28. Dezember 2022

Tagung zu Deportationen in die Sowjetunion und den Bărăgan

Die Tagung „Verschleppung in die Sowjetunion und Deportation in den Bărăgan. Rückblicke vor dem Hintergrund aktueller Geschehnisse“ in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen vom 18. bis 20. November startete im Vorfeld mit einem Vortrag von Professor Dr. Peter M. Huber, Richter am Bundesverfassungsgericht Karlsruhe, zum Thema „Die Europäische Union ist für die Menschen da“, auf Einladung des Sudetendeutschen Sozial- und Bildungswerks und der Akademie Mitteleuropa im Rahmen der Heilgenhof-Gespräche zum 70. Jahrestag der Bildungsstätte Heiligenhof.
Podium mit Anton Bohn, Renate Weber-Schlenther, ...
Podium mit Anton Bohn, Renate Weber-Schlenther, Johann Lippet, Rita Stockmann, Hellmut Seiler und Anton Sterbling (von links nach rechts) in Bad Kissingen. Foto: Eva Seiler
Hans Knapek, Vorsitzender der Stiftung, begrüßte Huber, der dem Kuratorium der Stiftung vorsteht. Als Ursachen der aktuellen Dysfunktionalität der EU, der Krisen und der Diskrepanzen von Anspruch und Wirklichkeit, nannte Huber nicht nur den Krieg in der Ukraine, sondern den Brexit wie auch die EU-Asyl- und Migrationspolitik, die nicht laut Vertrag von Dublin erfolge, oder die Zinspolitik der EZB.

Prof. Dr. Anton Sterbling eröffnete das Seminar „Verschleppung in die Sowjetunion und Deportation in den Bărăgan“, gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung, und stellte das Buch vor: „Die Verschleppung der Deutschen aus dem Banat in die Sowjetunion aus der Sicht ihrer Kinder. Erzählberichte.“, erschienen im Eigenverlag der Landsmannschaft der Banater Schwaben, München 2022, mit 116 Erzählberichten. Gustav Binder vom Heiligenhof überbrachte die Grußworte von Ovidiu Ganţ seitens des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), der ausführte, dass der Verein der ehemaligen Russlanddeportierten und sein Vorsitzender Ignaz Bernhard Fischer sich nach 1989 intensiv diesem Thema und den ehemaligen Russlanddeportierten gewidmet hätten.

Die Einführung von Ilse Hehn, Künstlerin und Autorin mit Banater Wurzeln, einst Kunstpädagogin in Mediasch, leitete den Blick auf ihre Collagen mit einer beeindruckenden „Ästhetik der Einfachheit“ zu Themen der Verschleppung, Deportation, Menschenrechte. Sie machte bewusst, wie man auf einfache Weise die Grausamkeit der Wirklichkeit darstellen kann, und verwies auf ihr Buch „Irrlichter“, das übermalte Bilder zu Kriegsschauplätzen, Opferstock, Kriegsgewinn oder Mordlust in doppelsinniger Weise übermittelt.

Dr. Bernd Fabritius, Präsident des Bundes der Vertriebenen (BdV), sprach über die Entschädigungsverfahren für politische Verfolgte und Verschleppte. Das Gesetz wurde nach seiner Initiative als Beauftragter für nationale Minderheiten im Parlament Rumäniens verabschiedet, wodurch auch die im Ausland lebenden Deportierten die Wiedergutmachung erhalten. Er schilderte die Schwierigkeiten der Aufarbeitung des Themas durch den 2020 beschlossenen Paragraphen und erklärte die Berechtigungskriterien. Etwa 100.000 Berechtigte im In- und Ausland wurden bisher entschädigt, und entgegen der verbreiteten Meinung, dass die Gelder aus Brüssel kommen, wies er darauf hin, dass dies Gelder aus dem rumänischen Staatshaushalt sind. Der Zusammenhalt und die Stärke der deutschen Gemeinschaft in Deutschland und die Arbeit der Landsmannschaften seien in diesem Gesamtzusammenhang wichtig und hätten dazu beigetragen, das Unrecht und die Notwendigkeit einer Aufarbeitung rumänischen Parlamentariern bewusst zu machen.

Albert Bohn, Mitherausgeber des Deportations-Buchs, las aus dem Bericht „Ich war eine Nummer. Nur eine Nummer. Eine von vielen“ – Erinnerungen seines Vaters von der Deportation nach Russland. „So einfach war es, glücklich zu sein“, so Bohn, wenn er erzählt, wie der Vater als Erntehelfer einer Kolchose Zuckerrüben, Kartoffeln und Gemüse ins Lager brachte oder wie er nach der beinahe erfolgten Amputation seines Fußes nach einem Unfall im Sägewerk ein Stück Kuchen am Krankenbett essen durfte. Einfühlsam, sachlich und knapp schildert Bohn, der Mitbegründer der „Aktionsgruppe Banat“, das Schicksal des Vaters. Der Organisator und Moderator der Tagung, Professor Dr. Anton Sterbling, sprach in seinem Vortrag über das „Kollektive Gedächtnis“ und die „Kolletivschuldproblematik“.

