4. April 2014

Die sächsische Nation und ihr „Parlament“, die Nationsuniversität

Zahlreiche Besucher fanden sich am 28. Februar im Stuttgarter Haus der Heimat zu einem Vortrag über die „Nationsuniversität“ mit dem siebenbürgischen Historiker Dr. Harald Roth ein. Begrüßt und vorgestellt wurde der Referent von Siegfried Habicher, stellvertretender Vorsitzender und Kulturreferent der Landesgruppe Baden-Württemberg.
Roth, langjähriger Leiter der Geschäftsstelle in Gundelsheim, ist seit fast einem Jahr Direktor des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Potsdam. Er wies zu Beginn seines Vortrags darauf hin, dass der Name Nationsuniversität irreführend sei. Zum Namensverständnis sei die Zerlegung des Wortes in seine lateinischen Bestandteile natio (der Stand) und universitas (die Gesamtheit) hilfreich. Universität ist hier also nicht im Sinne von „Hochschule“ zu verstehen, sondern als die Gesamtheit der Siebenbürger Sachsen in ihrem angestammten Gebiet.

Als ein politisches Selbstverwaltungsorgan der Siebenbürger Sachsen war die Sächsische Nationsuniversität eine Zusammenkunft der Vertreter aus allen Städten und Stühlen der sächsischen Nation, welche die eigenen Gruppenbelange regelte. Sie entstand als Ergebnis einer jahrhundertelangen Entwicklung durch die rechtliche und politische Einigung der deutschen Siedlungsgebiete in Siebenbürgen, die vor allem von den Städten und ihrer Oberschicht, dem Patriziat, betrieben wurde.

1437 schlossen die Siebenbürger Sachsen angesichts der Türkengefahr und während des Bauernaufstandes von Bobâlna mit dem ungarischen Adel und den Szeklern die „Unio trio nationum“. Siebenbürgen war somit politisch in drei Stände gegliedert: neben dem ungarischen Adel und den Szeklern die Siebenbürger Sachsen, die zwar zahlenmäßig kleiner, wirtschaftlich allerdings die bedeutendste Gruppe gewesen sind. Die deutschen Städte des Königsbodens waren wirtschaftliche Stützpunkte, die die Hauptsteuerlast des Fürstentums erbrachten.

Diese mehrmals erneuerte Union bot auch Schutz gegen königliche Willkür. Den Kern der Nationsuniversität bildete die 1224 mit dem „Andreanum“ privilegierte Hermannstädter Provinz: Territorialautonomie auf dem überantworteten „Königsboden“, eigenständige Gerichtsbarkeit und Selbstverwaltung waren die zentralen Bestandteile dieser Rechte. Nach diesen Vorrechten strebten auch die übrigen sächsischen Distrikte, die sie auch schrittweise erhielten: 1318 die zwei Stühle Mediasch und Schelk, 1366 der Bistritzer und 1422 der Kronstädter Distrikt. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass ein Teil der Siebenbürger Sachsen als Hörige unter der Herrschaft des ungarischen Adels wohnten und daher nicht die Rechte der Sachsen vom „Königsboden“ besaßen.

Wegen wachsender Steuerforderungen des Königs fand 1473 erstmals eine Beratung der Vertreter aller siebenbürgisch-sächsischen Stühle und Distrikte statt. Sie traten 1481 auf Betreiben des Hermannstädter Bürgermeisters Thomas Altenberger mit einem „Anbringen der stet und aller Teutschen aus Sybenbürgen“ vor den König. 1484 wurde erstmals der Begriff „Universitas Saxonum“ verwendet und ein Jahr später die erste gemeinsame Urkunde ausgestellt. Die Anerkennung der neuen Körperschaft erfolgte 1486 durch König Matthias Corvinus, der den Andreanischen Freibrief für „alle unsere Sachsen aus Siebenbürgen“ feierlich bestätigte.
Das zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtete ...
Das zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtete Gebäude des Archivs der Sächsischen Nation und der Stadt Hermannstadt, heute Staatsarchiv. Das Gebäude wurde vor einigen Jahren der evangelischen Landeskirche rückerstattet und ist dringend sanierungsbedürftig, soll der wertvolle Inhalt nicht in seiner Existenz gefährdet werden. Dieser Bau ist gewissermaßen das letzte materielle Erbe der ehemaligen Nation in sächsischem Besitz. Foto: Fotoarchiv Siebenbürgen-Institut, Gundelsheim
So formte sich die Nationsuniversität im Spannungsfeld zwischen den beiden anderen Ständen und den zunehmend geschwächten ungarischen Königen, zu einer Verwaltungs- und Gerichtsbehörde, unter der sich die Siebenbürger Sachsen bis in das 19. Jahrhundert versammelten. Sie war die politische Vertretung des sächsischen Volkes, die es als Gemeinschaft nach außen handlungsfähig machte und somit Garant für die jahrhundertelange Eigenständigkeit war.

