die Leitung beider Chöre. Ein Jahr danach konnten quasi in einem Atemzug „Messias“ von Händel und „Elias“ von Mendelssohn einstudiert und aufgeführt werden. Später kamen Werke von César Franck, Anton Bruckner und Carl Orff hinzu – sowie Adventskonzerte in kleinen, beinahe verlassenen Gemeinden. „Bei dem Adventssingen in den Dörfern des Repser Ländchens handelt es sich um eine Tradition, die es schon vor einem Jahrhundert, zu Rudolf Lassels Zeiten im Burzenland gegeben hat“, sagt Steffen Schlandt. „Es ist uns wichtig, auch innerhalb des Chors das Bewusstsein für unser Kulturgut zu stärken und Gemeinschaft aufzubauen. Während der vergangenen Jahre haben wir uns intensiv um die Restaurierungen von Kirchen, die Rettung historischer Orgeln, das Aufarbeiten von Archivdokumenten bemüht. Wir haben viel in Sanierungsarbeiten und Erhalt investiert. Nun sollten wir uns verstärkt den Menschen zuwenden.“ Letzteres geschieht unter anderem durch Initiativen wie die musikalischen Gottesdienste zum Sonntag „Kantate“, deren Krönung alljährlich ein Chorauftritt am Honterus-Hof ist. So sollen die Mitglieder der Gemeinschaft zum Singen begeistert werden.

Und nicht nur die Mitglieder der Gemeinschaft: Im Bachchor singen zurzeit 34 Choristen mit sieben Konfessionen. Steffen Schlandt beschreibt das Ensemble als „offenes Haus für Leute, die gerne singen“ und legt zugleich großen Wert auf die Zusammenarbeit mit anderen Kronstädter Chören wie dem „Astra“- und dem „Concentus“-Chor sowie dem Vokalensemble der Musikhochschule. Die Kronstädter Musikliebhaber dürfen sich weiterhin auf gute Musik vom Bachchor freuen.

Christine Chiriac

Schlagwörter: Kronstadt, Chor, Musik

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