14. März 2014

„Die Quellen rein halten“

Partituren sind ein stummes Archiv: Sie zeigen eine Gemeinschaft von ihrer kreativsten Seite, überdauern Jahrhunderte, werden von Interpreten immer wieder zu neuem Leben erweckt und erfreuen Ohr und Herz – vorausgesetzt, sie werden erhalten und aufgeführt. Kurt Philippi, der Musikwart der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien und Leiter des Hermannstädter Bachchors, hat sich der Pflege des musikalischen Erbes in Siebenbürgen verschrieben. Er koordiniert schon seit drei Jahren die Notenreihe „Musik aus Siebenbürgen“, die im Hermannstädter Schiller Verlag gedruckt wird.
Kurz vor Jahresende sind die Motette „Cantate Domino“ von Philipp Caudella und „Sechs Miniaturen für Orgel“ von Ernst Irtel erschienen, zurzeit wird an dem Dictum auf den ersten Sonntag nach Epiphanias von Johann Knall gearbeitet. Das Stück trägt den Titel „Wie lieblich sind deine Wohnungen“ und soll pünktlich zur Wiedereinweihung der restaurierten Kirche und Orgel in Kleinschenk im August dieses Jahres veröffentlicht und dargeboten werden.

Außerdem betreut Kurt Philippis Ehefrau, die bekannte Hermannstädter Organistin und Kantorin Ursula Philippi, als Herausgeberin einen ebenfalls für dieses Jahr vorgesehenen Sammelband von Orgel- und Vokalwerken von Hans Peter Türk. Doch davor sind schon zehn andere Bände erschienen, die Quartette, Dicta, Kantaten, Volkslieder und Chormusik enthalten. Die Vorgeschichte der Veröffentlichungen beginnt bereits in den neunziger Jahren mit der massiven Auswanderung, als zahlreiche Gemeindearchive zurückblieben und von der Landeskirche übernommen werden mussten. Das Archivmaterial wurde aus den Dörfern Siebenbürgens nach Hermannstadt, Tartlau oder Mediasch gebracht, das Hermannstädter „Teutsch-Haus“ leitete die Aufarbeitung in die Wege. „Manchmal standen vor meiner Tür mehrere Bananenschachteln voller Noten, aber auch voller Staub, Schutt und Taubenmist“, erinnert sich Kurt Philippi, der 1992 mit der Bestandsaufnahme anfing. „Nach der Reinigung begann erst recht das Puzzlespiel – sehr oft waren Notenblätter einzelner Werke auf mehrere Kisten verteilt und man musste lange rätseln, welches Blatt zu welchem Werk ­gehörte.“ Hinzu kam, dass es für die meisten Werke keine Partituren, sondern lediglich Stimmsätze für Chor und die gebräuchlichsten Instrumente gab, so Philippi. Manchmal fehlte ein Blatt, manchmal aber eine ganze Stimme, und die unvollständigen Partituren blieben dem Konzertleben fern.
Musikwart Kurt Philippi. Foto: Christine Chiriac ...
Musikwart Kurt Philippi. Foto: Christine Chiriac
Erfreulich war für den Musiker die Feststellung, dass die Werke, die in den vergangenen Jahrhunderten in Westeuropa uraufgeführt wurden, schon wenige Jahre nach der Premiere auch in Siebenbürgen erklangen, beispielsweise „Die Schöpfung“ von Haydn. „Wahrscheinlich geht das auf Brukenthal zurück, der musisch sehr begabt und interessiert war und eine enge Verbindung zu Wien hatte“, sagt Kurt Philippi. Er habe darüber gestaunt, dass die großen Werke zum Teil auch in Dörfern gespielt und gesungen werden konnten – ein Hinweis auf ein bemerkenswertes musikalisches Niveau.

Nach dem Cello-Studium in Klausenburg war Kurt Philippi als Pädagoge an der Musikhochschule und an Schulen mit musikalischem Schwerpunkt in seiner Heimatstadt Kronstadt tätig. Als Franz Xaver Dressler, der Gründer des Hermannstädter Bachchores, nach 47-jähriger Tätigkeit zurücktrat, übernahm Philippi zunächst vertretungsweise die Leitung des Chors. Doch Mitte der achtziger Jahre blieb auch die Organisten- und Kantorenstelle an der Hermannstädter Stadtpfarrkirche unbesetzt – also zogen Kurt und Ursula Philippi nach Hermannstadt. Seither sind genau drei Jahrzehnte vergangen.

