9. Juni 2022

Aus dem Tagebuch des Ausreis(s)ers Heinrich Heini Höchsmann

Vor einiger Zeit stand ich inmitten betörend duftender, verzaubernder weiß-rosa Apfelblüten (die Kirschblüten haben sie verrecken lassen und abgeha(c)kt) und genoss den imposanten Anblick des Michelsberger Burgbergs, auf dessen Spitze mich die Michelsburg lyrisch inspirierte. Dabei entsann ich mich der Verse meines Großvaters Anton Maly, dem „Siebenbürgischen Karl May“, über die Sage von den Freier-Steinen.
Die Steine auf der Michelsburg


Zu der Michelsberger Burg
Stieg ich auf mit leichten Füßen.
Still umwehte mich ein Hauch,
Wie der Vorzeit leises Grüßen.

Staunend in die Ferne sah
Ich auf farbenschöne Fluren;
Und bei jedem neuen Schritt,
Stieß ich auf verwehte Spuren.

Gleich beim Eingang zu der Burg
Lagen zentnerschwere Steine.
Wie es sich damit verhält
Hörte später ich beim Weine.

Einstens, hört‘ ich, dienten sie
Stets dazu, dass man sie rollte
Abwärts, wenn ein wilder Feind
Diese Dorfburg stürmen wollte.

Solcherart war gut bewehrt
Dieser spitze Bergeskegel,
Und der Feind ließ auch die Burg
Ungestürmt meist in der Regel.

Nur das Aufwärtsschleppen war
Unbequem von all den Steinen.
Deshalb musst` man sich im Dorf
Über solche Arbeit einen.

Man beschloss, dass jeder Mann
Der das Freien wollte wagen,
Eh` zum Traualtar er schritt,
Einen Stein sollt bergwärts tragen.

Und die Männer machten es
Wie der Altersrat befohlen,
Jeder schleppte einen Stein
Eh` er kam, die Braut zu holen…..

Wenn die Sitte heut` noch wär‘,
Mit dem Stein zur Höhe wanken
Ehe man zur Hochzeit geht,
Würde man sich schön bedanken.

Manche Jungfrau blieb bestimmt
Bis ans Lebensende sitzen,
Denn der Mann braucht nimmermehr
Heut` um solchen Lohn zu schwitzen.

Kommt der Jüngling heute frei`n
Braucht kein Kraftstück er zu wagen.
Heut` möchte ihn das Mädel selbst
- Käm‘ er nur – zur Kirche tragen.


(aus: Mein Vortragsbuch, Siebenbürgischer Theater-Verlag, Hermannstadt 1927)

Schlagwörter: Höchsmann, Lyrik, Michelsberg

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