6. August 2013

Wie die Bundesrepublik die Freiheit der Deutschen Rumäniens erkaufte

Die Rumäniendeutschen wussten, dass im kommunistischen Rumänien für die Erteilung von Auswanderungsgenehmigungen in die Bundesrepublik Deutschland Geld im Spiel war. Wie das Freikaufgeschäft lief, wusste man nicht, denn es spielte sich im Geheimen ab. Es sprach sich herum, dass Anverwandte in Westdeutschland ihre Angehörigen in Siebenbürgen freikauften. Nicht bekannt war, in welchem Maße die Bundesrepublik am Freikauf beteiligt war. Man wusste aber, dass sie sich für die Aussiedlung der Deutschen einsetzte.
Das Buch, das hier besprochen werden soll, beschäftigt sich mit diesem bis vor einigen Jahren unbekannten Aspekt des Freikaufs der Deutschen aus Rumänien. Es sind darin aufgenommen Interviews mit Dr. Heinz-Günther Hüsch und Recherchen in rumänischen und bundesdeutschen Archiven von Hannelore Baier (Redakteurin der „Allgemeinen Deutschen Zeitung“, Hermannstadt) und Ernst Meinhardt (aus Temeswar, jetzt Redakteur der „Deutschen Welle“ Berlin), deren Ergebnisse in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht wurden. Diese Beiträge sind nun in diesem Band zusammengefasst worden, ergänzt durch einen Beitrag von Dr. Hüsch und einen Anhang mit statistischen Daten. Ergänzend sei erwähnt, dass es seit 2011 auch eine in rumänischer Sprache vom „Consiliul National pentru Studierea Arhivelor Securității“ (Nationalrat zum Studium der Securitate-Akten) herausgegebene Dokumentation gibt: „Acțiunea recuperarea. Securitatea și emigrarea germanilor din Romania (1962-1989)“ (Aktion Rückgewinnung. Die Securitate und die Auswanderung der Deutschen aus Rumänien). Auf diese Dokumentensammlung wird im Buch von Baier und Meinhardt auch Bezug genommen.

Im Auftrag der bundesdeutschen Regierung haben vor allem zwei Männer die Feikaufverhandlungen über die Umsiedlung von Deutschen aus Rumänien mit der rumänischen Seite seit Mitte der 50er Jahre bis 1989 geführt, und zwar die Rechtsanwälte Dr. Ewald Garlepp († 1989) und Dr. Heinz-Günther Hüsch.

Das kommunistische Regime Rumäniens weigerte sich, Ausreisewilligen, vor allem wenn sie in den „imperialistischen Westen“ auswandern wollten, die Genehmigung zu erteilen, weil es nicht zugeben wollte, dass rumänische Staatsbürger wegen Unzufriedenheit mit den Zuständen im Lande emigrierten. Rumänien hielt seine Untertanen wie in einem Gefängnis und betrieb offiziell, speziell gegen die Deutschen, eine Propaganda gegen die Auswanderung. Wer einen Antrag auf Aussiedlung stellte, wurde verschiedenen Schikanen, Repressalien und Rückstufungen oder sogar der Entlassung von seiner Arbeitsstelle ausgesetzt. Bald entdeckten die rumänischen Verhandlungspartner jedoch, dass sich mit der Auswanderung ein gutes Geschäft machen ließ, wie es bereits mit den Juden lief. Nicolae Ceaușescu soll zynisch gesagt haben: „Das Erdöl, die Juden und die Deutschen Rumäniens sind die wichtigsten Exportgüter unseres Landes.“

Im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg handelte es sich bei der Auswanderung hauptsächlich um Familienzusammenführungen von Rumäniendeutschen, die durch das Kriegsgeschehen getrennt worden waren und die zu ­ihren Angehörigen in Westdeutschland und Österreich umzogen. Für die Familienzusammenführung solcher Personen setzte sich Rechtsanwalt Garlepp ein, und es gelang ihm, in einer Reihe von Einzelfällen Ausreisen von Rumäniendeutschen gegen hohe Ablösebeträge auszuhandeln, die zum Teil von Familienangehörigen in der Bundesrepublik gezahlt wurden. In den 50er Jahren verlief die Auswanderung jedoch stockend: 1131 Personen im Jahr 1951, dann nur 26 im Jahr 1952, sie sank 1953 auf 15 und erreichte 1958 erstmals 1383 Personen.

