1. September 2021

Besuch der Pastior-Ausstellung „Aubergine mit Scheibenwischer“ im Stadtmuseum Erlangen

Man muss keine künstlerische Ausbildung haben, um fasziniert in eine Zeichnung von Oskar Pastior einzutauchen, wenn man sich z. B. auf eine Führung durch seine Zeichnungen in der Ausstellung „Aubergine mit Scheibenwischer“ einlässt. Dabei erfährt man Erstaunliches aus dem Leben des Georg-Büchner-Preisträgers und wie seine „Zeichengebilde“, die er selbst als „kleinen Nebentrieb“ seiner schriftstellerischen Tätigkeit bezeichnete, mit seinen „Wortgebilden“ verbunden sind.
Schon als Siebenjähriger in Hermannstadt zeichnete Oskar Pastior, sehr differenziert seine Umwelt wahrnehmend, und erstellte ein Modeheft mit weiblichen Figuren anlässlich eines Besuchs seiner Tante Mary, die Modezeichnerin war. Besonders hervorzuheben sind auch die damals entstandenen Wende-Figurinen (Reproduktion der Rückseiten), eine erste Annäherung an das Denken in Palindromen. Ein Satz-Palindrom ist z. B. „DIE LIEBE IST SIEGER - REGE IST SIE BEI LEID“ (rückwärts gelesen identisch).

Die lebenslange Leidenschaft Oskar Pastiors für das Nachtschattengewächs Aubergine sieht man auch in dem 1974 entstandenen Buch „An die neue Aubergine“, eine Art Tagebuch über die Fremdheit mit Text im Reißverschlussverfahren und gegenübergestellter Zeichnung. Seine Zeichnungen offenbaren sein besonderes Augenmerk für räumliche Strukturen und Lagebeziehungen zwischen Umweltelementen. In Anspielung an den „Kehrricht“ zeichnet der Künstler z. B. Nebenprodukte zum „Höricht“, weil sich beim Hören so viele, auch unerwünschte, unterschiedliche Klänge vermischen, dargestellt etwa in der Zeichnung „Wahrnehmung in der städtischen Umwelt“ oder in „Tortur-Vorschlag (3 Saphire)“.
Einige Zeichnungen aus der Serie „Der ...
Einige Zeichnungen aus der Serie „Der Krimgotische Fächer“. Foto: Doris Hutter
Mit dem Projekt „Krimgotischer Fächer“ (1978), das übrigens an Goethes „West-östlichen Divan“ erinnert, meint Kurator Lutz Dittrich, „durchbrach Oskar Pastior die Einsprachigkeit, schöpfte aus dem Fundus seiner vielstimmigen Sprachbiographie und fächerte sowohl in den Texten als auch auf den Bildtafeln eine Art Privatsprache auf“. Diese 15 Tafeln sind auf ihre Art beeindruckend: Eine ursprüngliche Vorlage des auf allen Tafeln erscheinenden Grundmusters (die Motive sind ein Ohr links unten, ein Hund in der Mitte oben und Pinocchio rechts unten) wurde von Oskar Pastior einem Computer mit dem Lichtgriffel, also manuell eingegeben. Diese Vorlage wurde dann mehrfach fotokopiert und jede Fotokopie mit dem Kugelschreiber von Hand weiterentwickelt, wodurch 15 ganz verschiedene Blätter (siehe einige davon im Bild), alle von den gleichen Motiven ausgehend, entstanden, Graphiken, die es zu entdecken gilt bzw. denen ein Sinn zu geben ist.

Im Gedichtband „Fleischeslust“ (1976) verarbeitet er Beobachtungen aus der Clausewitzer Wohngemeinschaftsküche, in der er von 1973-1985 in Berlin Charlottenburg lebte, so z. B. wie die Mitbewohnerin Barbara ein Ferngespräch mit ihrer Mutter führt, weil das Marillenmus nicht geliert. Dabei wuselt das Telefonkabel vom Innentitel des Buches bis zum Gedicht auf Seite 29. In der Ausstellung besonders ausdrucksstark dargestellt. Köstlich!

Man erfährt u. a., was das Arrangement der Gedichte und Zeichnungen im 1983 erschienenen Gedichtband „sonetburger“ mit Petrarca zu tun hat, wozu Pastiors Aufenthalt als Ehrengast in der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo ihn inspirierte, oder was es im Römischen Zeichenblock in der Serie „sarkophage banderole“ mit dem Leibnitz-Kecks auf sich hat. „Sinn kommt und geht durch die Hintertür“, beschreibt es der Kurator und freut sich, dass die Gäste sich gerne auf diese oft paradox-spielerischen Zeichnungen einlassen und nicht auf die Uhr schauen. Im letzten Ausstellungsraum wird die Führung regelmäßig nach einer Minute durch Oskar Pastior unterbrochen: Fasziniert sieht das Publikum dann immer wieder den Schriftsteller auf einem großen Bildschirm und lauscht dessen unvergesslich wohl- und nachklingendem Vortrag von „jalusien aufgemacht…“.

Die Ausstellung, die im Rahmen des 41. Erlanger Poetenfestes im Stadtmuseum Erlangen, Martin-Luther-Platz 9, Telefon: (0 91 31) 86 23 00, gezeigt wurde, ist noch bis zum 19. September 2021 zu besichtigen. Aus konservatorischen Gründen kann die Ausstellung, die schon in Berlin war, nur noch in Halle gezeigt werden. Dann müssen die Zeichnungen für einige Jahre ins Archiv zurück.

Doris Hutter

Schlagwörter: Pastior, Ausstellung, Erlangen, Zeichnungen, Literatur

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