30. Januar 2017

Aufschlussreiches Landler-Seminar in Bad Kissingen

Vom 25. bis 27. November 2016 fand in der Bildungs- und Begegnungsstätte ,,Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen das zweite Seminar zum Thema Landler statt. Der Einladung des Bildungsleiters Gustav Binder folgten 72 Teilnehmer. Die im Folgenden überblicksartig zusammengefassten Fachreferate behandelten neben der Begriffsgeschichte diverse weitere Aspekte der „Transmigration“ österreichischer Protestanten nach Siebenbürgen.
„Transmigration“ ist ein verhüllender Begriff, der im 18. Jahrhundert für die Deportation von Protestantinnen und Protestanten aus den Erblanden nach Siebenbürgen verwendet wurde, stellte Univ.-Dozent Dr. Stephan Steiner von der Universität Wien klar. Derartige Zwangsverschickungen fanden zuerst unter Karl VI. in der Zeit von 1734 bis 1737 weitgehend parallel im Salzkammergut und in Kärnten statt. Auf diese Methode griff dann auch Maria Theresia zurück, als sie Transmigrationen zwischen 1752 und 1758 im Land ob der Enns, Kärnten, der Steiermark, von 1773 bis 1776 nur noch in der Steiermark durchführte. In einer Zusammenschau der europäischen Deportationssysteme in der Frühen Neuzeit (z. B. in Portugal, Spanien, Frankreich) wurde im Vortrag aufgezeigt, wie sehr auch die Habsburgermonarchie, trotz des Fehlens von Kolonien, an einer regelrechten Deportationspolitik in der europäischen Staatenwelt der Frühen Neuzeit Anteil hatte. Im Weiteren widmete sich der Vortrag einer Gesamtgeschichte der Deportation in der Habsburgermonarchie. Denn nicht nur Protestantinnen und Protestanten waren von dieser Zwangsmaßnahme betroffen: auch gegen andere Minderheiten (Spanier in Wien) oder gegen Aufständische (Salpeterer, Kroatische Tumultuanten) wurde sie angewandt. Die heute noch erhaltenen Zeichnungen sprechen auch nicht von der Tracht der Landler, sondern von der Tracht der Transmigranten.

Dr. Mathias Beer vom Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde ging in seinem Vortrag der Frage nach, wie die Geschichte der Transmigrationen in Siebenbürgen im 19. Jahrhundert erzählt wurde. Wer waren diese Erzähler und welche Folgen hatten diese Erzählungen und Erzähler auf das Bild der Transmigrationen in der Öffentlichkeit? Dabei wurde die These entwickelt, dass siebenbürgische Pfarrer wesentlich dazu beigetragen hätten, dass sich gerade unter den Transmigranten und ihren Nachkommen insgesamt ein unzutreffendes Bild von den Transmigrationen verfestigt habe. Dieses Bild entfalte bis in die Gegenwart eine große Wirksamkeit.

Nachdem die These an Publikationen von vier siebenbürgisch-sächsischen Pfarrern, (David Krasser (1821-1898), Ernst Thullner (1862-1918), Helmut Klima (1915-1990) und Ernst Martin Weingärtner (+2001), durchgespielt wurde, stellte der Beitrag Joseph Ettinger (1786-1841) in den Mittelpunkt. Mit seiner 1834 veröffentlichten Darstellung „Kurze Geschichte der ersten Einwanderung oberösterreichischer Glaubensbrüder nach Siebenbürgen“ gilt er als Urvater der Transmigrantenforschung in Siebenbürgen. Joseph Ettinger lieferte mit der Aus- bzw. Einwanderung des Glaubens wegen eine religiös, staatstragend und befriedend grundierte Deutung der Transmigrationen. Er legte damit die Grundlage für eine spezifische Erzählung der Geschichte der Transmigrationen, die eine breite und nachhaltige Wirkung entfaltete. Dieser Art des Erzählens folgten seine Kollegen, von denen vier genannt wurden. Sie alle erweisen sich damit als „Arbeiter am Gedächtnis“ zu den Transmigrationen, das von der historischen Wirklichkeit abweicht.
Die Teilnehmer des Landler-Seminars in der ...
Die Teilnehmer des Landler-Seminars in der Bildungs- und Begegnungsstätte "Der Heiligenhof" in Bad Kissingen. Foto: Gustav Binder
Dr. Irmgard Sedler, seit 2003 Direktorin des Museums im Kleihues-Bau in Kornwestheim, hat den Begriff „Transmigration“ als von der Staatskanzlei des Habsburgerreiches verwendete Bezeichnung zur Verschleierung von Zwang und Gewalt bei der Auswanderung der Protestanten aus Oberösterreich interpretiert. Die Ansiedlung der Landler sei jedoch keine romantische Auswanderung evangelischer Glaubensstreiter gewesen, die in der neuen Heimat im Geiste der Glaubenstreue und der Gemeinschaft mit offenen Armen empfangen worden seien. Die nach Siebenbürgen verschlagenen Anhänger der Lehre Martin Luthers wären keine freiwillige Auswanderer („Emigranten“) gewesen, sondern aus ihrer Heimat unter Zwängen Vertriebene, Opfer einer politisch und religiös motivierten Verschleppung, ohne eine Option auf Wiederkehr in ihre österreichische Heimat.

