19. Oktober 2015

Fehmarn und Siebenbürgen: Anmerkungen zu einigen rechtshistorischen Parallelen

Fehmarn ist mit einer Fläche von rund 185 Quadratkilometern die drittgrößte Insel Deutschlands. Sie liegt zwischen der Kieler Bucht und der Lübecker Bucht in der Ostsee und zählt nur etwa 12 500 Einwohner. Verwaltungsmäßig gehört sie zum Kreis Ostholstein, der sich größtenteils mit dem historischen Wagrien (heute Oldenburger Land) deckt. Durch den Zusammenschluss der Stadt Burg mit drei Landgemeinden, bildet die gesamte Insel die Stadt Fehmarn.
Am Anfang eines kurzen historischen Abrisses soll die Besiedlung durch den slawischen Stamm der Wagrier von 400 bis 900 n. Chr. stehen. Nach der Eroberung Wagriens durch Graf Heinrich von Badewide im Jahr 1138 erfolgte dessen Eingliederung in die Grafschaft Holstein. Fünf Jahre später wurde das heutige Ostholstein mit holländischen, flämischen, westfälischen und auch friesischen Siedlern planmäßig kolonisiert. In späteren Jahren wanderten von Wagrien viele Siedlerfamilien auf die Insel hinüber, und ab etwa 1170 kamen Kolonisten auch aus Dithmarschen, Friesland und dem Herzogtum Sachsen hinzu.

Nach wechselnder Zugehörigkeit zum Herzogtum Schleswig und zum dänischen Königreich, zuletzt zwischen 1713-1867, kam Fehmarn danach unter preußische Herrschaft. Innerhalb der Gesamtstruktur Schleswig-Holsteins konnte sich die „Landschaft“ (Landesverband) Fehmarn eine Sonderstellung erobern und ein in mehrerlei Hinsicht freies, genossenschaftliches und eigenständiges Bauerntum entwickeln. Größere Landbesitzungen waren auf der Insel fast überhaupt nicht anzutreffen, der Adel fehlte ganz. Da die Küstengebiete oft durch die Naturgewalten des Meeres bedroht wurden, schlossen sich die Fehmarner schon sehr früh zu Deich- oder Siedlungsgenossenschaften zusammen.

Das genossenschaftliche Element kam auch in Zusammenschlüssen wie den Gilden und Bruderschaften sowie in den Nachbarschaften zum Tragen. Die bäuerliche Bevölkerung setzte sich aus den landbesitzenden Bauern, auch Hufner genannt, sowie den sogenannten Insten und Heuerlingen zusammen. Diese Schichtung rührte hauptsächlich daher, dass viele von den eingesessenen, an den Rand gedrängten Altsiedlern zu wenig (Insten) oder überhaupt keinen Grundbesitz und keinen Hof (Heuerlinge) hatten. In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist zwischen zwei verschiedenen Rechtskörpern zu unterscheiden: Einerseits die Stadt Burg, die dem Landesherrn unmittelbar unterstand und deren Stadtrecht dem lübischen Recht nachgebildet war, und andererseits die Landschaft Fehmarn, die sich eigene Landrechtsbestimmungen gegeben hatte und über eine bäuerliche Selbstregierung und kommunale Autonomie verfügte.

Im ältesten Landrecht Fehmarns von 1320/21 wurden Gewohnheitsrechte kodifiziert, so dass man es füglich als ein Landesweistum bezeichnen kann. Die 38 Artikel enthalten hauptsächlich Strafbestimmungen, Angaben zum Erbrecht, sowie Bemerkungen zur Gerichtsverfassung und zur Verfahrensordnung. Dieser mittelalterliche Codex bedurfte in erster Reihe der Zustimmung der so genannten potiores, das waren die Vertreter der freien Bauern Fehmarns. Aus der ältesten erhalten gebliebenen Originalurkunde Hermannstadts von 1292 geht u.a. hervor, dass an der Spitze der Hermannstädter Provinz die Richter und Geschworenen standen.

In der Folge wurden sie abwechselnd als potentes oder potiores bezeichnet. Genauso wie beim sächsischen Eigenlandrecht war die Wirksamkeit des Fehmarner Landrechtes von der Bestätigung durch den König abhängig. In der Urkunde ist auch bezeugt, dass die ganze Landesgemeinde „communitas (universitas) totius terrae“ dem jeweiligen Souverän die Treue gelobt.

In Siebenbürgen war es bekanntlich die Nationsuniversität (Universitas Saxonum), die über fast 400 Jahre als oberste Verwaltungs- und Gerichtsbehörde im Dienste der Sachsen stand. Die als Landrecht II bezeichnete Handfeste wurde den Fehmarnern 1326 verliehen. Eine weitere Quelle des Fehmarner Landrechts war die Compositio von 1329. Darin finden auch die Ratmannen (consules) in Burg Erwähnung, ebenso wie in einer Urkunde des Sächsischen Nationalarchivs 1386 von „consules, jurati, cives…“ die Rede ist. Gelegentlich war für die Ratsherren der Marktgemeinden, wie etwa in Rosenau, die lateinische Bezeichnung consules üblich.

Zum Unterschied vom siebenbürgischen Königsrichter, der als Vertreter des ungarischen Königs eingesetzt bzw. später gewählt wurde, hieß der Vertreter des dänischen Königs „advocatus (Vogt)“.

