26. März 2014

„Das Erinnern wird ihn lange überleben“: Zum Tode von Hanns Schuschnig

Mit dem am 12. März d. J. in Altusried im Allgäu verstorbenen Hanns Schuschnig verlor die Kulturgemeinde der Siebenbürger Sachsen den herausragenden Theatermann der letzten sechzig Jahre. Als der am 21. Dezember 1927 in Hermannstadt geborene „Hansi“ Schuschnig – nach Absolvierung der Bukarester Theaterakademie – am 12. August 1956 auf einer improvisierten Bühne im Garten des Hermannstädter Ursulinen-Klosters, der Herberge des deutschen Mädchenlyzeums, Brechts „Mutter Courage“ mit einer Handvoll begeisterter Neulinge und einigen „altgedienten“ Schauspielern aufführte, hatte er den Grundstein für die Bildung der deutschen Abteilung des rumänischen Staatstheaters in Hermannstadt gelegt.
Wenn im kommunistischen Staat auch mit ideologischer Vorgabe, war damit eine Tradition wiederaufgenommen worden, die bei den Deutschen Siebenbürgens bis ins Mittelalter zurückreichte. Bereits für die Zeit um 1500 sind Dramenaufführungen in Hermannstadt belegt. Honterus’ Schulordnung von 1543 „Constitutio Scholae Coronensis“ sah regelmäßige Schüleraufführungen von Schaustücken vor. Über die Jahrhunderte hinweg kam es bis zur Gründung des „Deutschen Landestheaters in Rumänien“ 1933 fast ohne Unterbrechung zu Aufführungen in- und ausländischer Truppen, darunter immer wieder bester italienischer Herkunft.

Der in allen Fragen der europäischen Bühnen- und Schauspielkunst belesene Theaterregisseur und Theaterkenner Hanns Schuschnig verstand sich in dieser Tradition. Er wusste über die Wiederentdeckung des antiken Theaters im Frankreich des 16. Jahrhunderts ebenso Bescheid wie über die Bühnenwerke der Shakespeare-Zeitgenossen Marlow und Ben Jonson, über die klassizistischen Tragödien im 18. Jahrhundert des Italieners Alfieri ebenso wie über das Werk der Deutschen Büchner, Grabbe oder Hebbel.

Was im Gespräch zu diesen und ähnlichen Themen aufhorchen ließ und bestach, war aber – über das theatergeschichtliche Wissen hinaus – Hanns Schuschnigs praktischer Sinn für die jeweils erforderliche dramatische Auffassung und die Fähigkeit zur sofortigen Organisation seiner Inszenierungsabsicht. Gepaart mit seinem Gespür für Bühnensituation und -wirksamkeit, ergab das eine Theaterpersönlichkeit von Format. Schuschnigs Beharrlichkeit und die pädagogische Eloquenz im Erläutern seiner Vorstellungen bewirkten bei seinen Spielern jenes Maß an Vertrauen, das sie, ob alt oder jung, zur vorbehaltlosen Mitarbeit veranlasste: Seine Kompetenz stand nicht zur Diskussion. Niemals verlor er dabei die menschliche Bescheidenheit und die professionelle Sachlichkeit; Übersicht und Ruhe waren seine Markenzeichen.

Hanns Schuschnig war nicht nur der Regisseur, dessen sich seine ehemaligen Schauspieler von den Bühnen in Hermannstadt und Temeswar in Verbundenheit und mit beruflicher Anerkennung erinnern. Er war auch der durch und durch realistischer Taktiker bei der Auswahl der Stücke im Blick auf das Kulturdiktat im autoritären Staat – Fehlgriffe hätten den Bühnen die Existenz kosten können. Wer sich die Spielpläne der rund zweieinhalb Jahrzehnte seiner Tätigkeit in Rumänien ansieht, gewinnt ein Bild von der klugen Mischung, mit der er sowohl die politischen Kontrolleure als auch das Publikum befriedigte. Neben der künstlerischen Qualität seiner Inszenierungen verschaffte er nicht zuletzt dank dieses Riechers für das Angemessene den beiden deutschen Bühnen Ansehen in dem trotz des Diktats hochkultivierten Theaterleben Rumäniens.

