19. Dezember 2013

Deutsche Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte

Vom 22. bis zum 24. November 2013 fand die Tagung „Deutsche Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte am Beispiel Kronstadts und des Burzenlandes“ der „Akademie Mitteleuropa“ in Zusammenarbeit mit der Regionalgruppe Burzenland des Verbandes der Siebenbürgisch-Sächsischen Heimatortsgemeinschaften in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen statt. Bereits im April dieses Jahres trafen sich 50 Vertreter der 16 Burzenländer Heimatortsgemeinschaften in Crailsheim zu einer Arbeitstagung, welche u.a. ein Projekt zur Erforschung der Wirtschaftsgeschichte des Burzenlandes in die Wege leitete. Dieses vielversprechende Projekt wird von dem aus Kronstadt stammenden stellvertretenden Direktor des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE) an der Universität Oldenburg, Dr. Dr. Gerald Volkmer, wissenschaftlich betreut. Dabei geht es um die seit den 1940er Jahren kaum untersuchte Burzenländer und Kronstädter Wirtschaftsgeschichte vom 19. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
Die Deutschen in Ost- und Ostmitteleuropa waren bis zum Beginn der Industrialisierung überwiegend in der Landwirtschaft, im Handwerk und im Handel tätig. Sie sorgten dennoch für zahlreiche Unternehmensgründungen, die den jeweiligen Regionen zur wirtschaftlichen Blüte verhalfen und zugleich zur Entfaltung der deutschen kulturellen Einrichtungen in Ost- und Ostmitteleuropa beitrugen. Auch das Burzenland durchlief diese Entwicklung. Die Wirtschaftsgeschichte des Burzenlandes, darunter die Geschichte des Gewerbes und der erfolgreiche Übergang gewerblicher Werkstätten zu Fabrikbetrieben, ist in der siebenbürgischen Geschichtsschreibung nach 1945 kaum berücksichtigt worden, obwohl die anderen Gebiete des Königsbodens versucht hatten, den Industrialisierungsprozess des Burzenlandes nachzuahmen. Demnach können das von Gerald Volkmer betreute Projekt und die damit verbundenen Tagungen nur begrüßt werden.
Gruppenbild mit den Teilnehmern der ...
Gruppenbild mit den Teilnehmern der wirtschaftsgeschichtlichen Tagung in Bad Kissingen.
Der Studienleiter der „Akademie Mitteleuropa“, Gustav Binder, hieß die Teilnehmer der Tagung am Freitagabend (22. November) auf dem Heiligenhof herzlich willkommen. Nach einer Vorstellungsrunde und einer Einführung in das Programm hielt der ehemalige Direktor des Siebenbürgischen Museums, Dr. Volker Wollmann (Obrigheim), einen einleitenden Vortrag zur Wirtschaftsgeschichte Kronstadts, indem er „Gründerideen und Persönlichkeiten der Kronstädter Großindustrie“ vorstellte. Herr Wollmann hat mit seinen drei Bänden und dem bald erscheinenden vierten Band über die vorindustriellen und industriellen Denkmäler Rumäniens bereits einen viel beachteten Beitrag zur Erforschung der Wirtschaftsgeschichte des Donau-Karpatenraums geleistet. Uwe Konst hat Wollmanns dritten Band in der Siebenbürgischen Zeitung, Folge 10 vom 20. Juni 2013, Seite 12, wie folgt gewürdigt: „Es ist eine im wahrsten Sinne des Wortes ‚gewichtige‘ Dokumentation lebensnotwendiger Bereiche der Wirtschaft, der Herstellung von Lebensmitteln und Getränken.“

