4. April 2017

Exportgut Reformation

Passend zum Reformationsjubiläum 2017 hielt Dr. Ulrich Andreas Wien am 24. Februar im Rahmen der Stuttgarter Vortragsreihe einen hervorragenden Vortrag über die Reformation in Siebenbürgen. Die Reformation war zunächst eine Kirchenreformbewegung innerhalb der lateinischen Westkirche, die, ausgehend von Martin Luthers Thesenanschlag an die Tür der Schlosskirche von Wittenberg am 31. Oktober 1517, besonders in die deutschsprachigen Siedlungsgebiete Europas bis nach Siebenbürgen ausstrahlte.
Als östliches Grenzgebiet des damaligen ungarischen Reiches hatte Siebenbürgen zur Zeit Luthers eine besondere Rolle als Vorposten des katholischen Christentums. Das Schicksal des christlichen Abendlandes entschied sich oft hier im Osten und Südosten, wenn man an die Türkenabwehr denkt. Schon Papst Eugen IV. hatte Hermannstadt im 15. Jahrhundert als „schirmendes Bollwerk nicht nur des ungarischen Reiches, sondern der gesamten Christenheit“ bezeichnet.

Bereits sehr früh, um 1519/20 und begünstigt durch die Erfindung der Buchdruckerkunst, verbreiteten sich durch Kaufleute und Studenten Luthers Schriften und Flugblätter in Hermannstadt, Kronstadt und anderen Städten in Siebenbürgen. Bald darauf fingen in Privathäusern humanistisch gesinnter Stadtbürger einige Mönche an in deutscher Sprache zu predigen. Antiklerikale Spottgedichte wurden verfasst, während Vermächtnisse und Stiftungen zugunsten der Kirche fast völlig aufhörten. Politisch war der Verband der Sachsen zusammengeschlossen und repräsentiert in dem Landstand (natio) der Universitas Nationis Saxonicae, der seit 1476 so benannten sächsischen Nationsuniversität in Hermannstadt. Ergänzend bildeten die geistlichen Kapitel (Dekanate) der deutschen Pfarrgemeinden den seit 1336 nachweisbaren Abgabenverband der Geistlichen Universität mit einem Generaldechanten als Repräsentanten. Trotz Verboten und Drohungen konnte die Verbreitung der Reformationsschriften und -ideen nicht aufgehalten werden. Der Ausbreitung der lutherischen Lehre kam zugute, dass sich das ungarische Königtum nach 1525 in einer tiefen Krise befand. Osmanische Truppen besiegten das ungarische Heer in der Schlacht von Mohacs, in der ein Großteil des Adels und der kirchlichen Elite mitsamt dem König den Tod fand. Anschließend gab es über 15 Jahre erbitterte Thronstreitigkeiten in Siebenbürgen, bis die Osmanen eingriffen und am 29. August 1541 Buda besetzten. Ungarn wurde für 150 Jahre dreigeteilt und das östliche Gebiet mit Siebenbürgen wurde ein eigenständiges, aber den Osmanen tributpflichtiges Königreich (seit dem Speyerer Vertrag mit den Habsburgern 1570 Fürstentum). Regierungssitz wurde der einstige Bischofspalast in Weißenburg.

Zentren der Reformation bei den Siebenbürger Sachsen wurden Kronstadt und Hermannstadt. In der Stadt unter der Zinne wurde Johannes Honterus (1498-1554), Absolvent der Wiener Universität mit zahlreichen Kontakten zu den geistigen Mittelpunkten Europas, zum Reformator Siebenbürgens. Honterus hatte sich als Verfasser und durch den Druck humanistischer Schriften, z. B. einer Weltbeschreibung von 1530 und der Siebenbürgenkarte von 1532, sowie zahlreicher Übersetzungen griechischer und lateinischer Schriften und der Entwicklung von Grammatiken in diesen beiden Sprachen und Schulbüchern einen Namen gemacht. In Kronstadt hatte er den Durchbruch zur Anerkennung der neuen reformatorischen Lehre erzielt, so dass 1542 Hieronymus Ostermeyer notierte: „Hat man im Monat Octobris angefangen evangelische Mess zu halten in Croner Kirch und die papistische weggeschafft.“ Im gleichen Jahr legte er das Reformationsbüchlein und 1543 eine Verteidigungsschrift des reformatorischen Vorgehens in Kronstadt vor. Über den Hermannstädter Stadtpfarrer Mathias Ramser gelangte das Reformationsbüchlein zur Begutachtung an die Wittenberger Reformatoren. Diese lobten die Schrift, Melanchthon veranlasste sogar eine Neuausgabe mit einem eigenen Vorwort in Wittenberg, und Luther schrieb an Mathias Ramser, hier nach Teutsch (1921) zitiert, wie folgt zurück: „Alles, was du mich fragst, findest du in diesem Büchlein besser, als ich es dir schreiben kann. Denn es gefällt mir sehr, dass so gelehrt, rein und gläubig geschrieben ist.“

Das Reformationsbüchlein des Honterus, der 1544 zum Stadtpfarrer in Kronstadt gewählt wurde, enthielt Anweisungen über den Dienst der Geistlichen bezüglich der rechten Verkündigung des Wortes und der schriftgemäßen Verwaltung der Sakramente. Die Ausführungen über das Abendmahl schlossen sich der lutherisch-reformatorischen Abendmahlslehre an. Das Herrenmahl sollte in beiderlei Gestalt, also in Brot und Wein, ausgeteilt werden und den Charakter eines Opfers und guten Werkes verlieren. Beichte und Sündenvergebung wurden nach neuen Gesichtspunkten geregelt und großes Augenmerk fiel auf die Reform des Schulwesens und die Neugestaltung der Waisen- und Armenpflege. Honterus war es ein wichtiges Anliegen Ärgernis und Spaltung zu vermeiden, Gemeinde und Amt davor zu bewahren „von altem christlichen Brauch ohn Ursach abzuweichen“. Sein Konzept wollte also keine radikale Änderung des Gemeindelebens und des Pfarramtes bewirken, sondern in gut lutherischem Sinn das Füllen der alten Formen mit neuen, dem Wort Gottes gemäßen Inhalten und die Beseitigung von aufgetretenen Missständen einleiten.