Im Jahr 1968 beauftragte die Bundesregierung Dr. Hüsch, die Verhandlungen mit der rumänischen Seite über die Ausreise von Rumäniendeutschen zu führen, da eine große Anzahl die Aussiedlung in die Bundesrepublik wünschte. Hüsch war Bundestagsabgeordneter und genoss das Vertrauen aller Bundesregierungen. Seinem Verhandlungsgeschick haben es 210000, nach anderen Quellen 236000 Rumäniendeutsche zu verdanken, dass sie in den Jahren 1968 bis 1990 in die Bundesrepublik ausreisen durften.

Die Verhandlungen von Hüsch bilden den substantiellen Inhalt des vorliegenden Buches. Hüsch berichtet in seinen Interviews mit H. Baier und E. Meinhardt über seine geheimen Treffen mit Leuten des rumänischen Geheimdienstes „Securitate“, die in Rom, Paris, Wien, Kopenhagen, Stockholm, Köln, Neuss (hier betrieb Hüsch eine Anwaltskanzlei) stattfanden. Hüsch hat sich schätzungsweise 200 Mal mit Vertretern der rumänischen Seite zu Verhandlungen getroffen, wenn man auch die inoffiziellen Treffen zählt, kommt aber auf 600 bis 1000 Begegnungen. Dabei wurden Verträge betreffend die Aussiedlungszahlen und die für jede Person zu zahlende Freikaufsumme abgeschlossen. Die Vereinbarungen waren geheim, da Rumänien offiziell nicht zugeben wollte, dass es seine deutschen Staatsbürger für ausländische Devisen freigab. Im Buch werden die Daten aller Verträge von 1969 bis 1989 mitgeteilt: 1969/70 der erste Vertrag für 4000 Ausreisende, dann 1970-1973 für mindestens 20000 Personen, 1973-1978 für mindestens 40000 Personen, 1978-1988 nicht weniger als 11000 jährlich. Diese Vorgaben wurden in Wirklichkeit überboten. Im Jahr 1987 erhielten 14000 Personen die Ausreisegenehmigung.

Aus der Familienzusammenführung war somit eine allgemeine Aussiedlung geworden, die Rumänien nun als „humanitäre Handlung“ zu rechtfertigen versuchte. In Wirklichkeit war es ein Menschenhandel. Für jede Person, die legal auswanderte oder illegal das Land verließ, zahlte die Bundesrepublik jährlich aufgrund von vorgelegten Listen mit deutschen Aussiedlern die vorgesehne Freikaufssumme. „Der Topos Familienzusammenführung“, so Hannelore Baier, „gehört zu den anschaulichen Beispielen der Doppelzüngigkeit des kommunistischen Regimes. Je heftiger die Familienzusammenführung geleugnet und der Ausreisewille von der Propaganda bekämpft wurde, desto mehr Personen durften für stets höhere Summen in Devisen und für sonstige wirtschaftliche Vergünstigungen von Seiten der Bundesrepublik ausreisen.“

Die Ablösebeträge betrugen 1969: Kategorie A: 1700 DM, für Personen, die nicht der nächsten Kategorie angehörten (man könnte sagen für gewöhnlich Sterbliche); Kategorie B: 5000 DM für Studierende, die über eine über die Mindestschulzeit hinausgehende schulische Ausbildung verfügten; Kategorie C: 10000 für Personen mit abgeschlossenem Studium oder eine dem Studium gleichgestellte abgeschlossene Ausbildung.

Im Vertrag von 1970 wurden fünf Kategorien eingeführt, wobei die Beträge von 1800 in Kategorie A auf 2900 in Kategorie D festgelegt wurden.

Im Jahr 1978 wurde ein einheitlicher Ablösebetrag von 4000 DM, 1983 von 7800 DM und 1987 von 8500 DM pro Person vereinbart.