In seinem Vortrag zeigte Wollmann auf, dass die vor dem Ersten Weltkrieg eingetretene Industrialisierung Siebenbürgens zwar noch relativ schwach war, aber durch die erfolgreiche Umwandlung mancher Handwerks- in Fabrikbetriebe die Grundlage für die umfassendere industrielle „Revolution“ nach 1918 gelegt habe. Der Historiker ging dabei auf die bedeutendsten Industriesegmente und Pioniere ein: Textilindustrie (Wilhelm Scherg, der das zweitgrößte Textilunternehmen Rumäniens gegründet hatte; Wilhelm Tellmann), Maschinenbau (Brüder Schiel, die den zweitwichtigsten Industriebetrieb Kronstadts gegründet hatten; Julius Teutsch), Zementfabrikation (Angele, Hoch & Kugler), Mühlenindustrie (Rudolf Seewaldt) und letztendlich Lebensmittelherstellung (Friedrich Czell & Söhne). Volker Wollmann machte deutlich, dass der ökonomische Erfolg oft mit dem raschen Reaktionsvermögen der Unternehmer zusammenhing, die den „wirtschaftlichen Puls ihrer Zeit erkannt und es verstanden hatten, konjunkturell bedingte Situationen zu ihrem Vorteil zu nutzen“.

Gerald Volkmer ging am zweiten Tag in einer sehr umfassenden Präsentation auf die „Industrialisierung des Burzenlandes im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert“ ein, die auf einem Aufsatz beruht, der kürzlich im Jahrbuch des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 21 (2013) erschienen ist. Der Referent unterschied für den Industrialisierungsprozess Siebenbürgens zwei Phasen. Die erste begann in den 1860er Jahren und wurde durch Wirtschaftskrisen, die vor allem durch den Wiener Börsenkrach von 1873 oder den Zollkrieg zwischen Österreich-Ungarn und Rumänien (1886-1891) ausgelöst wurden, geprägt. Eine zweite „Gründerzeit“ konnte sich erst nach der Normalisierung der handelspolitischen Beziehungen zwischen Wien bzw. Budapest und Bukarest entwickeln, da Rumänien das Hauptabsatzgebiet der siebenbürgischen Industrieproduktion darstellte. Beflügelt durch eine allgemeine wirtschaftliche Konjunktur in Europa schafften weitere – vor allem sächsische – Handwerksbetriebe den Sprung zum Industrieunternehmen, das nach den Vorgaben der ungarischen Regierung mindestens 20 Beschäftigte aufweisen musste, um als solches eingestuft zu werden. Der Referent hob hervor, dass die überwiegende Mehrheit der Industriebetriebe im Burzenland zwischen 20 und 100 Arbeitern und Angestellten hatten und vor dem Ersten Weltkrieg lediglich fünf Unternehmen mehr als 100 Arbeitnehmer beschäftigten, auf die Gerald Volkmer näher einging. Es handelte sich dabei um die Zuckerfabrik in Brenndorf, die hauptsächlich Budapester Großinvestoren gehörte, die Tuchfabrik des Wilhelm Scherg, die Maschinenfabrik der Brüder Schiel, die Brauerei „Friedrich Czell & Söhne“ und die Papier- und Zellulosefabrik des Martin Copony in Zernescht.
75 Jahre Kronstädter Tuchfabrik Wilhelm Tellmann ...
75 Jahre Kronstädter Tuchfabrik Wilhelm Tellmann & Comp. Aktiengesellschaft 1864 – 1939. Kronstadt 1939.
Im Vortrag „Hermannstädter und Kronstädter Gewerbe“ behandelte Stéphanie Danneberg, Doktorandin an der LMU München, die Geschichte des Kronstädter Handwerks und der Kleingewerbetreibenden bis zum Ersten Weltkrieg. Anhand eines mit zahlreichen Daten belegten Vergleichs zeigte die Referentin die Kronstädter Vormachtstellung auf, aber auch die schnellen Fortschritte Hermannstadts in der wirtschaftlichen Entwicklung. Die ethnische Zusammensetzung des Handwerkswesens habe sich in den beiden Städten ­unterschiedlich entwickelt: Während in Hermannstadt die überwiegende Mehrzahl der Handwerksbetriebe von sächsischen bzw. deutschen Meistern betrieben wurden, waren es in Kronstadt vor dem Ersten Weltkrieg vor allem ungarische Gewerbetreibende. In diesem Zusammenhang wurde der Einfluss der siebenbürgisch- sächsischen Gewerbevereine auf die Entwicklung der Kronstädter und Hermannstädter Handwerksbetriebe hervorgehoben.