Dieser Begriff taucht in Siebenbürgen mitunter in Zusammenhang mit begüterten Abteien (Schirmvogt) oder auch mit den Landvögten des Hermannstädter Stuhls auf. Im Landrecht von 1558 wird dann der Landvogt zum ersten Mal genannt. Er nahm eine Art Zwischenstellung zwischen der Landesherrschaft und der Landschaft Fehmarn ein und war dem Landesherrn durch den Eid verpflichtet. Auf Gemeindeebene stand der auf ein Jahr gewählte Dorfgeschworene an der Spitze der Verwaltung. In größeren Dörfern gab es bis zu vier Geschworene. Ihnen oblag die allgemeine Polizeiaufsicht, sie überprüften, ob die Bestimmungen des Landrechtes und sonstige Rechtsetzungen eingehalten wurden. Die wichtigste Funktion bestand jedoch darin, die Nachbarschaftsversammlungen, die gewöhnlich viermal jährlich stattfanden, einzuberufen und zu leiten.

Der Zuständigkeitsbereich des Dorfgeschworenen kam in etwa jenem eines siebenbürgischen Dorfhannen gleich.

Während auf Fehmarn erst seit Mitte des 16. Jahrhunderts von einem Landschreiber die Rede ist, wird in der Hermannstädter Grafschaft schon 1323 ein Schreiber erwähnt. In späteren Zeiten sollten die Stadtschreiber (notarius civitatis) ein besonderes Ansehen genießen. Andererseits sollte das Amt des fehmarnschen Landschreibers im Verlauf der Zeit zur wichtigsten landesherrlichen Verwaltungsbehörde auf der Insel avancieren.

Von besonderer Wichtigkeit für die Dorfgemeinden Fehmarns waren die „Nachbarschaften“. „Nachbarn“ waren die vollberechtigten Bauern eines Dorfes, sofern sie eine bestimmte Mindestfläche an Grund und Boden und einen eigenen Rauch, also ein eigenes Haus, besaßen. Sie bestimmten über die inneren Angelegenheiten des Dorfes ebenso wie über zeitliche Arbeitsabläufe und die Rechte in der Flurgemeinschaft. Hinzu kam die dörfliche, niedere Gerichtsbarkeit, etwa bei Felddiebstahl.

Ein wesentliches Merkmal der älteren Dorfgemeinden war, wie in Siebenbürgen, die Gemeinschaftspflege, z.B. gegenseitige Hilfeleistung, Leichenfolge oder Ausrichtung der Dorffeste im Jahreskreis.

Die niederdeutschen Dorfbeliebungen bzw. -willküren hießen auf Fehmarn Nachbarbücher. Sie wurden erst in späterer Zeit niedergeschrieben, weisen aber in Ausdruck und Stil in ältere Epochen zurück.

Mehr als bemerkenswert fällt der Vergleich zwischen fehmarnscher und siebenbürgischer Rechtsgeschichte bei einer besonderen Institution auf, den sogenannten nominati (denominati), zu deutsch Genannte (Benannte).

Der erwähnte advocatus führte in den zwei Gerichtsbezirken Fehmarns den Vorsitz und ernannte für die jeweiligen Verhandlungen bzw. für die Untersuchungen bei schweren Straftaten die nominati. Diese wurden sozusagen als Untersuchungsrichter tätig und anhand ihrer Urteilsfindung fällte der Vogt den Urteilsspruch.

Eine eventuelle Berufung ging an das königliche Gericht. In einem Fragment des „Hermannstädter Statuts“ aus der Mitte des 15. Jahrhundert sind auch Bestimmungen über die Betätigung der Genannten enthalten.

Demnach nahmen diese, gemeinsam mit den Ratsherren, an der Beaufsichtigung von Gemeindearbeiten teil. Außerdem wirkten sie, als untergeordnete Körperschaft, bei Gerichtsverhandlungen des Rates mit.

Bereits im 13. Jahrhundert werden nominati in Wien, Regensburg, Neuß u.a. Städten erwähnt. Hierbei ist Wien für Hermannstadt und Fehmarn besonders interessant. Hier spielten die Flandrer im 13. Jahrhundert eine bedeutende Rolle, nachdem Herzog Leopold ihnen 1208 einen Freiheitsbrief („Flandrerprivileg“) ausgestellt hatte. Sie traten als angesehene Kaufleute in der Stadt auf, flämische Sitte galt als die feinste bei Hof.

Es ist nachgewiesen worden, dass das Rechtsinstitut der Genannten ursprünglich auf den flandrisch-nordfranzösischen Rechtskreis zurückgeht und von flämischen Siedlern, so wie nach Wien höchstwahrscheinlich auch nach Fehmarn und Hermannstadt gebracht wurde. Der bekannte Historiker Georg E. Müller (1866-1944) hat an mehreren Stellen seiner Abhandlungen auf die Verwandtschaft einiger siebenbürgisch-sächsischer Rechtsbestimmungen mit Stadtrechten westflandrischer Städte wie Poperinge, Veurne u.a. hingewiesen.

Es waren die berühmten priores flandrenses, oder auch die alii flandrenses, die auf diese Art ihre Visitenkarte den nachmaligen Siebenbürger Sachsen gaben.

Im Übrigen: Auf das Jahr genau, nämlich 1867, wurde sowohl für die fehmarnschen Privilegien und Sonderrechte als auch für die Nationsuniversität der Siebenbürger Sachsen leider das Ende eingeläutet. Es war diesmal reiner Zufall.

Walter Schuller, Traun

Schlagwörter: Geschichte, Recht

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