In Hermannstadt führte Stadtpfarrer Ramser 1543 die Reformation mit Hilfe des Stadtrates durch. Abschaffung der Marienverehrung und der kirchlichen Weihehandlungen sowie die Aufhebung des Zölibats gehörten zu den grundlegenden Neuerungen. Alle Still- oder Winkelmessen wurden untersagt und die Messe mit Opfercharakter durch das Abendmahl für Laien in beiderlei Gestalt (Brot und Wein) ersetzt. Die deutsche Bibel, die deutsche bzw. sächsische Predigt, in deren Mittelpunkt das Evangelium, die frohe Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Glauben stand, und das deutsche Kirchenlied hielten ihren Einzug in das Gotteshaus. Große Sorgfalt wurde auf die Privatbeichte gelegt, wobei die Vergebung und Entbindung erst dann zu erteilen sei, wenn das begangene Unrecht wieder gut gemacht worden ist.

Um die gottesdienstlichen Gebräuche zu vereinheitlichen, wurde im Frühjahr 1547 ein „Rat von gelehrten Männern“ in Hermannstadt einberufen, der der Neuordnung des kirchlichen Lebens im ganzen sächsischen Gebiet eine endgültige Gestalt geben sollte. Das Ergebnis war die „Kirchenordnung aller Deutschen in Siebenbürgen“ mit dem Reformationsbüchlein von 1543 als Grundlage. Laut Kirchenordnung sollte in allen Gemeinden der lutherische Katechismus aufliegen. Kirche und Gemeinden übernahmen die Verantwortung für Schule und Erziehung.

1550 beschlossen die Repräsentanten der Sächsischen Nationsuniversität die allgemeine Gültigkeit der Reformation für ihr Rechtsgebiet, so dass Martin Bucer, der Reformator im elsässischen Straßburg, vermelden konnte, dass „ganz Siebenbürg ist lutherisch wie mans nendt und evangelisch worden.“

Der 1549 aus Laibach nach Hermannstadt verbannte Pfarrer Paul Wiener (1495-1554) wurde auf Drängen der Nationsuniversität am 6. Februar 1553 von der evangelischen Synode als ihr „sichtbares Haupt“ zum ersten Superintendenten (Bischof) gewählt. Schon am 22. März 1553 vollzog Wiener in der Hermannstädter Stadtpfarrkirche die erste Ordination eines evangelisch-sächsischen Geistlichen. Er starb nach nur einjährigem Wirken an der Pest, die 1554 in Hermannstadt wütete und über 3000 Todesopfer forderte. Nachfolger Wieners wurde Mathias Hebler, der aus der Zips stammte und in Wittenberg ausgebildet worden war. Er vollendete das von Honterus begonnene Reformationswerk und setzte die Festlegung der Evangelischen Kirche Siebenbürgens auf das Augsburger Bekenntnis durch. Seit jenen Tagen heißt sie bis heute Landeskirche A.B.

So ist, um mit den Worten des Referenten Dr. Wien zu sprechen, das „Exportgut Reformation“ auch nach Siebenbürgen gelangt. Zugleich war es auch Exportgut in die Nachbarschaft: „Siebenbürgen, am Grenzpunkt zwischen Okzident und Orient gelegen, war in besonderer Weise dazu bestimmt, mit seinem lutherischen Erbe in das religiöse, soziale und selbst politische Umfeld hineinzuwirken.“ (Christoph Klein in einem Grußwort 1996 in Eisleben) In den Kontaktzonen zu Ungarn und Rumänen wurde es an diese weitergegeben. Filip Moldoveanu druckte 1544 einen rumänischen Katechismus (das erste gedruckte rumänische Buch) in Hermannstadt, später druckte mit Unterstützung des Kronstädter Rates der Diakon Coresi († 1583) ein Evangelienbuch und Gottesdienstbücher in rumänischer Sprache. Kaspar Helth übersetzte die Bibel ins Ungarische, ebenso den kleinen Katechismus Luthers (1550). Selbst für die Städte in der Walachei wurden reformatorische Pfarrer in Birthälm ordiniert.

1568 beschloss der siebenbürgische Landtag in Thorenburg (Turda) Religionsfreiheit für Lutheraner (Evangelische), Calvinisten (Reformierte), Unitarier und Katholiken. Die politisch nicht privilegierte orthodoxe Minderheit wurde toleriert. So wurde Siebenbürgen zur Pionierregion der Religionsfreiheit, die in der europäischen Geschichte einzigartig dasteht, weil sie Jahrhunderte überdauerte. Treffend formulierte der Dichter Max Moltke in der Hymne auf Siebenbürgen: „Siebenbürgen, Land der Duldung, jedes Glaubens sichrer Hort [...] Sei gegrüßt in deiner Schöne und um alle deine Söhne schlinge sich der Eintracht Band!“

Helmut Wolff

Schlagwörter: Reformation, Siebenbürgen, Luther, Honterus

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