Hanns Schuschnig (1927-2014) ...
Hanns Schuschnig (1927-2014)
Meisterhaftes Können bewies Hanns Schusch­nig nicht allein bei der Arbeit am Hermannstädter und am Temeswarer Deutschen Staatstheater, sondern auch nachdem er sich rund ein Jahrzehnt vor der politischen Wende in Osteuropa im Ausland absetzte: in der Bundesrepublik Deutschland. Münster und Bremerhaven waren hier die ersten Stationen, ehe er 1981 in Altusried auf halbem Weg zwischen Memmingen und Kempten im Allgäu Fuß fasste; Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß sorgte für die Emigration auch der Ehefrau Beatrice, geb. Gutt, und der beiden Söhne. In Altusried übernahm Schuschnig die Leitung der traditionellen Freilichtspiele. Er machte sie zwischen den Jahren 1982 und 1999 mit insgesamt sieben Großinszenierungen weit über das Allgäu hinaus bekannt, ja berühmt. Gut über 400 Laienschauspieler wirkten gelegentlich bei den Aufsehen erregenden Aufführungen historischer Stücke wie Götz von Berlichingen, Andreas Hofer o. a. mit. Vor einer imposanten Felsenkulisse nahe Altusried setzte Schuschnig Volksmassen in Bewegung, ließ Reitertrupps über das Freilichtgelände galoppieren, Kriegerscharen aufmarschieren und Schlachten schlagen, streitbare oder weise Dialoge führen, Intrigen und Liebesszenen lebendig werden. Man muss als Zuschauer dabei gewesen sein, um sich von den begeisternden Spektakula und den Beifallsstürmen auf der mächtigen Tribüne ein Bild zu machen. Es gelang Schuschnig immer wieder zu verwirklichen, was „großes Theater“ genannt wird. Publikum und Darsteller feierten den Regisseur nicht nur, sie rühmten ihn auch als einen jener Theatermänner, denen nicht allein die mitreißende Geste des Spiels am Herzen liegt, sondern auch die Nichtigkeit hinter der Bühne in der Betreuung des kleinen Statisten.

Dieser Mann war wie kaum wieder ein Siebenbürger theaterhungrig, ja, -gierig. Hatte er auf den Bühnen in Rumänien von „Mutter Courage“ und Lessings „Nathan“ bis hin zu Shaws „Pygmalion“ oder Caragiales „Ein verlorener Brief“ etc. ungefähr 200 Bühnenstücke inszeniert, darunter neben deutschen und rumänischen Autoren französische, englische, US-amerikanische, russische und italienische, so spielte die von ihm geführte Altusrieder Laientruppe z.B. während eines einzigen Sommers vor über 100.000 Zuschauern. Neben der Arbeit an den Freilichtspielen gründete er 1985 die Kleinbühne „Altusrieder Kästle“, die jährlich mit bis zu sieben Neuinszenierungen in ungezählten Aufführungen vor das Publikum trat. Er inszenierte überdies Stücke für den „Allgäuer Geschichts- und Heimatverein“ und war mit Aufführungen in Freiburg, München und anderen Orten präsent, er half seiner Frau Beatrice bei der Gründung und Leitung der „Insel-Bühne“, zu deren Mini-Ensemble auch die Söhne Tristan Troy und Johannes Marc gehörten; sie unternahm Tourneen zu kleinen deutschen Volksgruppen in Polen, Ungarn, Rumänien, im Sommer 1997 sogar nach Namibia an der Südwestküste Afrikas. Was er unter dem Titel „Mit der Insel-Bühne auf großer Fahrt“ (darüber berichtete die Siebenbürgische Zeitung vom 15. September 1997), veranschaulicht neben dem leidenschaftlichen Thea-­ termacher und Schausteller Hanns Schuschnig zu gleichen Teilen den Menschen, dessen Herz für die nicht selten unter harten Bedingungen in der Diaspora lebenden deutschen Landsleute schlug – so im oberschlesischen Gleiwitz, im transdanubischen Fünfkirchen, im siebenbürgischen Hermannstadt oder in Tsumeb im namibischen Otavi-Bergland. „Überall“, hielt er fest, „waren der Hunger nach deutscher Kunst und die Freude über unsere Anwesenheit offenbar. Immer wieder war die Klage zu hören, dass sich hierher so selten eine deutsche Kulturgruppe verirrt ...“

Das Gedenken an diesen außergewöhnlichen Menschen erlaubt mir das Verschweigen eines besonderen Momentes in seinem und meinem Leben nicht: Im September 1959 gehörte „'Hansi“ Schuschnig zu den Zeugen der Anklage, die in einem politischen Prozess vor Gericht unter anderem gegen mich auszusagen aufgefordert waren. Von den rund zehn Zeugen war er derjenige, der den Mut hatte, entgegen den Erwartungen des Kriegsgerichts und der Securitate eine belastende Aussage ohne Umschweife zu verweigern. Er tat es ohne Pathos und Zögern in professionell sachlichem Ton. Ich saß in der Angeklagten-Box und hörte ihm mit angehaltenem Atem zu. Jahre später sprach ich ihn darauf mit der Frage an: „Hattest du keine Angst?“ Seine Antwort hielt ich 1995 in einem Zeitungsinterview fest; er erwiderte: „Warum hätte ich Angst haben sollen? Die Angst vor ihnen war ein Missverständnis.“ Ich fügte in dem Interview hinzu: „Ein Mann von solcher Luzidität des Geistes muss ein guter Regisseur sein.“ (In: „,... dass ich in der Welt zu Hause bin‘. Hans Bergels Werk in sekundärliterarischem Querschnitt.“ Bukarest 2009, Seite 260)

So verdient der Theaterregisseur und der Mensch Hanns Schuschig aus mehrfachem Grund unser ehrendes Gedenken. Er starb als 86-Jähriger am Ort seines Wirkens. Dessen Erinnerung wird ihn lange überleben.

Hans Bergel

Schlagwörter: Nachruf, Theater, Regisseur, Hermannstadt, Porträt

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