19. Oktober 2014

Mühlen antreiben, doch welche? Franz Hodjak (70) weiß Letzteres nicht und tut Ersteres erst recht

Der „Betrieb“ der deutschen Literatur, in dem die aus Rumänien eingewanderten Schriftsteller eine Weile leicht herablassendes Staunen und entsprechendes Wohlwollen erfahren haben, wirft früher oder später einen jeden auf sich selbst zurück. Viel Selbstbewusstsein, ja Eigensinn ist nötig, im literarischen Tun noch einen Sinn zu sehen – und viel Gelassenheit gegenüber dem Markttreiben. Der Eigen-Sinnigsten und Gelassensten einer ist Franz Hodjak, der am 27. September 70 Jahre alt wurde.
Er war und ist so sehr Dichter, dass er es auch im Überdruss noch vermag, mit seinem sanften, nüchternen Wort die sirrende und dröhnende Wirklichkeit hüben und drüben, die alte und die neue, zu übertönen und dem Leser, den er freundschaftlich zum Komplizen macht, mit ein paar Seiten oder auch nur Versen das Empfinden zu schenken, er könnte ihr die Stirn bieten. Dieser Therapeut gibt Hoffnung, die er selbst nicht mehr hat. Dabei hatte er sie einst, das klingt immer wieder durch, nun aber kommt seine Kraft ausgerechnet aus dem Verlust, sein Trost aus der Untröstlichkeit – es ist ein Segen, wenn man nicht mehr „bei Trost“ ist.

Hodjaks Texte künden immer vom Widerstand gegen eine Welt, die so tut, als wäre sie selbstverständlich. Das Furchtbare ist wirklich und umgekehrt – gewissermaßen märchenhaft. Bei diesem Dichter kann man lesen, wie Unerträgliches erträglich wird, wenn man es aufschreibt. Und man stellt sich die Frage, die er sich wahrscheinlich nie gestellt hat: Hätte er nicht schreiben, lesen, lektorieren, übersetzen und seine sowie anderer Leute Bücher machen können, wäre ihm das Leben im Sozialismus lebenswert, überhaupt lebbar erschienen? Und wie verhält es/er sich jetzt?

Vor 70 Jahren wurde der Abkömmling einer Schwäbin und einer Sächsin, eines Slowaken und eines Wiener k.u.k. Offiziers hineingeboren in ein denkbar unmodernes Siebenbürgen, ja in die Haupt- und Hermannstadt, beileibe keine Brutstätte moderner Kunst und Literatur. 44 Jahre war er an dieses Land „gekettet“ (Peter Motzan), doch mit diesen Ketten zu rasseln und zu klirren, gerade das machte er zu seinem modernen poetischen Handwerk. Er schrieb mehr als ein Dutzend eigene Gedicht- und Prosabände, übersetzte bücherweise Lyrik aus dem Rumänischen und machte darüber hinaus den Klausenburger Dacia-Verlag in den siebziger und achtziger Jahren zu einer der besten Adressen deutscher Literatur in Rumänien. Fast alle damals noch hoffnungsfrohen Autoren der Minderheit legten ihre Manuskripte auf seinen Tisch und kamen in den Genuss nicht nur seines professionellen Lektorats, sondern auch seiner Standfestigkeit und Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den naturgemäß misstrauischen Kulturbehörden.
Auch im Freundeskreis ein begnadeter Erzähler: ...
Auch im Freundeskreis ein begnadeter Erzähler: Franz Hodjak (rechts) mit Dr. Edith Konradt und Dr. Stefan Sienerth, aufgenommen 2006 in München. Foto: Konrad Klein
Harschest ging und geht er mit sich selbst ins Gericht, doch das „Bosseln“ am Text (so zitiert ihn Werner Söllner) forderte er auch von allen anderen ein. Diese Forderung gehört zu dem „unsichtbaren Gepäck“, mit dem er 1992 jenes Land verließ: „Es würde auch manch einem deutschen Schriftsteller nicht schaden, öfter mal zu einem Wörterbuch zu greifen.“ Sein Anspruch hat sich allerdings nie auf die künstlerische Qualität beschränkt, vielmehr verbucht Hodjak auch heute die ganze sogenannte rumäniendeutsche Literatur jener Zeit, in der er sie mitredigiert hat, im moralischen und künstlerischen Soll: „Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder man schrieb keinen Roman. Oder man schrieb einen, einen verlogenen. Aus dieser Verlogenheit haben alle, die Romane geschrieben haben, versucht, sich herauszulügen.“

