4. Februar 2023

Abenteuer eines sächsischen Geologen: Eine Lektion in rumänischer Geschichte des 20. Jahrhunderts

Diese spannende Erzählung über zwei fleißige, mutige Siebenbürger Sachsen, Vater und Sohn, versetzt uns in ein anderes Land und führt uns ein in dessen wechselhafte Geschichte im Laufe von hundert Jahren. Die Kernhandlung, das ist die waghalsige Flucht von Horst Peter Hann über die rumänisch-ungarische Grenze, ereignet sich im Oktober 1995. Nach und nach, in Verbindung mit der Familiengeschichte, erfährt der Leser Details über die Lebensverhältnisse der deutschen Minderheit.
Vater Lukas Hann leistet seinen Militärdienst in Craiova und lernt dort seine spätere Frau kennen. – Er lässt sich in Bukarest nieder, wo er als Vertreter einer deutschen Arzneimittelfirma sein Auskommen hat. – Nach dem 23. August 1944 flüchten die Eltern nach Michelsberg, woher der Vater stammt, weil sie Repressionen gegen die deutsche Minderheit befürchten. – Im Januar 1945 wird der Vater wie 75 000 andere Deutsche auf Anordnung der Besatzungsmacht verhaftet, sie sollen in die Sowjetunion deportiert werden, um in den vom Krieg betroffenen Gebieten Aufbauarbeit zu leisten. Dem Vater gelingt es, aus dem fahrenden Zug zu flüchten. – Er findet Unterkunft und Versteck in Focşani, wo der Schwager seiner Mutter, der aus Temeswar stammende Jakob Braun, als Fotograf tätig ist. – Als der Verfasser in der Patsche sitzt, versucht ihm eine Cousine zu helfen, die in Piteşti als Deutsch-Lehrerin an einem Gymnasium unterrichtet.

Für Leser, die nicht vertraut sind mit dem historischen Hintergrund, die wenig oder nichts wissen über die Schicksale der Rumäniendeutschen, sind im Vorfeld zwei Kapitel eingebaut, die darüber Aufschluss geben, wo Siebenbürgen liegt, wer die Siebenbürger Sachsen sind, wo das Banat liegt, wer die Banater Schwaben sind. Es wird beleuchtet, wie sich die politischen Verhältnisse nach dem Ersten Weltkrieg und nach dem Zweiten Weltkrieg veränderten, und es wird erklärt, warum die Rumäniendeutschen im späten 20. Jahrhundert auswanderten. Der jüngeren Generation möchte ich die Erzählung ausdrücklich empfehlen.

Dr. Horst Peter Hann beim Geländepraktikum mit ...
Dr. Horst Peter Hann beim Geländepraktikum mit Studenten der Universität Tübingen auf der Kykladeninsel Syros, 2022
Erst auf den letzten Seiten enthüllt der Verfasser, warum ein rumänischer Staatsanwalt gegen ihn vorgegangen ist. In der Geheimpolizei waren nach der sogenannten Revolution vom Jahre 1989 die alten, antiwestlichen „Securisten“ noch in der Mehrzahl. Um die Bedeutung des Geheimdienstes zu unterstreichen, wollten sie zeigen, dass der Westen immer noch Spione einsetzt, um die Lagerstätten Rumäniens auszukundschaften.

Wahrscheinlich nahmen sie an, dass Hann in ihr Schema passt, obwohl er im Rahmen eines zwischenstaatlichen Abkommens tätig war und geologische Karten verwendete, die er vormals selbst ausgearbeitet hatte. Sie versuchten den Fall mit stalinistischen Methoden aufzubauen. Nach der geglückten Flucht saß Hann der Schreck in den Knochen – erst dreizehn Jahre später wagte er es wieder, Rumänien zu besuchen.

Hans Fink



Horst Peter Hann: „Zwei Generationen – zwei Fluchten“. Verlagshaus Schlosser, Pliening, 2022, 80 Seiten, 10,90 Euro, ISBN 978-3-96200-689-1; E-Book: ISBN/EAN: 978-3-96200-809-3, 5,49 Euro.

Schlagwörter: Buchvorstellung, Geologe, Geschichte, Hann, Literatur

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