3. Oktober 2021

Themenreiche Tagung des Bundesfrauenreferates in Bad Kissingen

Zur Tagung „Verlust – Erinnerung – Identität - Glaube“, die vom 10. bis 12. September in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen stattfand, hatte das Bundesfrauenreferat des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Zusammenarbeit mit dem „Heiligenhof“ geladen. Ein besonderer Dank für die finanzielle Förderung geht an das Bundesministerium des Inneren für Bau und Heimat (BMI) sowie an das Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen in Bayern. Den Verlust der Heimat durch Flucht, Vertreibung, Aussiedlung, Arbeitsmigration etc. verarbeiten Menschen unterschiedlich. Diese Verarbeitung ist von Faktoren abhängig, die es zu beleuchten und erörtern galt. Können Identitäten gewechselt werden? Was gelten mitgebrachte Werte, Traditionen, Bräuche, Gemeinschaftsleben? Oder soll man sich ganz an die neuen Verhältnisse anpassen und mit dem Alten brechen? Die Lebenserfahrungen und -entwürfe sind in jedem Fall unterschiedlich.
Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Tagung des ...
Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Tagung des Bundesfrauenreferates in Bad Kissingen. Foto: Katharina Drotleff
Die Begrüßung erfolgte durch die Gastgeber der Tagung, Gustav Binder, Studienleiter des „Heiligenhof“, und Bundesfrauenreferentin Christa Wandschneider. Mit einem Bild vom „Faden des Lebens“, der für Orientierung und sicheres Geleit sorgen kann, aber auch deutlich macht, wie zerbrechlich manche Verbindungen sein können, stimmte sie die Teilnehmerinnen auf die Tagung ein. Der Gesprächsbedarf war groß und dauerte bis in die späten Abendstunden. Gerade in Zeiten der pandemischen Unsicherheiten war es wichtig, sich des Themas „Verlust – Erinnerung – Identität- Glaube“ anzunehmen. Ziel des Seminars war, die spezifischen Situationen von Frauen und Frauengruppen anzusprechen, sich auszutauschen. Anhand eines Dokumentarfilms, von Vorträgen und Austausch in Kleingruppen näherten sich die Teilnehmerinnen den Themen.

Nach einer Vorstellungsrunde stellte Susanne Mai (Regensburg) den wunderbaren Film „Mit dem Glauben im Gepäck“ von Melitta Müller-Hansen vor. Susanne Mai besuchte im Reformationsjahr 2017 ihre Heimat Siebenbürgen und begab sich auf Spurensuche und Identitätsfindung. Eine Frau mit „Migrationshintergrund“ wandert zurück aus dem Westen in den Osten. Evangelisch geprägt kommt sie in eine katholische Großfamilie. Vor dem Hintergrund der Reformationsgeschichte nimmt sie uns mit auf ihren Weg und lässt uns teilhaben an ihrem Werdegang. Heute arbeitet Susanne Mai in der Diakonie Regensburg als Wegbegleiterin für Menschen in schweren Lebenssituationen und engagiert sich als Kultur- und Frauenreferentin der Kreisgruppe Regensburg. Der Film berührte die Teilnehmerinnen und löste viele Fragen aus bzw. war Grundlage für erste Gespräche und Gedanken zu dem Thema der Tagung. Die Theologin Birgit Hamrich ist Pfarrerin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Schwerpunkt ihrer Tätigkeit sind die ökumenischen Partnerschaften innerhalb Europas und USA sowie die Koordination der Aktion „Hoffnung für Osteuropa“. Sie sprach über „Herkunft und Identität – was bleibt, wenn sich so vieles ändert?“. Nach Definition und Umriss des Begriffs Identität beschrieb sie den Prozess der Identitätsbildung, die Verhaltensformen bei Identitätsverlust und Identitätsveränderung sowie die Verhaltensmuster der Traumabewältigungen bei übergreifenden Generationen. Weiterhin behandelte sie den Einfluss der Herkunft auf Identität sowie den Hinweis auf gemeinsame Geschichte, geographischen Lebensraum und gemeinsame Erinnerungen. Abrundend referierte sie über die Entwicklung neuer Parameter in der Definierung der Identitätsfrage mit Ausblick auf die Identitätsbildung der kommenden Generationen. Aus soziologischer Sicht gesehen erwähnte sie Punkte, die Halt in Zeiten der Veränderung geben können.