Dass Illusionen lebensnotwendig waren, ist für ihn kein Grund, sie nicht endgültig zu begraben: „Spätestens heute ist es klar, es waren glatte Niederlagen, was man als Sieg feierte. Denn die einzig unteilbare Zahl ist die Wahrheit.“ Die Unwägbarkeiten und handfesten bis handschellenträchtigen Risiken, mit denen er als Autor und Verleger umzugehen hatte – und umzugehen wusste –, entlocken ihm heute noch milden Sarkasmus: „Besonders mutig war ich nicht, wirklich, ich hab gerne mit dem Feuer gespielt, was ich an Angstschweiß vergossen habe, damit könnte man etliche Mühlen antreiben, doch welche?“ Hier blinkt sie auf, die Hodjaksche Aporie; nie aber endet sie in der Erstarrung, vielmehr leben seine Texte gerade von der Einsicht in Unmöglichkeiten aller Art.

Möglich geworden sind so in Deutschland vier Gedicht- und zwei Prosabände, ein Monodrama, drei Romane, eine Aphorismensammlung, zuletzt gleich drei Bücher in rund einem Jahr, und wie nach einem rumänischen Spruch die Tage noch nicht in den Sack gekrochen sind, so hat auch Franz Hodjak denselben noch längst nicht zugemacht. Er schreibt stetig und mit stetigem Verzicht auf Beliebigkeit weiter an seiner grundirdischen Metaphysik, in der Gott und die „ordnungssichernde“ sowie viele andere „Behörden“ vor allem dadurch immer und überall präsent sind, dass man sie nicht sieht. Sein Schreiben hat dieses ganz bestimmte Ziel: die Behörde, vom Türsteher bis hin zu Gott. Die Behörden sind’s, die Leben verhindern, die Sprache ist’s, die Leben möglich macht. Ein Realist von hohen, raffinierten Graden erschließt seinem Leser die nackte Wirklichkeit mitsamt ihren Verkleidungen. Selbst in Franz Hodjaks Prosa herrscht deshalb eine Nervosität von lyrischer Konsistenz. Er hat diese Anspannung und den Anspruch, der dahinter steht, so formuliert:

schreibst du ein gedicht/ verfaß es so/ als wäre es das letzte

Sprache im Ausnahmezustand ist ein Indiz für den Ausnahmezustand des Menschen. Franz Hodjak unternimmt im Angesicht dieses Zustandes den Versuch, Sprache als Lebensform zu gestalten. Seine Dichtung ist die Rückführung der Aussage- in die Frageform, die ausgesprochene Verwunderung, dass man zwar nicht richtig leben, es aber zumindest richtig sagen kann. Der Sinn liegt hinterm Wort oder im Hinterwort, etwa in den Umstandsbestimmungen, die in zwei Gedichten dem Zeitwort „leben“ beigegeben werden – und eben gar nichts bestimmen:

ich lebe unterdessen/ ein wandernder chronist,/ der nie ein land besessen/ und keins je vermißt/ die pissoirs der welt/ sind etwas selbstverständlich heiteres./ wer nirgends einziehn kann, nirgends aus,/ lebt bis auf weiteres

Auf vieles Weitere!

Georg Aescht

Schlagwörter: Hodjak, Jubiläum, Literatur, Dichter, Aescht

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