Am Samstagnachmittag hielt der Leiter der HOG-Regionalgruppe Burzenland, Karl-Heinz Brenndörfer (Stuttgart), einen Vortrag über die „Elektrifizierung des Burzenlandes“ und bot damit eine sehr gute Ergänzung zu den Präsentationen über die Industrie (Volkmer) und das Gewerbe (Danneberg). Ein wesentlicher Abschnitt der Industrialisierungsgeschichte des Burzenlandes wurde somit erläutert, wobei Brenndörfer zunächst einführend auf Hermannstadt einging: Hier entstand bereits 1896 ein Elektrizitäts-­ werk, das auf Carl Wolffs Bemühungen und dessen Beziehungen zum Münchner Architekten Oskar von Miller zurückzuführen ist. Danach wurden die einzelnen Elektrizitätswerke des Burzen-­ landes in chronologischer Reihenfolge vorgestellt: Zeiden (1902), Heldsdorf (1908), Rosenau (1910), Wolkendorf (1911) und Tartlau (1912). Da bis 1920 fast alle sächsischen Ortschaften des Burzenlandes an die Versorgung mit elektrischem Strom angeschlossen wurden, ging Karl-Heinz Brenndörfer ausführlich auf die Gründe für den späten Bau eines eigenen Elektrizitätswerks in Kronstadt (1932) ein, die u.a. auf den Betrieb des städtischen Gaswerks (seit 1864) zurückzuführen sind.

Der für seine Sammlung historischer Wertpapiere aus Siebenbürgen bekannte Hellmar Wester (Euskirchen) sprach zum Thema „Pioniere der Globalisierung. Zwei deutsche Weltunternehmen in Kronstadt in den 1930er Jahren. Von der Gründung bis zum Untergang“. In seinem Vortrag stellte er die Schokoladenfabrik Stollwerk AG, die seit 2011 nicht mehr besteht, und den Konsumgüterkonzern Baiersdorf AG vor. Wester ging ausführlich auf die Entwicklungsgeschichte der Konzerne vom Zeitpunkt der Gründung ihrer Niederlassungen in Kronstadt bis zur Gegenwart ein. Daraus entwickelte sich eine angeregte Diskussion, die auch das Thema „Globalisierung“ eingehend erörterte.

Nach der Morgenandacht am Sonntag, die der Vorsitzende der Sektion Genealogie des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, Pfarrer Dr. Christian Weiss, abhielt, sprach Otto Dück (Gröbenzell) über die Landwirtschaftsgeschichte des Burzenlandes. Auf der Grundlage einer von ihm erstellten Studie ging er auf die Entwicklung des Agrarsektors im 19. und 20. Jahrhundert ein und betonte dabei die zentrale Rolle der Landwirtschaftsvereine und Ackerbauschulen, die bis zum Zweiten Weltkrieg gerade im Burzenland maßgeblich zum Aufbau einer intensiven Landwirtschaft nach westeuropäischem Vorbild beigetragen hatten.

Abschließend stellten die Tagungsteilnehmer fest, dass die Erforschung der Wirtschaftsgeschichte Siebenbürgens vor einem vielversprechenden Anfang stehe, der nicht nur auf einem wachsenden Interesse an der Thematik, sondern auch auf der besseren Zugänglichkeit wichtiger Aktenbestände, z.B. zur Industriegeschichte des Burzenlandes im Kronstädter Staatsarchiv, beruhe. Gedankt wurde Gustav Binder für die Vorbereitung der Tagung und dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration, das die Veranstaltung über das Haus des Deutschen Ostens in München gefördert hatte.

Stéphanie Danneberg

Schlagwörter: Tagung, Wirtschaft, Burzenland, Bad Kissingen

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