24. Oktober 2022

Leben ist Kunst: Neuerscheinung zum Werk des Heltauer Künstlers Otmar Stefani

Der Heltauer Maler und Zeichner Otmar Stefani ist ein Kulturträger siebenbürgischer und europäischer Herkunft, der basal-menschliche und haptische Identitätsfiguren wesentlich lebt und zum Ausdruck bringt. Insofern ist seine Kunst auch Lebenskunst und sein Leben, im gesetzlichen und zugleich frei schöpferischen Ganzen seiner Teile, Kunst.
Die Großstadt ist für Otmar Stefani Lebensraum ...
Die Großstadt ist für Otmar Stefani Lebensraum und Ort der Inspiration, Mischtechnik, 36 x 47 cm.
Auch könnte man von der Lebenskunst berichten oder davon, dass Kunst Leben ist bzw. wird. Wobei, mit Paul Klee gesprochen, Zukunft gerade nicht werden kann, sondern im Menschen schlummert und erwachen muss (vgl. Paul Klee, Tagebücher, DuMont 1957, S. 89). Nicht nur dieses Buch finden wir in Otmar Stefanis Atelier in Ungarn, zehn Kilometer vom südwestlichen Ufer des Plattensees (Balaton) entfernt – ein hausdachhoher Raum mit Holzbalken und Holzfußboden und dem holzigen Geruch von Farbe und Naturmaterialien. Drei Staffeleien, Arbeitstische und ein Teil der besagten Bibliothek, in der die Erstausgabe der Tagebücher von Klee eingereiht war.

Otmar Hans Stefani wurde am 6. Juli 1945 in Heltau geboren. In der Grundschule bemerkte seine Zeichenlehrerin ein auffälliges Talent des Elfjährigen im Umgang mit Form und Farbe, was z.B. dazu führte, dass Stefani 1956 am „Neuer Weg-Wettbewerb“ in Rumänien teilnahm und landesweit den 5. Platz im Zeichnen belegte. Drei Jahre später zeigte sich eine Signatur, die für das ganze Leben von Stefani charakteristisch bleiben sollte: Er besteht die Aufnahmeprüfung an der Fachschule für Maschinenbau in Hermannstadt und erhält zugleich, 1959, die erste künstlerische Ausbildung an der Kunstschule in Hermannstadt. Diese Parallelität ist etwas ganz Besonderes: Das Werktätige des Lebens und des künstlerischen Schaffens sind zwei Seiten einer ganzmenschlichen Medaille. Davon blieb in den Folgejahren für Stefani zunächst über das technische Zeichnen besonders die Gesetzlichkeit der Zeichensprache im Vordergrund, die freie Kunst trat etwas zurück zugunsten der existenziellen Lebensorientierung des nunmehr ausgebildeten Maschinenbauers. Die unmittelbare familiäre Umgebung förderte neben der praktisch-beruflichen Seite das Künstlerische – allen voran die Eltern und der Großvater (er starb 1960, die Mutter 1962 – was für eine Krisenzeit für den damals Violine spielenden Jugendlichen, der seine wichtigsten seelischen Partner verliert!).

Otmar Stefani auf der Plattensee-Autofähre von ...
Otmar Stefani auf der Plattensee-Autofähre von Tihany nach Szántód, 2014
Nach dem Militärdienst 1966 in Weidenbach bei Kronstadt arbeitete Stefani erfolgreich als Maschinenbauer im großen Textilunternehmen in Heltau bis zu seiner Ausreise nach Deutschland. Mit seiner Frau Irene, die er am 8. August 1970 geheiratet hatte, übersiedelte er 1981 in die Universitätsstadt Göttingen. Dort bekam er aufgrund seiner herausragenden fachlichen Fähigkeiten unmittelbar eine Anstellung im Bereich des technischen Maschinenbaus (Gleitlagertechnik). Zeitgleich erwachte die bereits erwähnte zweite Lebenssignatur von Otmar Stefani wieder: Getragen vom Zuspruch seiner Frau, die in Heltau in der Stadt-Apotheke gearbeitet hatte und jetzt in der Buchhandlung Deuerlich in Göttingen an kulturellen publizistischen Impulsen der Zeit rege teilnahm, begann er ab 1987 künstlerische Weiterbildungen zu betreiben (Ölmalerei, Graphik, Aquarell, Portrait, Akt, Pastell, Kohle, Tusche, Acryl und lithographische Darstellungen in der Kunstschule und Volkshochschule). „Betreiben“ ist tatsächlich die treffende Wortwahl, da Stefani in der Beurteilung seiner Lehrer den Teilnehmern weit voraus war und seine künstlerischen Kenntnisse und Fähigkeiten positive Umkreiswirkungen entfalteten. 1997 kaufte das Ehepaar Stefani einen Bauernhof in Ungarn, den sie bis heute zu einem „toskanischen“ Anwesen liebevoll ausgestalten. Ein Atelier zählte von Anfang an zum Gesamtkonzept des Komplexes dazu. Bis zum Renteneintritt 2007 pendelte die Familie inmitten dieses erneuten biographischen Aufbruchs zwischen Göttingen und dem ungarischen Dorf, in dem sie heute leben.

Zum Schluss sei noch ein inneres Bild angefügt, das meine Bemerkungen als Herausgeber des Buches über Otmar Stefani ergänzen möge. Als Jugendlicher hatte ich Ende 70er, Anfang 80er Jahre des letzten Jahrhunderts regelmäßig Ferienaufenthalt bei „Irenchen und Oti“ in Heltau und ließ ihre liebevolle und menschliche Art tief auf mich wirken. Ich konnte zusehen, mit welcher Akribie Oti ein fünfzig Jahre altes Fahrrad bis auf die letzte Schraube zerlegte, um Einzelteile in Stand zu setzten und das Ganze neu aufzubauen. Später fuhren wir mit dem fertigen Fahrrad. Es war ein Traum, sogar auf holprigen Straßen lediglich das weiche Summen der Kette zu hören. Meine kindliche Erfahrung aus diesem Erlebnis war: Dinge brauchen Zeit, Ziele kann man nicht alle wollen – man muss sich ihnen widmen und Geduld haben, die Anwesenheit im Leben hat performative Natur, das Menschliche ist Handwerk und Kunstwerk zugleich. Diesem Motiv widme ich besonders die Fahrradskizze in diesem Bändchen.

Die Bilder, die in der Buch-Neuerscheinung mit dem Titel „Form und Farbe“ gezeigt werden, sind in verschiedenen Ausstellungen in Göttingen und in Ungarn der Öffentlichkeit teilweise präsentiert worden. Sie stellen eine Spur dar, an der eine unausgesprochene Dimension erahnt werden kann, die nur aus dem Verständnis des ganzen Menschen Otmar Stefani entspringen kann. Er wird durch diese Dimension zu einem Kulturträger siebenbürgischer und europäischer Herkunft, der basal-menschliche und haptische Identitätsfiguren wesentlich lebt und zum Ausdruck bringt.

Walter Hutter

„Form und Farbe – Otmar Stefani’s Bilderwelt“, herausgegeben von Walter Hutter, edition arev Tübingen, 136 Seiten, 22,90 Euro, ISBN 978-3-756819119, lieferbar seit dem 3. Oktober 2022 über den Buchhandel

Schlagwörter: Neuerscheinung, Künstler, Heltau

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