5. Dezember 2021

Draas kann gerettet werden! Die evangelische Kirche wird renoviert und eine neue Gemeinde entsteht

„Von Broos bis Draas“ – es gibt kaum einen Siebenbürger Sachsen, der nicht weiß, was man darunter versteht. Zwischen diesen beiden Ortschaften erstreckte sich der Königsboden, die Urheimat unserer Vorfahren. Wenn Broos (rumänisch: Orăștie) heute ein blühendes Städtchen ist, schien das Dörflein Draas (Drăușeni) bis vor kurzem dem Untergang geweiht. Die beeindruckende Kirchenburg im Ortszentrum, mit einem der „bedeutendsten romanischen Westportale in Siebenbürgen“, mit Resten von Wandmalerei sowie imposanten Befestigungsanlagen, war Jahrhunderte lang der Stolz der Einwohner gewesen, die in der Zwischenkriegszeit 650 Sachsen und 270 Rumänen zählten.
1944 verließ die deutsche Bevölkerung fluchtartig den Ort in Richtung Westen, wenige kehrten zurück. Szekler Familien besiedelten den Ort, das Sächsische verstummte, viele Häuser sackten zusammen, der Friedhof verwilderte. Vor rund 44 Jahren läuteten die Glocken zum letzten Mal: das Schicksal von Draas schien besiegelt, trotz mehrerer Rettungsversuche. Bis zuletzt gab sich auch die Kirchenburg geschlagen und begann zu verfallen.

Burghüterin (rechts) und die Gästetafel in Draas. ...
Burghüterin (rechts) und die Gästetafel in Draas. Foto: Cristian Sencovici
Völlig unerwartet erklangen am Sonntag, dem 14. November 2021, die Glocken von Draas wieder! Etwa zwei Dutzend Menschen versammelten sich im gesäuberten und bestuhlten Kirchenraum, um die Kirchenburg aus ihrem tiefen Schlaf zu wecken und erneut mit Leben zu füllen. Was war geschehen? Ein Jahr vorher hatte ein Rückkehrer aus Deutschland namens Bernd Wagner zum freiwilligen Einsatz aufgerufen, um zu retten, was noch zu retten war. Er war der Enkel des Kronstädter Bezirkskirchenkurators Karl Wagner, der seinerzeit die Inneneinrichtung der Kirche gerettet hatte. Es fanden sich mehrere Freiwillige, denen die Rettung dieses Baudenkmals am Herzen lag, während andere dieses Vorhaben als eine „Verrücktheit“ bezeichneten. In 17 Einsätzen mit rund 15-20 Teilnehmern gelang es innerhalb eines Jahres, die Kirche zu sanieren, das lecke Dach in Ordnung zu bringen, dem herrlichen Portal sein früheres Aussehen zu geben, Türen und Fenster zu reparieren, den Burghof von Unrat und Wildwuchs zu befreien. Originell war auch Bernd Wagners Idee, das im 2. Weltkrieg verschwundene Draaser Schwert neu zu schmieden, und gleich mehrere an der Zahl. Legenden und Mysterien haben auch heute noch ihre Anhänger, wissbegierige Touristen sind keine seltenen Gäste mehr. Die Szekler Ortsbewohner sind zukunftsorientiert, jung und voller Initiative, sie gehören zu den Farmern mit den größten Vieherden im Umkreis. Im evangelischen Pfarrhaus haben sie ihre Kirche eingerichtet und begonnen, Hausruinen zu beseitigen. Gegenüber der Kirchenburg wurde eine erste Touristenpension eröffnet.

Inzwischen hat sich die Truppe um Bernd Wagner gefestigt und ist ans Planen gegangen. Nachdem man auch in Deutschland auf sie aufmerksam geworden war, beschloss man ad hoc, die letzte Draaser Familie mit sächsischen Wurzeln, die Dorfälteste Ella Kosa, mitsamt Kindern, Anverwandten, Freunden und Bekannten zusammen zu schließen und eine neue Gemeinde zu gründen. Damit wird etwas Neues angestoßen, das eine Vorbildfunktion einnehmen und Ansporn für andere sein könnte, die etwas Ähnliches vorhaben und es bisher nicht umgesetzt haben. Es gibt immer mehr Anfragen, das Echo ist überraschend groß. (Informationen über draas.ekr[ät]gmx.net). Am schwersten ist es, Draaser zu finden, weil sie keine Heimatortsgemeinschaft (HOG) haben und in ganz Deutschland verstreut leben. Dieser Novembertag in Draas erwies sich als voller Erfolg! Bis zuletzt sammelten sich an die 30 Gäste, vor allem aus Südsiebenbürgen. Pfarrer Danielis Mare, der Seelsorger des Repser Ländchens, hatte einen Urlaubstag geopfert, angeregt von dieser ungewöhnlichen Initiative, die ihm im letzten Augenblick mitgeteilt worden war. Er hielt eine beeindruckende Predigt, begleitet von Gesang und Orgelmusik. Am Skelett des Altars hing ein althergebrachtes, gespendetes Altarbild mit Christus, der eine Gruppe Gläubiger aus den Fluten rettet. Neben dem Altar hing das nachgemachte Draaser Schwert. Im Anschluss an den Gottesdienst folgten Vorschläge für das neue Presbyterium, eine Vorsitzende für die künftige HOG wurde bestimmt. Und das alles an einem herrlichen Herbsttag im November, an dem Gott seine segnenden Hände über alle hielt.

Dann gab es eine leckere Mahlzeit im Pensionshof, wo sich endlich alle kennenlernen konnten. Auffallend war die Anzahl junger Rückkehrer, die wieder in Siebenbürgen ansässig geworden sind. Sie verströmten mit ihrer Aufgeschlossenheit und Energie viel Optimismus und Frohsinn. Und unsere Burghüterin konnte mit ihren 80 Jahren nur staunen, was da geschah. Für Besucher und Freunde wird im Sommer ein Gästehaus zur Verfügung stehen.

Zuletzt wurden Bücher verteilt, um dem Ereignis einen Stempel aufzudrücken! Ein Buch von Erasmus von Rotterdam war nicht darunter, aber sein Geist war allgegenwärtig und bestärkte das Vorhaben: „Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit.“ Wir waren alle glücklich!

Christa Richter

Schlagwörter: Draas, Kirchenburg, Renovierung

Bewerten:

27 Bewertungen: ++

Neueste Kommentare

  • 05.12.2021, 13:13 Uhr von Peter Otto Wolff: Alle Ehre, es bleibt dabei, die Welt besteht, auch unsere Kleine, weil es Leute gibt, die mehr tun ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.