10. November 2021

Dagmar Dusil und Ioana Ieronim veröffentlichen Mutmacher-Lyrik

Was wird in diesen Tagen nicht alles so gesagt? Was davon ist wirklich wichtig? Die Zeiten sind bekanntlich extrem unstet, unruhig, kaum vergleichbar. Sind sie deshalb zugleich ausweglos? Was von all den gedanklichen Wucherungen in unseren Köpfen sollte wirklich aufgeschrieben und veröffentlicht werden? Druckerzeugnisse sind immer bleibende Erinnerungen. Vielleicht muss manches nach den vergangenen Monaten der Düsternis tatsächlich für die Zukunft festgezurrt werden.
Mit Hilfe gut sortierter Gedichte kann die Suche nach einem noch nicht strukturierten Neuland besser gelingen. Zuerst gelangen diese natürlich in die Herzen der literarischen Konsumenten. Danach klappt es bei dieser Personengruppe unter Umständen besser bei der Bewältigung des Alltags. Ein reizendes Wortgericht mit hohem Wirkungsgrad lieferte in diesen Wochen der Pop-Verlag in Ludwigsburg. In einem dort veröffentlichten Band bündelten zwei Autorinnen mit der ultimativen Sogwirkung klarer Blicke ihre eigenen Kräfte. Ja, der zittrige Aufschrei ist in jeder Zeile spürbar und will direkt von den Buchseiten einen Königsweg nach draußen – also zu uns – finden. Inhaltlich geht es um philosophische Fragen oder um das Dasein ganz allgemein. So erkannte Dagmar Dusil – die in Hermannstadt Geborene ist durch viele unterschiedlichste Veröffentlichungen bestens bekannt und vernetzt – schnell das Bizarre der momentanen Situation, die sich bestens eignete, um uns allesamt wachzurütteln.
Der Empfänger der Botschaften findet im vorliegenden Werk ein massiv mit feinsinnigen Inhalten angereichertes Zwiegespräch. Die bereits Genannte und Aufschreibende traf mit Ioana Ieronim nicht nur eine ehrlich mitfühlende Freundin, sondern die ebenfalls emsig notierende Seelenverwandte. Sie lebt zuweilen in den USA. Zwischen Heimat und Wahlheimat ist meistens viel Wasser oder eben gar nichts, wenn kein Flugzeug aufsteigen darf. Ihre beidseitigen, jetzt öffentlich gewordenen Analysen sind zweisprachig – deutsch und rumänisch. Einmalig werden dagegen die Emotionen sein, die die beiden Autorinnen wecken. Die eine übersetzte die Produkte der anderen und umgekehrt klappte es genauso. Es gibt natürlich kaum abgesteckte Begrenzungen. Wir leben allesamt auf demselben Planeten. Seit dem Frühjahr 2020 kämpften dessen Bewohner mit einem Ereignis, das mit Brachialgewalt alles bislang Gewohnte außer Kraft setzte. Natürlich wurde niemand vorab gefragt. Selbstverständlich wartete keine Antwort in der Schublade. Somit offenbaren die mit Herzblut und Seelenschmerz gedichteten Zeilen extreme Unsicherheit, aber auch vorwärts treibende Gefühlswelten. Aus scheinbarer Ohnmacht wächst wenige Silben danach ein kaum noch vermuteter Lebensquell, der sich vorzüglich für einen Anfang danach eignet. Immer wieder treffen Suchende auf Verbündete. Aus Ohnmacht entsteht Verständnis für das unbedingt erforderliche Miteinander, obwohl man sich eigentlich nicht persönlich treffen kann.

Mauern wurden mit Bildern gesprengt. Im Buch sind diese Illustrationen, die auf Scherenschnitten von Gerhild Wächter basieren, durchweg schwarz-weiß. Vielleicht war es ihr persönlicher Weg für den eigenen Umgang mit der gegenwärtigen Situation. Irgendwann lähmte ein Tatbestand, der als Quarantäne bezeichnet wird, alles. In Bamberg, in Washington, in Siebenbürgen oder anderswo. Eigentlich ist es egal, wo sich unsere Denkerinnen gerade befanden. Es geht oft nichts mehr voran und selbst der Gang rückwärts funktioniert keineswegs reibungslos. Partiell spürbare Leere schafft es immer wieder bis in die Zentren der Handelnden. Ja, die Gegenwart war tatsächlich eiskalt, unwirtlich, nicht wirklich schön. Aber nur die eine Zukunft, die voller Dunkelheit sei, findet der Lesende nirgendwo. So kommen sie von ganz allein an, die Mut machenden Lichtblicke, die hoffnungsbereiten Ausblicke, die pittoresken Träume, die schmerzlich vermisste Warmherzigkeit. Als Gegenentwurf ist diese jetzt sichtbar gewordene Literatur keineswegs gedacht, sondern nur als wuchtiger Wachrüttler und Erinnerungspfeiler an eine Phase, als uns das angeblich Normale verlassen hatte. Einfach so! Aber was ist eigentlich heutzutage Alltag, was ergibt Sinn und wo wartet endlich die lang ersehnte Form? Müssen wir uns nicht alle neu erfinden? Irgendwann oder bereits heute? Veredelt wird das hier vorliegende Kulturprodukt durch extrem tiefgründige Betrachtungen von Emil Hurezeanu. Mit seiner beispielgebenden Genauigkeit plus Beobachtungsgabe lieferte der frühere Botschafter Rumäniens in der Bundesrepublik Deutschland, der jetzt in derselben Funktion in Österreich wirkt, ebenfalls massiv Bewahrenswertes für Geist und Hirn ab. Er suchte und fand – passend zu dem hochkarätigen Gesamtkunstwerk – viele kluge Worte und ermuntert uns, einmal völlig neu über Sein oder Nichtsein nachzudenken.

Roland Barwinsky



Dagmar Dusil, Ioana Ieronim: „Beleuchtete Busse in denen keiner saß/ Și trec autobuze goale.“ Gedichte. Scherenschnitte von Gerhild Wächter. Nachwort von Emil Hurezeanu. Pop-Verlag, Ludwigsburg, 2021, 124 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-86356-339-4.

Dagmar Dusil


Quarantäne. Bamberg

Ich schlich auf die Straße
hinein ins Verbot
zwischen 20 Uhr Abends und Morgens um 5
Auf den Straßen hauste Ruhe.
Ein Hund verlor seinen Weg.
Ein Mensch lag auf einer
Parkbank in seinem Zuhause
unter hungrigen Ästen der Bäume.
Ich lieh mir fremde
Fußsohlen für den Asphalt
beleuchtete Busse
hinterließen Spuren
in denen keiner saß.


Ioana Ieronim

Fern doch nicht fern genug

Wildtiermarkt: Zibelkatzen, Stachelschweine
Fledermäuse, Schuppentiere, Waschbären, Bambusratten...
Delikatessen für „Feinschmecker”

dort in der weiten weiten Ferne doch nicht fern genug
wenn die Meridiane sich verflechten, sich verheddern
und auch der liebe Gott sie nicht mehr trennt


(Übersetzung aus dem Rumänischen: Dagmar Dusil)

Schlagwörter: Lyrik, Buchvorstellung, Dagmar Dusil, Ieronim

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