3. Januar 2014

Siebenbürgische Flüchtlingsschicksale: Otto Folberths Roman-Manuskript nach sechs Jahrzehntenerschienen

Im Hermannstädter Schiller Verlag erschien kürzlich „Das Stundenglas“, ein Nachlassroman des bekannten Publizisten Prof. Otto Folberth. Das Manuskript hat Prof. Horst Schuller (Meschen/Heidelberg) wieder entdeckt und auf dessen Wert hingewiesen; er war es auch, der den Roman für die Herausgabe durchgesehen und das Nachwort der Edition verfasst hat. Über die Heimatgemeinschaft Mediasch kam die Verbindung zu Otto Folberths Söhnen Paul und Klaus-Arno zustande, die durch ihre großzügige Spende das Erscheinen ermöglicht haben, sowie der Kontakt zu Anselm Roth, der die Redaktion und Gestaltung des Buches übernahm. Wir drucken im Folgenden eine Besprechung des Romans von Holger Wermke nach, erschienen in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien" vom 8. November 2013.
Selten erhält ein unveröffentlichter Roman einen Literaturpreis, selten wird ein über sechs Jahrzehnte im privaten verbliebenes Manuskript doch noch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, zumal wenn sein Sujet längst nicht mehr zum zeitgenössischen Themenkanon zählt. Otto Folberth erhält diese posthume Genugtuung. Zwölf Jahre nach seinem Tod wurde der Roman „Das Stundenglas“ kürzlich im Hermannstädter Schiller Verlag herausgegeben. Der am 10. Juli 1896 in Mediasch geborene Folberth selbst bezeichnete seinen Roman als Liebes- und Flüchtlingsroman, schreibt Horst Schuller im Nachwort.

Schuller ergänzt diese Charakterisierung: „Er ist gleichzeitig ein politischer Zeitroman, ein Nationalitätenroman, ein Gesellschaftsroman mit reichem Figurenensemble“. Die damals heikle Flüchtlingsthematik, so vermutet Schuller, habe wohl dazu beigetragen, dass Folberth keinen Verlag fand, der seinen Roman veröffentlichen wollte. Einzig das Südostdeutsche Kulturwerk München würdigte den Verfasser 1955 mit einem Preis für das 1953 vollendete Manuskript.

Folberth spinnt seinen Roman um die Erlebnisse des jungen Claude Favre-Rüegg, eines aus wohlhabendem Hause stammenden Schweizers, der sich 1949/1950 im Auftrag des fiktiven Internationalen Hilfskomitees des Schicksals deutscher Flüchtlinge in Österreich annehmen soll. In Salzburg lernt Claude das (siebenbürgisch-sächsische) Flüchtlingsschicksal kennen. Erinnerungen an die siebenbürgische Heimat finden sich an verschiedenen Stellen des Buches: Die Flucht der Nordsiebenbürger Sachsen beschreibt Folberth am Beispiel der Sachsen aus Weilau/ Uila, die Russland-Deportation am Beispiel des Lagers Almasna oder die nationalsozialistische Gleichschaltung der Deutschen in Rumänien. Ebenso flicht Folbert autobiografische Elemente ein, etwa das Schicksal des bei Stalingrad vermissten Bruders Konrad, der im Buch Bruder von Susanne Stolz aus Heltau ist, die er letztlich heiratet – eine symbolische Versöhnung zwischen Ost und West.

In seinem Nachwort liefert Horst Schuller wertvolle Informationen über Folberth und die Entstehung des Romans. Der Pädagoge, Historiker und Publizist Folberth studierte an Universitäten in Rumänien bzw. Ungarn, Frankreich und Deutschland, arbeitete vor dem Zweiten Weltkrieg als Lehrer für Französisch, Deutsch und Religion am Mediascher Realgymnasium sowie als dessen Direktor. Im Jahr 1947 flüchtete er nach Österreich und ließ sich in Salzburg nieder. Folberth war ein profunder Kenner von Stefan Ludwig Roth, einen Namen machte er sich insbesondere als Herausgeber der kommentierten Werkausgabe von Roth. Außerdem verfasste er zu Lebzeiten „zahllose religionsphilosophische, kulturmorphologische, regionalhistorische, anthropo-geographische und belletristische Arbeiten“ (Schuller).

Der Roman stützt sich in Teilen auf Tagebuchaufzeichnungen, die Folberth zwischen 1911 und 1990 schrieb – die redigierten Aufzeichnungen können übrigens auf der Internetseite des Siebenbürgen-Instituts angesehen werden – sowie auf Erlebnisse von Familienmitgliedern und authentische Berichte und Nachrichten aus öster­reichischen Forschungsstellen für Weltflüchtlinge. Auf 279 Seiten bietet das Buch einen detailreichen Einblick in einen Teilaspekt der euro-­ päischen Nachkriegsgeschichte. Gerade vor dem Hintergrund seiner Entstehungszeit ist das Buch ein interessantes zeithistorisches Werk.

Holger Wermke

Otto Folberth, „Das Stundenglas“, Schiller Verlag, Hermannstadt/Bonn, 2013, 279 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-944529-16-5, zu bestellen zum Preis von 18,90 Euro, zuzüglich Porto, beim Schiller Verlag, E-Mail: schiller-verlag [ät] arcor.de, Telefon in Deutschland: (02 28) 90 91 95 57.

Schlagwörter: Rezension, Flucht, Mediasch

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