Anschließend luden Bundeskulturreferentin Dagmar Seck und Christa Wandschneider die Frauen zu einem „Erzählcafé“ ein. In kleinen Gruppen erarbeiteten sie anhand von vorbereiteten Fragen, die Anregung geben sollten, ihre persönlichen Erfahrungen zu den vorgegebenen Themen. Die Ergebnisse, die teils sehr persönlich waren, wurden den anderen Gruppen vorgestellt. Es stellte sich immer wieder heraus, dass die Themen eng miteinander verknüpft waren. Dank der großzügigen Kuchenspende der Kreisgruppe Ingolstadt, herzlichen Dank an dieser Stelle, konnte eine entspannte Erzählatmosphäre für die Erarbeitung der Themen gestaltet werden.

Prof. Dr. Mirona Stănescu, tätig am Departement für Pädagogik und Didaktik in deutscher Sprache der Babeș-Bolyai-Universität in Klausenburg, war am Samstagnachmittag online zugeschaltet. In ihrem Bericht „Meine Heimat auf der Bühne: ein ästhetischer Zugang“ erklärte sie anschaulich, wie stark theaterpädagogische Ansätze zur Auseinandersetzung mit Identität(-en) beitragen können. Auch unterstrich sie die Bedeutung der deutschen Sprache, die in Rumänien nach wie vor groß sei, und legte dar, wie sie Studierenden bei der kulturellen Orientierung und beim Verstehen der vielsprachigen Geschichte ihres Heimatlandes zu Hilfe kommen kann.

Unter dem Titel „Siebenbürgische Frauenbiographien im Berlin der Zwischenkriegszeit“ stellte Dr. Heinke Fabritius, Kulturreferentin für Siebenbürgen am Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim a. N., Leben und Werk von Margarete Depner und Grete Csaki-Copony vor. Gerade der Vergleich der Lebenswege, wie sie sich in unterschiedlichster Weise zwischen Siebenbürgen und Deutschland entwickelten, aber auch die je eigene Selbsteinschätzung und Selbstwahrnehmung der beiden Künstlerinnen eröffneten neue Zugänge zu fast vergessenen europäischen Zusammenhängen. Anhand von ausgesuchten Darstellungen ihrer Werke untermauerte sie das Gesagte.

Ilse Philippi (Hermannstadt) ist gewählte Kuratorin der evangelischen Kirchengemeinde Hermannstadt (EKH) und engagiert sich im Siebenbürgenforum. Der Vortrag von Philippi orientierte sich an den Grundwerten des Thementages. Er war strukturiert nach Erinnerung/Gedächtnis, Identität, Verlust und Glaube sowie ergänzend durch den Begriff Hoffnung aufgebaut. Zu jedem Themenpunkt umriss sie prägende Beispiele und brachte reflektierende Gedanken in Verbindung mit gelebten Tatsachen aus dem siebenbürgischen Raum. Dabei wurden nicht nur konkrete historische Gegebenheiten, sondern auch Ausblicke in die aktuellen politischen Entwicklungen gegeben. Zudem berichtete sie über neue Projekte zum Erhalt von Kulturgütern des Siebenbürgenforums unter Mithilfe der Siebenbürgischen Landeskirche in Hermannstadt.

Für den Abend waren ein Gedankenaustausch und Berichte aus Kreis- und Landesgruppen mit dem Titel „Kulturschaffen unter Corona-Bedingungen“ (gefördert vom Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen e.V. aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales) angedacht. Doris Hutter begrüßte die Teilnehmenden in ihrer Funktion als Stellvertretende Bundesvorsitzende des Verbandes und berichtete über ihre Erfahrungen in der Mitgliederwerbung und Mitgliederbindung an unseren Verein. Die Arbeitsgruppe Mitgliederwerbung befasst sich intensiv mit dieser Thematik. Anregungen, neue Sichtweisen und neue Herangehensweisen wurden intensiv und kontrovers besprochen. Anschließend berichteten die Frauen, wie sie die Corona-Zeiten erlebt haben und damit umgegangen sind. Das Leben der siebenbürgischen Gemeinschaft kam nicht zum Erliegen und dank der Kreativität und des Ideenreichtums der Kreis- und Landesvorsitzenden sowie ihrer Helferinnen konnten auf vielfältige Weise die Kontakte erhalten und teilweise sogar intensiviert werden. Trotz der schwierigen Verhältnisse in diesen pandemischen Zeiten sind die persönlichen Beziehungen nicht abgerissen und es kam zu vielfältigem Austausch.

