31. März 2023

Spannung, Witz und Nostalgie: Lioba Werrelmanns Krimi „Tod in Siebenbürgen“

Eine Reise in die Vergangenheit, ein Mord auf der Törzburg und ganz viel Lokalkolorit: All dies und noch viel mehr zeichnet Lioba Werrelmanns frisch erschienenen Krimi „Tod in Siebenbürgen“ aus, der ungeachtet des etwas reißerischen Titels ein großes Lesevergnügen ist und sich prima an einem Nachmittag durchschmökern lässt. Wie gut, dass die Kölner Autorin eine ganze Buchreihe mit ihrer sympathisch-kantigen Hauptfigur Paul Schwartzmüller plant – so kann man sich schon auf weitere Abenteuer in Siebenbürgen freuen.
Der in Köln lebende freie Journalist Paul Schwartzmüller telefoniert gerade mit seiner Chefredakteurin, die ihm eine verlockende Festanstellung anbietet, als der Postbote ihm ein Einschreiben aus Rumänien überbringt: Eine Bukarester Anwaltskanzlei teilt ihm mit, dass die Schwester seines Vaters verstorben ist und ihm ihren Hof vererbt hat. Erinnerungen an seine geliebte „Tante Zinzi, klein und zart wie ein Mädchen, die aschblonden Haare unter einem eng geknoteten Kopftuch verborgen“, die Paul 35 Jahre für tot gehalten hat, brechen sich Bahn: „Aufgewachsen ohne Mutter in einem grauen Betonkasten am Rande Bukarests, zählten die Sommer bei der Tante in einem winzigen Dorf in Siebenbürgen zu seinen glücklichsten Kindheitserinnerungen.“ Paul ist ein Siebenbürger Sachse, 14-jährig mit seinem Vater nach Deutschland ausgewandert, der ihn bis zu seinem frühen Tod glauben ließ, Zinzi sei „gleich nach ihrer Abreise“ gestorben. Dass das ganz offensichtlich nicht der Wahrheit entspricht, lässt nicht nur lang verdrängte Erlebnisse und Empfindungen aus Pauls Kindheit und Jugend urplötzlich an die Oberfläche dringen, sondern löst eine Kette von Ereignissen aus, an deren Ende er einen Mord aufgeklärt hat und als „glücklichster Mann der Welt“ zur Testamentseröffnung antritt.

Paul bucht den ersten Flug nach Hermannstadt, auf dem er sogleich von der neben ihm sitzenden Dame als „Heruntergekommener“ identifiziert wird. Siebenbürgische Leser werden das schmunzelnd quittieren; für alle anderen (inklusive Paul) wird die Erklärung geliefert: „So nennen wir in Siebenbürgen die Leute, die einst unsere Nachbarn waren und während der Diktatur fort sind. Und die jetzt zurückkommen. Heruntergekommene halt.“ Wie ein „Heruntergekommener“ fühlt sich der Journalist nicht, aber am Hermannstädter Flughafen überwältigen ihn sofort wieder die Erinnerungen: „Es war die Luft. Sie roch nach Benzin und tausenderlei Düften, die die Menschen ausströmten, die mit Paul die Ankunftshalle verließen. Und darunter, so sanft, dass es außer ihm womöglich niemandem auffiel, und zugleich vollkommen betörend, duftete es süß und mild. Das, erkannte Paul sofort, war der Duft Siebenbürgens. Der Duft seiner Kindheit.“

Es wird während seines Aufenthalts in Siebenbürgen noch viele solcher Momente geben: wenn er mit seinem Mietwagen in die Hauptstraße von Tante Zinzis Heimatdorf einbiegt, wo er sich „wie in einer Märchenwelt“ fühlt; wenn er den Ort findet, „den er mehr liebte als alle anderen, sogar mehr als Tante Zinzis Sommerküche. Das Baumhaus.“; wenn er „das Bellen der Hunde (…), wenn die Dunkelheit über das Dorf kam“ hört oder zum ersten Mal die sonnenbeschienene Kette der Karpaten erblickt: „Dies, er wusste es in diesem Moment, war sein Zuhause.“ Denn: „Dies hier war nicht einfach nur ein pittoresker Ort, umgeben von wildromantischer Landschaft. Dieses Dorf, vertraut und fremd zugleich, hatte für ihn etwas ganz und gar Zauberisches.“

