16. September 2006

Sehenswerter Film: "Lautari, Virtuosen der Straße"

Im Rahmen der bekannten Sendereihe „Unter unserem Himmel“ im Bayerischen Fernsehen lief am 27. August der neue Dokumentarfilm von Ludwig Ott über die Musikzigeuner Rumäniens, die „Lăutari“. Die uns Landsleuten aus Siebenbürgen bekannt vorkommenden Zigeunerweisen haben allerlei Erinnerungen geweckt. Die im Film eingefangene Umgebung dieser Menschen, das heutige Zuhause der sich zur Roma-Minderheit zählenden Volksgruppe mag auf Nichtkenner Rumäniens schockierend wirken.
Den Siebenbürger Sachsen, die ihre Kindheit und Jugend in Rumänien verbracht haben, wird dabei sicherlich bewusst, dass hier fast nur Nebenschauplätze von Roma-Wohnkultur gezeigt werden, im Gegensatz zur gesitteten und zivilisierten Lebensweise in Rumänien.

Zu Beginn wird die stattliche Gemeinde Großpold gezeigt, von wo der 76 Jahre alte Musikzigeuner Șonea zusteigt, um die Filmleute nach Mediasch zu führen und ihnen dort seine Landsleute vorzustellen. Es sind die Bewohner der Ziganie aus der einstmals stolzen siebenbürgisch-sächsischen Gemeinde Pretai, in der fast nur noch Zigeuner leben, die in Mediasch am Stadtrand zusammenkommen und sich vor der Kamera mit Musikeinlagen hören und interviewen lassen. Die begabten Musiker spielen ohne Notenkenntnis, nur nach Gehör, und haben bisher ihren Lebensunterhalt mit Musik verdient, wie der Gewährsmann Șonea erzählt. Seit dem neunten Lebensjahr spielt er das typische Zigeunerinstrument „Taragot“, ein Zwischending zwischen Klarinette und Saxophon, bloß mit einem größeren Trichter als die Klarinette. Gefragt, welche Lieder denn gesungen und gespielt würden, antwortet er, dass es Zigeunerlieder und Weisen aus der Region von der Kleinen und Großen Kokel seien und auch Csardas für ungarische Zigeuner aus der Umgebung gespielt werden. Die Formation (Kapelle) bestand aus einem Taragotspieler, zwei Geigen (auch Bratsche), einem Akkordeon, einem Kontrabass und einem Trommler. Aber heute spielen die Jungen, die 40-Jährigen, und setzen die Musiktradition fort auf Hochzeiten, bei Begräbnissen und anderen Gelegenheiten. Auf Wunsch der Kameraleute singt der Musiker Șonea zwei alte Zigeunerlieder in der Romanesh-Sprache über Liebe und Leid, Trauer und Freude. Ältere Landsleute unter den Siebenbürger Sachsen erinnern sich noch deutlich an die vor dem Krieg beliebte Zigeunerkapelle aus Pretai, wo sieben Brüder und ihr Vater flotte Tanzmusik in den umliegenden Gemeinden boten.

Der Film zeigt auch die Bukarester Musikzigeuner im Roma-Viertel am Stadtrand, der „Mahala“, wo drei „Lăutari“ warten, um den Kameraleuten vorzuspielen. Auf der „Zimbal“, einem der Zither ähnlichen Instrument, dem Akkordeon und einer Trompete verstehen es die Vollblutmusiker meisterhaft, flotte Zigeunermusik darzubringen. Schon der Vater des Zimbal-Spielers und auch der Großvater spielten das gleiche Instrument und zogen damit als Wandermusiker übers Land. Die Reparatur der Musikinstrumente findet auf archaische Weise statt. Eine Trompete wird in einer uralten Werkstatt mit einer benzingetriebenen Lötlampe gelötet. Ein Gummiband ersetzt die gebrochene Feder bei der Trompete. Die Blaskapelle, hier Fanfare genannt, wird per Bus nach Bukarest gebracht zum letzten großen Markttag vor Ostern in Bobești im Osten der Hauptstadt, wo sie Zigeunerweisen spielen.

Die obere Moldau um Jassy ist eine Landschaft, wo auch einige Zigeunerkapellen beheimatet sind. Das Kamerateam filmt an den Osterfeiertagen die Fanfare von Cosmești, einem Dorf an der Grenze zur Republik Moldau, etwa 50 km weit von Jassy Iași). Stundenlang zieht die Fanfare spielend von einem Gehöft zum anderen und bekommt Wein und Geld für die Einzelständchen. Laut Kapellmeister Marcel Costandache blickt die Fanfare auf eine 110 bis 115 Jahre alte Tradition zurück. Die bekannteste ist wohl die Fanfare „Ciocârlia“, zu deutsch „Lerche“, aus dem Dorf Zece Prăjini („Zehn Zaunpfähle“), etwa 50 km entfernt von Cosmești. Zu Ostern sind die Mitglieder dieser Star-Fanfare zu Hause und können gefilmt werden. Als berühmte Fanfare absolvieren die Musiker internationale Auftritte und sind auch in Deutschland erfolgreich aufgetreten. Sie sind im Gegensatz zu ihren Kollegen aus Cosmești Profis geworden. Bei ihren weltweiten Engagements begeistern sie mit ihrer überaus schnellen Zigeunermusik viele Liebhaber.

Dieser Film wurde bei unseren Landleuten unterschiedlich aufgenommen worden. Die meisten waren dankbar und lobten die interessante Dokumentation von Regisseur Ludwig Ott mit seinem Kameramann Herbert Lehner sowie unserem Landsmann Andreas Lutsch als landeskundigem Dolmetscher.

Walter Klemm


Schlagwörter: Film, Rezension

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