15. Oktober 2020

Neuauflage von Ruth Eders Sachbuch über Abschiedsschmerz-Bewältigung

Der Sachbuch-Bestseller „Ich spür noch immer ihre Hand – Wie Frauen den Tod ihrer Mutter bewältigen“ von Ruth Eder, das in der Mitte dieses durch seine Pandemieproblematik sensibilisierten Jahres in einer überarbeiteten Neuauflage erschien, beeindruckt durch ein vielseitiges und vielschichtiges Erfahrungs- und Betrachtungspanorama: wie Töchter den Tod der Mutter erleben, diesen Abschied wahrnehmen, bewältigen und den damit verbundenen langzeitigen Schmerz in ihrem weiteren Leben akzeptieren.
Autorin Ruth Eder mit Tochter Martyna.	Foto: ...
Autorin Ruth Eder mit Tochter Martyna. Foto: privat
Ruth Eder, die vielen Lesern bereits durch ihren Siebenbürgen-Roman „Die Glocken von Kronstadt“ bekannt ist, ist eine bei München lebende freie Autorin mit siebenbürgischen Wurzeln. Nach langjähriger beruflicher Erfahrung als Regieassistentin bei Theater und Film, Journalistin, Redakteurin, Reporterin und Kolumnistin widmet sie sich vorzugsweise mit viel Erfolg der Kunst des Schreibens und erfreut sich durch eine Reihe von veröffentlichten Sachbüchern und Romanen einer großen Leserschaft.

Das Tabuthema Tod anzusprechen und es als einen Teil des Lebens sowohl pragmatisch-realistisch als auch mit gefühlvoller Tiefgründigkeit in seiner unabänderlichen Verbundenheit mit dem Leben darzustellen, um vor allem den Betroffenen den Umgang damit zu erleichtern, gelingt Ruth Eder auf beeindruckende Weise. In ihrem Buch erzählen fünfzehn Frauen unterschiedlichen Alters, Berufs und aus verschiedenen Lebenszusammenhängen kommend, wie sie den Tod der Mutter erlebt, gefühlt und bewältigt haben. Die Bindung zwischen Mutter und Tochter wird von der Autorin als besonders hervorgehoben, nicht zuletzt dank der Tatsache, dass die Tochter durch das Beispiel der Mutter auf ihre zukünftige Mutterrolle vorbereitet wird. Vor allem sie und ihre Liebe helfen ihr, die von der Mutter erfahrene Zuneigung selbst als eine liebevolle Mutter weiterzugeben.

Der Lebenseinschnitt des Todes der Mutter wird aus verschiedenen Blickwinkeln geschildert. Dabei wird mit großer Aufrichtigkeit ein reicher Fächer von Gefühlsnuancen in der Mutter-Tochter-Beziehung aufgezeigt. Diese entspringen manchmal einer kühlen Distanziertheit, einer angespannten und konfliktreichen Beziehung mit gegenseitig widerfahrenen Verletzungen, über späte Versöhnungsversuche, bis, in anderen Fällen, hin zu gegenseitigem Verständnis, liebevoller Nähe und selbstloser Hilfsbereitschaft und Begleitung der Mutter auf ihrem letzten Weg. „Jede von uns spürt noch immer ihre Hand, jede auf ihre Weise. Im Guten und im weniger Guten ...“, sagt die Autorin Ruth Eder in ihrem Vorwort zu den lebensnahen und ergreifenden Erlebnisprotokollen, in denen sie die Interviews ihrer Gesprächspartnerinnen nach Möglichkeit wortgetreu aufgenommen hat. Sie weist mit Feinfühligkeit und durch eigene Erfahrung erworbenes Verständnis darauf hin, dass erst die bewusste Auseinandersetzung mit den Abschiedsgefühlen für einen geliebten Menschen dazu führen können, die Trauer zu überwinden und sich an der bleibenden Erinnerung in Dankbarkeit zu erfreuen.