Die Eingliederung der Transmigranten in die Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen sowie in das kirchliche Leben war ein langer und schwieriger Weg. Die Aufnahme in die sächsischen Zünfte wurde ihnen erschwert, Löhne für geleistete Arbeit vorenthalten und vieles andere mehr. Wohl auch dadurch entwickelten die Nachkommen der Transmigranten in den Orten Neppendorf, Großau und später Großpold, in denen sie sich am zahlreichsten niederließen, ein eigenes, starkes Gruppenbewusstsein.

Pfarrer Karl-Heiz Keller aus Schwabach, hat in seinem Referat anhand des Beispiels Adam Katheder die Geschichte der Exulanten dargestellt. Im Gegenzug zu den Transmigranten haben die Exulanten das Land freiwillig verlassen. Der Ort Schwabach war eine Art Zwischenstation. Von hier wurden die Exulanten dann „in weitere Teile nördlich Schwabachs weitergeleitet“.

Unter dem Titel „Von den Transmigranten zu den Landlern“ skizzierte Dr. Ulrich Wien, Landau/Pfalz, Vorsitzender des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, zunächst die Rezeptionsgeschichte der Reformation auf dem Gebiet des heutigen Österreich. Etwa 80 % der Bevölkerung dieser Regionen im 16. Jahrhundert zählte sich zu den Protestanten, die besonders von den österreichischen Ständen, vor allem vom Adel repräsentiert und durch Kaiser Mathias informell geduldet wurden. Mit dem Einsetzen der „Reformationskommissionen“ wurde in drei nacheinander einsetzenden Wellen (Ende des 16. Jahrhunderts, 1628 und 1650) die Rekatholisierung vorangetrieben – mit dem Ergebnis eines zunächst nur geschwächten, schließlich aber öffentlich nicht mehr in Erscheinung tretenden Geheimprotestantismus (einschließlich der Auswanderung des protestantisch gebliebenen Adels 1652). Die Kriminalisierung der Geheimprotestanten als Aufrührer und deren systematische Verfolgung im 18. Jahrhundert führte zur gewaltsamen Verbringung hartnäckiger Protestanten in das rückeroberte Siebenbürgen unter Karl VI. und Maria Theresia und zu großen Tragödien: Auseinanderreißen von Familien, Kindern und Eltern, Tod aufgrund der Reise- und klimatischen Strapazen. Auch wurde den Zwangsverschickten oftmals ihr Vermögen durch Misswirtschaft vorenthalten, sie am Ankunftsort mit großem Widerwillen empfangen und zum Teil schamlos ausgenutzt. Die eigenprofilierte Frömmigkeit der ehemaligen Geheimprotestanten führte nach konfliktgeladenen Jahrzehnten zur Kräftigung der dortigen lutherischen Gemeinden und zur Ausbildung einer nach Ortschaften differenzierten landlerischen Identität, die sich bis in die 1990er Jahre erhalten hat.

Renate Bauinger-Liebhart, eine gebürtige Neppendörferin, nun beim Evangelischen Bildungswerk Oberösterreich tätig, ist mit dem Vortrag „Das Frauenbild und Rollenverständnis in den Landlerdörfern im Laufe der Zeit“ aus dem Salzkammergut angereist. Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts war patriarchalisch organisiert. In dieser von Männern dominierten Welt ist die Rolle der Frau definiert als Mutter, Hausfrau und Bäuerin, auch in den Landlerdörfern, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch mehrfach gewandelt hat. Berufliche Tätigkeiten als Dienstmädchen, Köchin, aber auch am Bau waren in den Nachkriegsjahren plötzlich zulässig. Sich in anstrengenden Berufen abzurackern und nebenher noch für die Kindererziehung und den Haushalt zuständig zu sein, war nun die neue Frauenrolle. Für die heranwachsende Frauengeneration wurden in den 1950er und 60er Jahren auch typisch weibliche Berufe wie Krankenschwester, Verkäuferin, Friseurin, Kindergärtnerin oder Lehrerin zugängig. Das Ehrenamt in der Kirche öffnete sich nun, wenn auch langsam, auch für die Frauen. In den 1980er Jahren schafften es die ersten Frauen, eine Akademikerlaufbahn einzuschlagen. Die wohl größten Veränderungen, auch im Rollenverständnis, brachten die letzten 25 Jahre, die Zeit der Auswanderung und die Jahre danach.

Nach einer von Dechant Dietrich Galter aus Neppendorf am letzten Seminartag zelebrierten Morgenandacht wurde es ruhig unter den Teilnehmern. Zusammen mit den ebenfalls aus Siebenbürgen angereisten Renate Köber und Andreas Huber, Honorarkonsul der Republik Österreich in Hermannstadt, wurde aus dem Gemeindeleben in Großau und Neppendorf berichtet. Während in Neppendorf noch alle Sonn- und Feiertage Gottesdienst stattfinden, so geschieht dies in Großau nur noch nach Möglichkeit. Zählt der Gemeindeverband in Neppendorf noch 121 „Seelen“. so sind es in Großau noch derer 39. Und dennoch gibt es noch einen Handarbeitskreis, man trifft sich zumeist vor Feiertagen zum gemeinsamen Kuchenbacken oder einfach mal zu einer Tasse Kaffee. In Großau und auch in Neppendorf sind in den Kirchburgen anspruchsvolle Heimatstuben eingerichtet worden, die auch liebevoll gepflegt werden.

Die Veranstaltungsreihe zum Thema Landler soll auch in Zukunft weitergeführt werden, sagte Studienleiter Gustav Binder zum Abschluss.

Josef Ramsauer



Schlagwörter: Landler, Seminar, Bad Kissingen, Vortrag, Historiker, Sedler

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