Der letzte Freikaufvertrag wurde von Rumänien am 4. Dezember 1989 gekündigt. Nach dem Sturz des kommunistischen Regimes konnten die Rumäniendeutschen ungehindert ausreisen, was einen Exodus auslöste.

Für jeden rumäniendeutschen Aussiedler, der nach 1968 in die Bundesrepublik ausgewandert ist, wurde demnach ein Kopfgeld gezahlt. Insgesamt sind nach Berechnungen von Meinhardt über eine Milliarde DM für den Freikauf der Rumäniendeutschen geflossen. Ab 1983 wurden auch Reisekosten für die Aussiedler gezahlt. Hinzu muss man noch die Bestechungsgeschenke sowie die Privatzahlungen rechnen. 1982 forderte Rumänien für jeden Aussiedler die Rückzahlung der Ausbildungskosten. Dieses Dekret ist wegen vieler Proteste aus dem Ausland, vor allem den USA, nicht zur Anwendung gelangt.

Rumänien hat sodann deutsche Kredite für den Ankauf von Investitionsgütern mit Zinssubventionen erhalten, wenn es die Abkommen über die Familienzusammenführung erfüllte.

Die Aussiedlung war in deutschen Kreisen der Bundesrepublik und Siebenbürgens nicht unumstritten, weil dadurch die deutschen Volksgruppen geschwächt wurden. Es ging um die Erhaltung der deutschen Minderheit.

Hüsch begründet in dieser Frage den Standpunkt der Bundesregierungen und seine eigene Einstellung wie folgt: „Mehr als 25 Jahre nach dem Ende des letzten Weltkrieges war die Situation für die Deutschen in Rumänien unerträglich geworden. Auf der einen Seite wuchsen Wohlstand und Lebensqualität in der Bundesrepublik. Auf der anderen Seite sank der Lebensstandards in Rumänien beständig. Wer konnte es den Deutschen in Rumänien eigentlich mit moralischem Recht verweigern, in die Bundesrepublik umzusiedeln? Selbst wenn nicht alle Fälle von dem Wunsch der Familienzusammenführung, sondern von wirtschaftlichen Wünschen getragen waren, so blieb es doch verständlich, dass viele Eltern für ihre Kinder eine Zukunft in Sicherheit und Freiheit suchten. Von ihnen, denen außenpolitisch nicht geholfen werden konnte, die Erhaltung des Deutschtums in Rumänien zu verlangen, überforderte materiell und moralisch. Gegenüber dem Wunsch, Deutschtum zu erhalten, mussten das Recht auf Freiheit und Leben, auf Unversehrtheit und Zukunft für die heranwachsenden Generationen weit höher bewertet werden. Ich habe deshalb oftmals Gelegenheit genommen und die Notwendigkeit gesehen, Zweifeln an der Richtigkeit des deutschen Vorgehens entgegenzutreten … In einer Reihe von Gesprächen hat Kanzler Helmut Kohl mir gegenüber diese Überlegungen entwickelt und dargestellt und mir die Aufgabe gestellt, das Äußerte zu versuchen – auch bei Bereitschaft erheblicher finanzieller Leistungen – den Deutschen in Rumänien Freiheit zu verschaffen.“

Hüsch bezeichnet seine Vermittlungstätigkeit als „Kauf von Freiheit“. Er weist auch darauf hin, dass ihn alle Bundeskanzler und Außenminister unterstützt haben, wobei er vor allem den Einsatz von Kanzler Kohl und Außenminister Hans Dietrich Genscher erwähnt.

Michael Kroner


„Kauf von Freiheit. Dr. Heinz-Günther Hüsch im Interview mit Hannelore Baier und Ernst Meinhardt“. Honterus-Verlag, Hermannstadt, 2013, 192 Seiten, ISBN 978-973-1725-90-1, ISBN 978-973-1725-90-1, Preis 9,90 Euro, zu bestellen beim Schiller Verlag, Hermannstadt, deutsche Telefonnummer: (02 28) 90 91 95 57, E-Mail: schiller-verlag [ät] arcor.de

Schlagwörter: Geschichte, Freikauf, Buch, Rezension

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