Mit einem fröhlichen Lied und ermutigenden Worten, des von Birgit Hamrich geleiteten Gottesdienstes begannen wir unseren letzten Tagungstag. Ein überaus interessanter Vortrag über „Frauen in Siebenbürgen um 1945“ wurde von Dr. Ulrich A. Wien (Landau) vorgetragen. Als Theologe und engagierter Forscher und Herausgeber wichtiger Schriften zur siebenbürgischen kirchlichen Zeitgeschichte erläuterte er unter Rückverweis auf die Entwicklung in den 1930er Jahren die Voraussetzungen für die Ereignisse um 1945. Unter Hinweis auf das Monopol der Landeskirche auf die Sozialformationen für Jugend, Frauen und die Gesamtgesellschaft in den Nachbarschaften behandelte er die Regelung der Substitution durch die Nationalsozialisten und deren Folgen. Den Schwerpunkt des Vortrags bildeten aber die selbst verfassten und in einem Pfarramtsarchiv aufbewahrten, jeweils persönlich unterzeichneten Berichte sowie die zeitnah verfassten Dokumentationen eines Ortspfarrers über die Folgen der Agrarreform, die über die Willkürherrschaft der Dorfpotentaten sowie die vor allem die Frauen betreffende und bedrückende Gewalt handeln. Sie wurden darüber hinaus in ihrer „psychotherapeutischen“ Qualität beleuchtet. Der Vortrag endete mit dem Hinweis auf die Frauen mit Zivilcourage, die den Mut hatten, sich den zeitgenössischen, traumatisierenden Herausforderungen zu stellen, die Wahrheit zu sagen und diese vor der unfreundlichen Öffentlichkeit einzufordern. Der Vortrag war sehr emotional und berührend. Wien präsentierte Vorkommnisse aus einer besonders schwierigen Zeit mit viel Fingerspitzengefühl und in dem Vertrauen, dass mit dem Gehörten, Gesehenen und Erlebten vertraulich umgegangen wird.

Karin Roth (Herten) ist Vorsitzende der Kreisgruppe Herten und Landesfrauenreferentin in Nordrhein-Westfalen. Sie setzt sich für die Vernetzung der Nachfahren der Siebenbürger Sachsen, für den Erhalt und die Weiterentwicklung unserer Kultur, der Strukturen und des Miteinanders ein. Mit ihrem Beitrag „Identität und Herkunft: Siebenbürgisch-sächsische Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte“ nahm sie uns mit auf eine Spurensuche nach den nordsiebenbürgischen Frauen, die ihren Männern im Rahmen der Kohleaktion ins Ruhrgebiet gefolgt waren. Wir blickten mit den Frauen auf die schwere Zeit in Österreich zurück, erfuhren von der schwierigen Anfangszeit im tristen Ruhrgebiet, ohne die vertrauten Nachbarn aus der alten Heimat, und hörten von ihrem Glück in neuen Häusern und der neuen Siedlung mit neuen Freundschaften. Zahlreiche Bilder und Zitate von Zeitzeuginnen ließen 70 Jahre siebenbürgisch-sächsische Geschichte in Herten vor unseren Augen lebendig werden.

Herzlichen Dank an Katharina Drotleff, die uns ausgesuchte Schätze des Siebenbürgisch-Deutschen Heimatwerks in Drabenderhöhe mitgebracht hatte, sowie die Bereitstellung eines Büchertisches von Seiten des Heiligenhofes. B. Hamrich stellte uns ihren Frauenkalender 2022 vor, der diesmal unter dem passenden Motto „Angstfrei“ herauskommt. Zusammen mit der erwähnten Kuchenspende fand sich für jede/jeden auch außerhalb des reichhaltigen Programmes etwas, was als Erinnerung an die Tagung mitgenommen werden konnte. Die hervorragenden Referate sowie das rege Interesse der Teilnehmenden haben dieses Seminar im „Heiligenhof“ zu einer gelungenen Veranstaltung werden lassen. Herzlichen Dank hierfür.

Christa Wandschneider, Bundesfrauenreferentin


Fotogalerie: Siebenbürgische Frauentagung vom 10. bis 12. September 2021 in Bad Kissingen

Schlagwörter: Tagung, Bad Kissingen, Heiligenhof, Bundesfrauenreferat, Frauenarbeit, Identität, Glaube, Wandschneider, Wien, Doris Hutter, Philippi, Roth, Bundeskulturreferat

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