Mit der „Kirchenordnung aller Deutschen in Siebenbürgen“ (1547) von Johannes Honterus verhalf die Nationsuniversität der Reformation zum endgültigen Durchbruch, der sich auch die untertänigen Sachsen auf Komitatsboden anschlossen. So konnte die deutsche Volkskirche als geistliche Universität der Siebenbürger Sachsen entstehen. Der Prozess der inneren Ausgestaltung der Nationsuniversität kam mit der verbindlichen Rechtsordnung des „Eigenlandrechts“ 1583 zur Vollendung, eine Sonderstellung, die sie auch nach den vielen Kriegen, Wirren und Nöten am Ende des 17. Jh. behaupten konnte, als Siebenbürgen dem Habsburgerreich einverleibt wurde.

Zum ersten erfolgreichen Eingriff in die Autonomie der Stände kam es unter der von Kaiser Joseph II. eingeleiteten „Revolution von oben“. Die Nationsuniversität und die gesamte ständische Verfassung wurden erstmals für kurze Zeit aufgehoben. Das Selbstverständnis der Siebenbürger Sachsen wurde zutiefst erschüttert. Nach dem Tod des Kaisers 1790 wurden die alte Standesverfassung und die Nationsuniversität jedoch wieder hergestellt, was aber nicht mehr lange Bestand hatte. Im darauffolgenden Jahrhundert wurde der Einflussbereich der Nationsuniversität schrittweise abgebaut und das ­„Eigenlandrecht“ nach den Wirren der Revolutionsjahre 1848/49 außer Kraft gesetzt. Nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich (1867) und der Verwaltungsreform 1876 wurde die Nationsuniversität zerschlagen, die Besitzreste in eine Stiftung überführt. Ihre einzige Aufgabe war nun, das Vermögen der Nationsuniversität und der sieben Stühle (Latifundien, Waldungen, Immobilien, Sammlung Brukenthal, Kassa) zu verwalten und die Erträge auf die kulturellen Einrichtungen der Bewohner des ehemaligen Königsbodens zu verteilen. Mit diesen Mitteln wurde das deutschsprachige Schulsystem u.a. mit mehreren Gymnasien und allen weiteren Höheren Schulen (z.B. Ackerbauschulen) erhalten und ausgebaut. Nach dem Anschluss Siebenbürgens an Rumänien wurden im Zuge der Agrarreform (1921-23) die Wald- und Grundbesitzungen der Stiftung Nationsuniversität entschädigungslos enteignet, womit auch die wichtige Finanzierungsquelle des evangelischen Schulwesens entfiel. 1937 schließlich wurde auch die Stiftung aufgehoben. Die Evangelische Kirche A.B. erhielt das Nationalarchiv, die Ackerbauschule Mediasch sowie einige wichtige historische Gebäude in Hermannstadt und wurde damit als abgefunden erklärt. Damit trat die Evangelische Landeskirche das Vermächtnis der Nationsuniversität an, die damit endgültig zu existieren aufhörte. Alle übrigen Immobilien wurden der rumänisch-orthodoxen Kirche übertragen. Das verbliebene Vermögen und das Archiv der Nationsuniversität eignete sich nach 1944 der kommunistische Staat an.

Helmut Wolff

Schlagwörter: Vortrag, Stuttgart, Siebenbürgen, Geschichte, Politik

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  • 08.04.2014, 22:24 Uhr von orbo: Ja, steht im Bildtext. Muss seine Gründe haben. Excellente Lage. Warum man keine Partner zur ... [weiter]
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