17. Dezember 2014

Abbrüche und Aufbrüche

Im Königreich Großrumänien stellten sie einst vier Prozent der Bevölkerung dar – die rund 750000 Deutschen, die sich im Laufe der vorangegangenen Jahrhunderte teils freiwillig, teils unter Zwang in den östlichen Gebieten Europas angesiedelt hatten: Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben, Sathmarer Schwaben, Banater Berglanddeutsche, Bessarabien-, Bukowina- und Dobrudscha-Deutsche, Zipser und andere kleinere Gruppen. Heute – nur 100 Jahre später – lebt gerade noch ein Zwanzigstel davon im Land, der Rest kehrte zurück in die alte, neue Heimat.
Wie erklärt sich der in mehreren Schüben verlaufene Massenexodus einer Volksgruppe, die jahrhundertelang Türken- und Tatarenüberfällen getrotzt und andere Widrigkeiten überstanden hat? Einer Gruppe, die ihr Deutschtum erfolgreich bewahren konnte und doch längst tief verwurzelt war mit dem Boden der neuen Heimat.

Diesen komplexen Fragen geht der Band „Abbrüche und Aufbrüche – Die Rumäniendeutschen nach zwei Weltkriegen“, herausgegeben von Hannelore Baier im Honterus Verlag, in fünf Kapiteln nach. Die zusammengefassten wissenschaftlichen Beiträge der Tagung „Die Rumäniendeutschen nach zwei Weltkriegen“, die vom Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien am 24.-25. Oktober 2014 in Hermannstadt veranstaltet wurde, beleuchten entscheidende geschichtliche Aspekte: Dr. Florian Kührer-Wielach, stellvertretender Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München, behandelt in seinem Beitrag, was es bedeutete, nach Ende des Ersten Weltkrieges, nach der Angliederung Siebenbürgens an das Königreich Rumänien, plötzlich „großdeutsch“ zu sein – und den damaligen Versuch, ein überregionales Deutschbewusstsein im neuen Staat zu bilden.
Mit der Frage, was die Rumäniendeutschen im Zweiten Weltkrieg ausgerechnet für Hilters Ideen empfänglich machte, setzt sich der Klausenburger Historiker Dr. Ottmar Trașcă in seinem Beitrag über deren Rolle als Teil des deutschen Spionagenetzwerks der SD-Ausland in Rumänien auseinander. Dr. Cosmin Budeancă, Direktor des Instituts für die Erforschung der Verbrechen des Kommunismus und des rumänischen Exils (IICCMER), beleuchtet aus der Sicht rumänischer Wahrnehmung, inwiefern der im Kommunismus durch Landenteignung und Nationalisierung erzwungene Beitritt von Sachsen und Schwaben in staatliche Genossenschaften, ihre Migration in die Städte und die dadurch erfolgte Schwächung der dörflichen Gemeinschaft eine Rolle für die Auswanderung spielten. Mit dem Schriftstellerprozess von 1959 als Beispiel für politische Repressalien des kommunistischen Regimes gegen die deutsche Minderheit setzt sich der an der Lucian-Blaga-Universität in Hermannstadt unterrichtende Historiker Dr. Corneliu Pintilescu auseinander. Hannelore Baier befasst sich in ihrem Beitrag „Exodus statt Anpassung“ mit den beiden politischen Vertretungen der Rumäniendeutschen in der kommunistischen Zeit: Warum wurden das „Deutsche Antifaschistische Komitee“ und der „Rat der Werktätigen deutscher Nationalität“ von den Rumäniendeutschen eher mit Misstrauen betrachtet? Warum griff die Idee des Kommunismus unter den Deutschen nicht so, wie einst die des Nationalsozialismus?

Spannende Fragen, auf die es auf 149 Seiten ausführliche und fundierte Antworten gibt. Zahlreiche Quellenangaben helfen jenen, die sich weiter in die Thematik vertiefen möchten. Leicht zu erschließen ist das Thema aber auch für den flüchtigen Leser, der anhand der Zusammenfassungen an den Kapitelenden bereits eine Vorstellung erhält – und Gefahr läuft, Lust auf das ganze Buch zu bekommen! Wer sich ein schlüssiges Bild über die Geschichte und Ursachen des Phänomens Auswanderung machen will, kommt um die Lektüre dieser packenden Abhandlung über die letzten 100 Jahre rumäniendeutscher Geschichte nicht umhin.

Nina May



Abbrüche und Aufbrüche. Die Rumäniendeutschen nach zwei Weltkriegen. Tagungsbeiträge. Rupturi și începuturi. Germanii din Romania după două războaie mondiale. Comu­nicările unui simpozion. Herausgegeben von Hannelore Baier, Honterus Verlag, Hermannstadt, 2014, 149 Seiten, 11 Euro, ISBN 978-606-8573-13-7, Bezug über den Schiller Verlag.
Demokratisches Forum der Deutschen in Hermannstadt [Hrsg.]
Abbrüche und Aufbrüche. / Rupturi si inceputuri

DFDR / Honterus,
Taschenbuch

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Schlagwörter: Buchvorstellung, Geschichte

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