Ruth Eder bietet in ihrem Buch eine optimistisch-lebensbejahende und auch gleichzeitig realistisch-lebensnahe Stellungnahme zum verantwortungsvollen und menschlichen Umgang mit dem Sterben der Mutter, eine schmerzliche Erfahrung, die jede Tochter durchleben muss. Außer den prägnant erzählten Einblicken in die berührenden Einzelschicksale beeindruckt auch ein Zugeständnis an die Unsicherheit, die Schuldgefühle, den Selbstzweifel, die ausgesprochen werden. Diese sind vor allem in jenen Situationen überwältigend, wenn eine schwere Entscheidungsfindung für den Abschied der Mutter ansteht, wenn sich deren Lebensende durch fortschreitende Krankheit und Schmerzen ankündigt. Das Loslassen ist sozusagen der Beweis der wahren und zu Opfern bereiten Liebe. Es bestärkt die Tochter im Bewusstsein einer Notwendigkeit, die sie befähigt, Kraft aus dieser Liebe für die Entscheidung im Sinne der Scheidenden zu schöpfen. Dieses Wachsen, über die eigenen Kräfte hinaus, das oft unwirklich anmutet, setzt zunächst Sorgen und Gedanken frei, die belastend und entkräftend sind, doch letztendlich durch die Vergegenwärtigung des Unabänderlichen angenommen werden müssen. Dann erst vermögen die Gefühle von Nähe und Verbundenheit den Tod der Mutter zu überleben und in ein helles, mutmachendes Licht zu stellen. Ruth Eder erkennt in diesem Prozess die große Hilfe an, die Palliativbegleitung und Hospizeinrichtungen leisteten, die unterstützend dafür sorgen, dass der Abschied in menschlicher Würde und wenn möglich im eigenen Zuhause erfolgen kann. Diese soziale Unterstützung und ihre weitere Verbreitung müsse regional den immer größeren Bedürfnissen angepasst und dementsprechend ausgeweitet werden.


Dieses außergewöhnliche Buch berührt durch persönliche Schicksalserzählungen und umreißt gleichzeitig unumwunden und unsentimental die Realität der Situation, durch die Auseinandersetzung der Autorin mit der Stellung der Sterbeforschung und der Sterbebegleitung in der heutigen Gesellschaft. Es werden wissenschaftlich fundierte Aussagen und Statistiken im Rahmen der Sterbeproblematik angesprochen, mit Betonung der Notwendigkeit, dass in den Bereichen der Sterbebegleitung und Trauerbewältigung noch viel mehr getan werden muss, Dieses Sachbuch ist selbst eine wertvolle Hilfe für die sich beim Tod der Mutter langsam aufbauende Trauerbewältigung. Es ist, um es mit Ruth Eders Worten zu sagen, „nur zum Teil tod-traurig. Es ist auch – gerade durch den Versuch, sich dem Tode anzunähern – ein Plädoyer für das Leben und die Liebe. Denn, was hätten wir dem Abschied des Sterbens entgegenzusetzen, wenn nicht die Liebe?“

Ruth Eder spricht über das kalte und von den meisten Menschen verdrängte Thema des Todes der Mutter mit viel Wärme, indem sie es zuerst durch die Erfahrung, die sie selbst damit machen musste, mit bekennender Offenheit und wie ein Geständnis gegenüber einer guten Freundin vorstellt. In der Mitte des Buches folgen die Berichte eines bunten Straußes von Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, und das Ende runden Ratschläge und Vorschläge ab, die jedoch durch ihre Einbindung in die Problematik des Buches keine abstoßende Wirkung haben. Sie weisen vielmehr auf nachvollziehbare Möglichkeiten im individuellen und sozialen Lebensbereich hin und sind somit im wahrsten Sinne eine kleine Lebenshilfe. Es ist im Grunde, was man schon zu wissen meint, Gedanken, Gefühle und Zusammenhänge, in denen man sich oft selbst erkennt und wieder findet. Doch es ist beeindruckend, wie empathisch die Autorin das Todeserlebnis mit seiner Vorbestimmtheit und Unvermeidlichkeit ansprechen und ausdrücken kann, so dass es durch ihre geschickte Zusammenfügung eines komplexen Mosaiks in sich selbst einen stimmigen Themenabschluss findet.

Man liest Ruth Eders Buch gerne, sowohl wenn man den Tod der Mutter bereits erleben musste und darin seine eigenen Ängste, Sorgen, Sehnsüchte und unmöglichen Wünsche wiedererkennt, als auch wenn man eine Mutter hat, von der man sich leider irgendwann mit Schmerzen und Trauer verabschieden muss. Auf jeden Fall ist dieses Buch in beiden Fällen ein besonderes Geschenk. Es gibt Kraft und macht Mut, den Tod als Teil des Lebens zu akzeptieren, durch das Vermögen, die schönen gemeinsamen Erlebnisse wie einen Schatz zu bewahren und über den Abschied den Weg von der Last des Schmerzes zur Stille der Erinnerung zu finden.

Brigitte Kräch



Ruth Eder: „Ich spür noch immer ihre Hand. Wie Frauen den Tod ihrer Mutter bewältigen“, Verlag Noack & Block, Berlin, 2020, 176 Seiten, 11,99 Euro, ISBN 978-3-86813-105-5.

Schlagwörter: Buchvorstellung, Neuauflage, Ruth Eder, Kronstadt, Trauer, Abschied, Mutter

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