17. April 2014

"Die weiße Rose": Aphorismen, Gedichte von Carol Neustädter

Mit Sicherheit einer der eigenwilligsten – und selbstständigsten – Geister unter den schreibenden und publizierenden Siebenbürger Sachsen unserer Tage ist der in Hermannstadt geborene und seit einigen Jahren, nach Aufenthalt in Deutschland, wieder in Hermannstadt lebende Carol Neustädter. Der promovierte Philosoph, dem kein Geringerer als der Heideggerschüler Constantin Noica (1909-1987) Anerkennung zollte, machte sich in Kennerkreisen mit Abhandlungen besonders über die Klassik der deutschen Philosophie einen Namen.
Es gehört zum geistigen Persönlichkeitsbild Neustädters, sich außer der philosophischen Ebene auch auf der der Zeitkritik und des Gedichts zu äußern. Er unternimmt es auf diese Weise, wie er selber notiert, „durch eine neue Beziehung der Wörter Leben zu schaffen. Die lyrische Prosa zeichnet den Menschen in seiner Geschichte“ (Carol Neustädter: „Der Gefangene Schrei II. Die Einsamkeit der Wahrheit“, Hermannstadt, 2013). In seiner neuesten Veröffentlichung, „Die weiße: Rose. Aphorismen und Gedichte“, deutsch und rumänisch, Hermannstadt 2013, gibt er sich darüber hinaus als Aphoristiker zu erkennen. Dabei macht er es seinem Leser nicht leicht – was auch niemals seine Absicht war –, sondern zwingt ihn, durch das ungewohnte Bild und den ungewöhnlichen Gedanken zur Auseinandersetzung mit sich selbst. „Ich meine“, heißt es in einem Brief vom 10. Februar d.J., „dass die Philosophie im Gedicht beweglicher, offener und lebendiger ist“.

So lautet ein Aphorismus dieses Bandes: „Man kann die Sterne nur dann zählen, wenn man die Augen schließt.“ Der Satz kennzeichnet sämtliche Texte: Die Überhöhung des gegenständlichen Bildes – der gestirnte Himmel – führt zur, bestürzenden, Erkenntnis, dass der Sternenhimmel mehr ist als Optik, er wird zum innerlich erschauten spirituellen Raum. Oder wenn es bei ihm unter dem Titel „Das Glück“ heißt: „Die Träume bauen es aus dem Nichts/ und die Hände sind machtlos, es zu ergreifen“, ist abermals eine Erkenntnis deutlich gemacht, deren lapidare Formulierung nicht nur überrascht, sondern zum Nachdenken herausfordert. Das Gleiche gilt, in ebenso überraschender Wendung, vom folgenden leicht fasslichen Aphorismus: „Stehen Frauen an der Spitze der Regierung, so ist der Staat in Gefahr, sagte Hegel. Die Deutschen sind ein mutiges Volk.“ Oder: „Ich möchte wieder Sterne sammeln. Gib meine Träume zurück in die Spielzeugkiste.“ Das plötzlich Erhellende, das schlaglichtartige Beleuchten der Dinge zeichnet Carol Neustädters Kurztexte in „Die weiße Rose“ aus.

Dabei mischen sich immer wieder gedankliche Präzison mit dichterischer Bildhaftigkeit zur Synthese seiner Aussage. Zum Beispiel in den mit „Der Künstler" überschriebenen Zeilen: „Er streift den Wind von seinen Händen/ und taucht sie in den Himmmel./ Seine Gedanken reisen auf den Wolken/ tief hinein in die Träume./ Wer zeichnet das Antlitz des Meeres in den Sand?“ Die Schönheit dieser Verse hält der Schönheit der unter dem Titel „Der Gebirgssee“ formulierten die Waage: „Spiegel mit Grund/ ohne Hintergrund./ Immer auf den Boden gelegt/ und niemals aufgerichtet,/ um seine Bilder/ nicht zu verschütten.“ Usw. Selbst die sperrigsten Sprachgebilde Neustädters schlüsseln sich dem Nachdenkenden auf. Jedes Gedicht, jeder Aphorismus ist die Aufforderung, sich vom Gleis eingefahrener billiger „Weisheiten“ fort zu begeben.

Wie kommt Carol Neustädter zum Buchtitel „Die weiße Rose“? Unter dem Namen blieb die Studenten-Widerstandsgruppe an der Münchner Universität gegen das NS-Regime bekannt. Das letzte Gedicht der Sammlung, „Die weiße Rose“, ist Sophie und Hans Scholl gewidmet. An Sophie gewandt, beginnt es mit den geradezu klassisch geprägten Bildern: „Sie ging tief hinein/ in den Tod/ und trug ihr Schweigen/ fest in den Händen./ Stimmen kamen,/ um zu lauschen./ Das Leben/ benetzte ihre Lippen ...“

Hans Bergel


Carol Neustädter: Die weiße Rose. Aphorismen und Gedichte. Deutsch/rumänisch. Editura „Alma Mater“, Hermannstadt 2013. Broschur, 77 Seiten. ISBN 978-973-632-783-4, zu bestellen zum Preis von 6,50 Euro, zuzüglich 3 Euro Versand, in der Erasmus-Buchhandlung, E-Mail: erasmus [ät] buechercafe.ro, deutsche Festnetznummer: (02 28) 90 91 95 57

Carol Neustädter

Heimat

Wiege
im Stein
und Erde
ins Herz gegossen.
Heimat ist
der Schrei der Wälder,
der Boden, der von zu vielen Blüten
überfließt.
Heimat ist die Sonne, die abends
von Quellen getaufte
Berge hinabrollt
und aus deren Leib
das Korn geschnitten ist.
Heimat sind unsere Vorfahren
mit ihren aus Stein gehauenen
Stirnen.
Heimat ist der Morgen,
der auf seinen breiten Schultern
das schwere Feuer
des Tages
trägt.

Schlagwörter: Gedichtband, Rezension, Lyrik, Hans Bergel, Carol Neustädter, Philosophie

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