3. Oktober 2018

„Und wir können nicht bleiben“: Hommage an den Banater Schriftsteller Richard Wagner

Zum 65. Geburtstag von Richard Wagner entstand die Idee, ihm jeweils einen Satz zu schreiben und diese in der Zeitschrift Spiegelungen zu veröffentlichen. Freunde, Weggefährten, Bekannte beteiligten sich daran. Doch da damit nicht alles gesagt war, entschieden sich Horst Samson und Anton Sterbling im Nachhinein, als Ergänzung und Fortsetzung den Band „,Die Sprache, die auf das Nichts folgt, die kennen wir nicht‘. Sätze und Texte für Richard Wagner“ im Pop Verlag herauszugeben. Dieser vereint nun im ersten Teil die besagten Gratulationssätze, die von lakonischen Aussagen bis zu spannungsgeladenen ausufernden Satzgefügen reichen, allesamt eine Hommage an den mittlerweile schwer erkrankten Schriftsteller.
Schon der Titel des Bandes steht unter dem Zeichen des Nichts, versucht aber dieses noch sprachlich zu verankern. Er stammt aus einem Interview des Schriftstellers mit Christina Rossi und zeigt einmal mehr, dass sich Richard Wagner in die Sprache rettet und seiner Krankheit einiges abtrotzt. „Und wir können nicht/ bleiben“ schreibt er auch in seinem „Gedicht“: „Wir, ja, wir, mit den selbsterzogenen Gefühlen,/ gehen hin, redend, ins Nichts.“ Wagner hatte zusammen mit Horst Samson für den Band dreizehn Gedichte ausgewählt, daraus besteht der zweite Teil. Einerseits sind es frühe Gedichte, die sich mit den rumänischen Verhältnissen befassen, andererseits späte. Der Tod ist dabei ein ständiger Begleiter, sei es im späten Gedicht „Die Körper“, wo diese unberührbar sind und „uns freundlich entgegenkommen/ Aus dem Nichts von nebenan“, sei es im Gedicht „Seeanemone“ aus den 1980er Jahren, in dem die eigene Vergänglichkeit zur Sprache kommt: „Ich sehe/ und sehe nicht/ ich vergehe und sehe/ und vergehe, vergehe nicht,/ Seeanemone.“ Hilfreich wäre dabei eine editorische Notiz mit den Erscheinungs- und Entstehungsjahren gewesen.

Als Aufklärer von Securitate-Verstrickungen nimmt ...
Als Aufklärer von Securitate-Verstrickungen nimmt Richard Wagner auch persönliche Einbußen in Kauf, hier als Angeklagter in einem Securitate-Prozess beim Landgericht München im Januar 2011. Foto: Konrad Klein
Der dritte Teil vereint Gedichte von Freunden und Bekannten mit losem beziehungsweise engerem Bezug zu Wagner. Es sind Gedichte von Temeswar, aus eigenen Büchern, von Reisen bei Ilse Hehn. Ein Schmankerl ist das verschollen geglaubte Poem „Periamportbewusstsein. In memoriam August 1974“ von Werner Kremm, das die Akteure der Aktionsgruppe Banat in ihren Jugendjahren vor uns erstehen lässt: „willi schluckt seine beruhigungspillen“, „das gebirgsmandl rolf“, „richard trinkt bitter“. Ironischerweise wurde der Text aus der Kopie der Securitate-Akten von William Totok rekonstruiert und dient somit im Nachhinein der Literatur. Johann Lippet präsentiert ein wundervoll aus Selbstzeugnissen Wagners zusammengebasteltes Gedicht, das den „leitartikelschnee“, den „lokalschnee“ und den „feuilletonschnee“ streift und über ein „gefühl der fremdheit beim betrachten von ansichtskarten“ und dem „knacken in den sätzen“ spricht. Dabei sind die Wörter schwarze Maulbeeren, die das Gesicht verändern, und das Haus steht darin, im Schlaf.

Traian Pop, der Verleger und Autor, veröffentlicht Gedichte aus seinem neu­en Buch „Absolute Macht“, Horst Samson beschreibt unter anderem Richard Wagners Zimmer: „viele leere flaschen und konservenbüchsen /zwiebeln kürbiskerne und akzente/ ein schutthaufen zeitungen“. Hellmut Seiler ist mit Gedichten, Aphorismen und Texten vertreten.

Zwischen Kafka und Science Fiction spielt die Satire von Gerhard Ortinau, die die Wichtigkeit des Banats auf die Schippe nimmt. Surreal und satirisch klingt auch der Prosatext von Anton Sterbling, der die Aktionsgruppe nicht immer so glücklich mit den Menschenschlangen der Flüchtlingskrise verbindet. Der fünfte Teil leuchtet mit mehreren Essays von Gerhardt Csejka, Walter Engel, Rudolf Herbert, Franz Heinz und Stefan Sienerth ungeahnte Facetten des Autors aus. Georg Aescht bezieht sich auf die spezielle Situation in Rumänien, dem Land, dem man verhaftet war. Peter Motzan schreibt über die Minderheitenliteratur und Wolfgang Dahmen ana­lysiert drei romanistische Gedichte. Ein bisschen verwundert der kunstgeschichtliche Beitrag von Ingo Langner, weil der Bezug nicht so offensichtlich ist. Walter Andreas Kirchner rundet den Band mit Malereien und Grafiken ab.

Insgesamt ist das Buch eine willkommene Sammlung, die an die verschiedenen Lebensetappen des interessanten Autors erinnert, der uns bis heute überrascht und sei es nur, wenn er völlig gelassen über das langsame Eingehen ins Sprachlose schreibt.

Edith Ottschofski


Horst Samson und Anton Sterbling (Hrsg.): „Die Sprache, die auf das Nichts folgt, die kennen wir nicht“. Sätze und Texte für Richard Wagner. Mit Grafiken und Malereien von Walter Andreas Kirchner. Ludwigsburg, Pop Verlag, 2018, 318 Seiten, 23 Euro, ISBN 978-3-86356-174-1.

Schlagwörter: Buch, Richard Wagner, Geburtstag, Hommage, Schriftsteller, Besprechung

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