Dr. Renate Weber-Schlenther, Mitherausgeberin des Buches über die Deportation der Siebenbürger Sachsen in die Sowjetunion, dokumentierte Einzelaspekte anhand zahlreicher Schaubilder und Zahlen und lieferte eine anschauliche Rekonstruktion des Deportationsgeschehens in Siebenbürgen. Aufgrund der Recherchen mit ihrem bereits verstorbenen Mann, Georg Weber, haben sie beispielhaft die Zahlen der Deportierten aus Siebenbürgen erforscht, Tagebücher, Erinnerungen, Lagerbeschreibungen, Zeichnungen, historische Abrisse und Ereignisberichte gesammelt und wiedergegeben. Aufgrund der geöffneten Archive der evangelischen Kirche Siebenbürgens konnten sie Einzelheiten und einzelne familiäre Schicksale aufzeichnen. Von den Deportierten waren 53 Prozent Frauen, so Frau Weber-Schlenther. Sie wies auch auf das Fotobuch „Order 7161“ des Luxemburger Marc Schröder, mit den zahlreichen Porträts der Verschleppten hin sowie auf ihre dreibändige Publikation „Die Deportation von Siebenbürger Sachsen in die Sowjetunion 1945-1949.“, ein wertvolles Forschungswerk, das bei den Banater Schwaben noch aussteht.

Der bekannte Siebenbürger Autor Hellmut Seiler führte seinen Diskurs zum Thema „Impressionen und Reflexionen zur Deportation in die Sowjetunion“ mit dem Satz ein: „Wer mich nicht kennt, wird mich kennen lernen.“ Seine zwölf Bücher zeugen von einer intensiven literarischen Tätigkeit als Lyriker, Übersetzer, Herausgeber experimenteller Prosa und 2021 Herausgeber der Anthologie rumänischer Gegenwartslyrik „Schwebebrücken“ im Noack & Block Verlag, Berlin. Er erzählte über die Deportation seiner Eltern ins Lager Petrowka, wo sie sich kennenlernten. Nach dem Zitat in Christa Wolfs „Kindheitsmuster“: „Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht mal vergangen …“ thematisiert Seiler in seinem Schreiben häufig die Vergangenheit, die Kindheit in Siebenbürgen. Die Mutter, die Tagebuch führte, hat über die Deportation nichts erzählt, da „die nackte Angst“ im Kommunismus es ihr verbot, über die Verschleppung zu sprechen. Diese „klugen Denkanstöße“ des Dichters Seiler wurden jedoch von anderen Teilnehmern widerlegt, die sehr wohl Geschichten von ihren Eltern und Großeltern erzählt bekamen. Auch die Soziologin Rita Stockmann aus München, in Großsanktnikolaus geboren, schilderte ein interessantes und verschlungenes „Familienbezogenes Fallbeispiel zur Deportation und deren Folgen“. Ihre Geschichte über Deportation und Ausreise zeugt von verwirrenden Familienverhältnissen und der Zerrissenheit einer Familie, die nach all dem Erlebten nicht mehr zusammenfand.

Johann Lippet, Mitbegründer des Aktionsgruppe Banat, aus Sandhausen las aus seiner Erstveröffentlichung der poetischen Prosa „biographie. ein muster“ – ein Text, der 1980 im rumänischen Kriterion-Verlag erschienen ist und bereits davor einige Diskussionen provozierte mit einer realitätsgetreuen Sachlichkeit und Wahrheit der Schilderungen in dem bekannten „Lippet-Ton“ über die Rückreise seiner in Österreich lebenden Eltern ins Banat. Im Heiligenhof wurde er mit viel Applaus bedacht. Rolf Bossert hatte in einer Rezension vom 14. Februar 1981 im „Neuen Weg“ das Buch Lippets als „originell“ bezeichnet, er schrieb, dass es „noch lange vor seinem Erscheinen ein Gespräch“ war! Das Buch erschien in rumänischer Übersetzung im Verlag Cartea românească. Lippet und Bohn waren im kommunistischen Rumänien die ersten aus der jüngeren Generation, die das Thema der Deportation literarisch verarbeitet haben.

Der letzte Tagungstag war Horst Samson gewidmet, der 1954 nach Verschleppung seiner Familie in der Bărăgan-Steppe geboren wurde, jedoch nur wenige Erinnerungen an die frühen Kindheitsjahre hat. Er las seinen Text „Im Staub der Geschichte“ aus der Anthologie „Heimat gerettete Zunge“, 2013 im Pop-Verlag erschienen. Außerdem erinnerte er an die Romane von Panait Istrati, der 1928 die „Disteln des Bărăgan“ veröffentlichte, eine längst vergessene Prosa, die die Mühen der Steppe eindrucksvoll schildert. Traian Pop, Verleger und Autor aus Ludwigsburg, dessen Bücher der rumäniendeutschen Autoren bekannt sind, erzählt aus seinem Leben in Kronstadt, seinem Geburtsort, sowie seiner Zeit in Temeswar, von wo aus er 1990 nach Deutschland ausgereist ist. Traian Pop, der mehrere Bücher zum Thema Bărăgan in seinem Verlagsprogramm hat, las einige seiner Gedichte in der Übersetzung von Edith Konrad vor. Das abwechslungsreiche Tagungsthema wurde ergänzt durch Beiträge von anderen Betroffenen, wie etwa die Geschichte „Ein steinernes Zeugnis“ von Dietmar Rennich aus Lenauheim, oder den Kurzbericht der aromunischen Dichterin Kira Mantsu, die aus Veröffentlichungen von aromunischen Verschleppungen und Schicksalen zitierte und über die Geschichte ihrer Großeltern und Eltern erzählte, die als aromunische Volksgruppe zwangsumgesiedelt wurden.

Katharina Kilzer

Schlagwörter: Deportation, Tagung, Bad Kissingen, Banat

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