Zu Beginn ihrer Tätigkeit gab es in Hermannstadt mehrere deutsche Chöre: Der (weltliche) Bachchor gehörte zur Philharmonie, das Kirchenjahr wurde von dem Kirchenchor und dem etwas jünger besetzten „Chörli“ besungen, außerdem gab es noch den Männerchor, den Volksliederchor. In den neunziger Jahren blieben nur noch der Bachchor und der Kirchenchor übrig, und schließlich fusionierten sie. Heute ist der Bachchor überkonfessionell und sogar international besetzt: Zu den 60 Mitgliedern gehören unter anderem auch ein Belgier, ein Niederländer, ein Amerikaner. „Es darf jeder mitmachen, der gerne singt“, erklärt Kurt Philippi. „Jene Mitglieder, die konfessionell nicht zu unserer Kirche gehören, kommen der Musik zuliebe und bringen oft gründliche musikalische Kenntnisse mit.“ Und gute Singtechnik findet gewiss Anwendung im Bachchor, der zurzeit die anspruchsvolle „Johannes-Passion“ von Bach probt. Das Konzert soll am 8. April stattfinden.

Dabei ist der Chor nur „die Spitze des Eisbergs“ auf Kurt Philippis Agenda. Als Musikwart der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien ist er die Ansprechperson für alle musikalischen Angelegenheiten der Kirche. Noch bevor er nach Hermannstadt kam, gab es dort eine Kantorenschule, an der Dorforganisten ausgebildet wurden. Staatliche Kürzungen und Druckmaßnahmen zwangen die Schule schließlich zur Selbstauflösung, doch die Schulung der Dorfmusiker wurde von dem Musikwart weitergeführt. Der damalige Bischof Albert Klein beauftragte Kurt Philippi mit der Aufgabe, „den musikalischen Grundwasserspiegel innerhalb der Kirche“ anzuheben. „Das Grundwasser ist inzwischen durch die Auswanderung stark abgesackt“, zieht der Musiker heute Bilanz, „also habe ich meine Aufgabe neu definiert: die Quellen rein zu halten, die noch nicht versiegt sind“. Er fährt regelmäßig „als Wanderlehrer“ zu den Kirchenchören, die keinen Chorleiter haben, und unterstützt sie bei den Proben, außerdem unterrichtet er liturgisches Singen für die evangelischen Theologiestudenten in Hermannstadt und verwaltet die Online-Datenbank der Evangelischen Landeskirche, die gut über 200 siebenbürgische Orgeln aus sächsischen Kirchen inventarisiert. Wer sich unter http://orgeldatei.evang.ro/ informieren möchte, der findet Daten zu den Baujahren, Orgelbauern und Restauratoren der Instrumente, Einzelheiten zu Disposition, Traktur, Prospekt und Spieltisch, Angaben zum derzeitigen Zustand und weiterführende Bibliographie.

Schließlich koordiniert der Musikwart verschiedene übergemeindliche Veranstaltungen und organisiert Besuche ausländischer Formationen. Im August soll eine Kirchenmusiker-Gruppe aus der württembergischen Landeskirche nach Siebenbürgen kommen, Mitte September findet hier der Kongress der Internationalen Gesellschaft der Orgelbauer (ISO – International Society of Organbuilders) statt und Ende September die Jahrestagung der Europäischen Konferenz für Evangelische Kirchenmusik. Was die Notenreihe angeht, wünscht sich Kurt Philippi, demnächst sämtliche Quartette von Richter in einem Band zu veröffentlichen. Auch die Herausgabe des „Senndörfer Cantionale“ ist eins seiner Traumprojekte – dabei handelt es sich um ein anspruchsvolles und zeitraubendes Vorhaben: „ein Kompendium, das genauso wertvoll ist, wie der ,Codex Caioni‘ und einen Überblick des musikalischen Siebenbürgen im 17. Jahrhundert bietet“, so der Musiker. Gelegentlich erhält auch die Öffentlichkeit Einblick in die minutiöse Archiv-Arbeit. So zum Beispiel im Februar dank der Ausstellung „Musik und Kirche. Ein Streifzug durch 300 Jahre evangelische Kirchenmusik in Siebenbürgen“, die von Kurt Philippi konzipiert und im „Teutsch-Haus“ gezeigt wurde. Die wertvollen, alten Notensätze, Choralbücher und Handschriften gehören zu einem Erbe, das Zuwendung verdient.

Christine Chiriac

Schlagwörter: Musik, Chor, Hermannstadt

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