Zugleich quält ihn „das Gefühl, schuldig zu sein (…), das ihm seit Jahr und Tag vertraut war und das er aus tiefster Seele hasste“. Warum er sich schuldig fühlt, wird er ebenso herausfinden wie den Grund, der ihn und seinen Vater 35 Jahre zuvor zur überstürzten Ausreise zwang – und auch, wie alles zusammenhängt. „Nicht nur, dass er (…) Tante Zinzi ins Unglück gestürzt hatte. Nein, auch das Verhalten des Vaters erschien ihm nun in einem völlig anderen Licht. Immer hatte er ihm gegrollt, dass er ihn von jetzt auf gleich aus seinem Leben in Rumänien herausgerissen hatte, dass er nicht mit ihm darüber sprechen wollte. Dabei hatte der Vater ihn nur beschützt.“

Neben Vergangenheitsbewältigung und Identitätskrise gilt es einen Mord aufzuklären. In der Folterkammer der Törzburg wird eine Leiche gefunden, und ausgerechnet Sorin, Pauls bester Freund aus Kindheitstagen, der dort als Reiseführer arbeitet, wird als Verdächtiger in Gewahrsam genommen. Ihn zu entlasten, wird Paul von der „furchterregenden Maia“, die auf Tante Zinzis Hof lebt, Sorins Mutter, die man seit der Festnahme ihres Sohnes im Dorf ächtet, und nicht zuletzt von seinem eigenen schlechten Gewissen geradezu aufgezwungen. Dabei helfen ihm seine journalistischen Fähigkeiten und das gewiefte Roma-Mädchen Pušomori mit einem alten, zerbeulten Laptop – wenn es denn Strom gibt. Zwielichtige Profiteure aus dem Westen und dem Osten kreuzen seinen Weg, der ominöse „Dracula-Park“ und eine illegale Mülldeponie spielen ebenfalls eine Rolle.

Lioba Werrelmann hat einen prallen siebenbürgischen Regionalkrimi vorgelegt, der voller Wärme von den früheren und jetzigen Dorfbewohnern spricht, atmosphärische Bilder heraufbeschwört, die Geschichte der Siebenbürger Sachsen erzählt und dabei spannend und wunderbar geschrieben ist. Das Buch, das als Auftragsarbeit ihres Verlages begann – „ein großer Glücksfall“, wie die Autorin der Siebenbürgischen Zeitung gegenüber bekennt –, ist das erste in einer Reihe, die im Sommer 2024 mit dem bereits konzipierten zweiten Band fortgesetzt wird. Werrelmann hat zur Vorbereitung „Unmengen an Büchern verschlungen, Bücher über Siebenbürgen, Bücher von siebenbürgischen Autor:innen, Bücher von Menschen, die dorthin ausgewandert sind, alle Filme und Dokumentationen geguckt, die ich finden konnte. Vor allem aber habe ich mit Menschen gesprochen, die einst in Siebenbürgen gelebt haben, deren Vorfahren von dort stammen“, berichtet sie. Und schließlich hat sie im Sommer 2022 mit einer Freundin eine Reise in den Karpatenbogen unternommen. „Wir waren mit einem Mietauto unterwegs, vor allem rund um Hermannstadt, aber auch in Schäßburg, in Reußdorf und in Kleinschenk. Wir haben sehr, sehr viele Kirchenburgen bestaunt, mit den Burghüterinnen gesprochen, mit unseren Gastgebern, mit Menschen, denen wir unterwegs begegnet sind. Und wir haben köstlich gegessen.“

Die akribische Recherche der erfahrenen Autorin (unter anderem hat sie als Lilly Bernstein zwei sehr erfolgreiche historische Romane veröffentlicht) und hauptberuflichen WDR-Redakteurin hat sich bezahlt gemacht und ihre tiefe Zuneigung zu Land und Leuten ist auf jeder Buchseite zu spüren. Paul Schwartzmüller isst voller Wonne Palukes, Hanklich, Mohnnudeln und Baumstriezel, erinnert sich wehmütig an die Hermannstädter Lügenbrücke und die Legenden, die sich um sie ranken, und badet geradezu im von Lioba Werrelmann erschaffenen Romanschauplatz Siebenbürgen mit all seinen vergangenen und gegenwärtigen Traditionen, Geschichten, Gerichten. In „Tod in Siebenbürgen“ vereinen sich Spannung, Witz, Nostalgie und liebevoll gezeichnete Figuren: eine absolute Leseempfehlung!

Doris Roth


Lioba Werrelmann: „Tod in Siebenbürgen“. Paul Schwartzmüller ermittelt. Eichborn Verlag, Köln, 2023, 304 Seiten, 17 Euro, ISBN 978-3-8479-0119-8.

Schlagwörter: Buchbesprechung, Kriminalroman, Siebenbürgen, Literatur

Bewerten:

20 Bewertungen: o

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.