23. August 2008

Zeitzeugen berichten über die blutigste Grenze Europas

Wenn sich die Sonne in den 1970er und 1980er Jahren im Westen neigte, haben viele rumänische Staatsbürger, aber auch manch ein Deutscher aus der DDR die Flucht über die West­­grenze Rumäniens gewagt. Stacheldraht und Wasser, die Donau, Schießbefehl und Folter ha­ben sie nicht abgeschreckt. Der Drang nach Frei­heit war so groß, dass sie ihr Leben riskierten. Die knapp 1 000 Kilometer lange Westgrenze Rumäniens ist in den 1980er Jahren zur blutigsten in Europa geworden.
Vermutlich sind an dieser Grenze mehr Menschen ums Leben ge­kommen als an der innerdeutschen. Doch das ist unbekannt. Denn von den Untaten der Soldaten an der Grenze zu Ungarn und Jugoslawien hat nur selten ein Journalist berichtet. Rumänien war ausschließlich von kommunistischen Staaten umgeben. Selbst die Presse im relativ liberalen Jugoslawien musste auf die Befindlichkeiten des nördlichen Nachbarn Rücksicht nehmen. 17 Jah­re nach dem Sturz des rumänischen Diktators Nicolae Ceaușescu sind die Gräueltaten an diesem Teil des Eisernen Vorhangs unbekannt. Die Archive sind noch immer unzugänglich, die Behörden verhindern Recherchen. Zeugen oder Familienangehörige von Ermordeten und Er­schossenen, die in Ru­mänien leben, wollen nicht sprechen. Einfacher ist hingegen die Recherche in Deutschland, wo viele der Flüchtlinge oder deren Angehörige leben. Ein Teil von ihnen kommt in diesem Buch zu Wort.

Der Band ist ein Versuch, ein wenig Licht in dieses dunkle Kapitel europäischer Geschichte zu bringen. Denn Ceaușescus Grenzer haben willkürlich geschossen, sie haben gefasste Flüchtlinge totgeprügelt, in der Donau er­tränkt oder mit Schnellbooten überfahren. Viele Opfer sind auf dem serbischen Donau-Ufer begraben worden. Auf jedem Friedhof auf der serbischen Seite gibt es wenigstens eine Reihe von Gräbern, in denen Opfer des unmenschlichen Grenzregimes ihre letzte Ruhe gefunden haben. Auf den inzwischen verfaulten Holz­kreuzen stand einst auf Serbisch „Name unbekannt“. Dieses Buch berichtet aber nicht nur von Tod, Mordschlag und Folter, sondern auch von Erfolgen. Flüchtlinge haben sich stets etwas einfallen lassen, nicht nur jene, die die innerdeutsche Grenze überwinden wollten. Zu Wort kommen Deutsche aus dem Banat und aus Siebenbürgen, Rumänen und Ungarn und sogar der Zigeunerkönig aus Hermannstadt.

Grenzen haben Europa getrennt, sie fallen der Reihe nach oder verlieren immer mehr an Be­deutung; auch das wollen die beiden He­raus­geber in und mit diesem Band beweisen: Doina Magheți und Johann Steiner legen in diesem Buch die Ergebnisse langer Recherchen vor. Ihre Gespräche mit Leuten in Rumänien und mit Grenzgängern in Deutschland sind in diesem Band, einer grenzüberschreitenden Arbeit, zu­sammengefasst. Doina Magheți war in Rumä­nien unterwegs, Johann Steiner in Deutschland und Serbien. Das Buch ist noch nicht im Buchhandel gewesen, da sind schon Rufe nach einem zweiten Band laut geworden. Er wird kommen. Viel­leicht ermutigt der erste Band mehr Leute, sich mit ihrer Geschichte beim Verlag zu melden.


„Die Gräber schweigen“, ISBN 978-3-00-024991-4 kann zum Preis von 22 €, inkl. Ver­sand­kosten, bei: Verlag Gilde & Köster, Am Was­sergra­ben 2, 53842 Trois­dorf, Telefon: (01 75) 6 09 44 31 oder (0 22 46) 21 66, E-Mail: verlaggilde [ät] web.de, bestellt werden.
Die Gräber schweigen
Doina Magheti
Die Gräber schweigen

Verlag Gilde & Köster
Kindle Ausgabe

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Schlagwörter: Neuerscheinung, Kommunismus

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Neueste Kommentare

  • 23.08.2008, 23:22 Uhr von gloria: Endlich,endlich wird auch in diesem Forum über die Greueltaten aus der kommunistischen Zeit ... [weiter]
  • 23.08.2008, 23:17 Uhr von S.IRENE: Dazu einige Links für Interessierte: http://www ... [weiter]
  • 23.08.2008, 14:58 Uhr von rio: Danke Don Carlos für die wahren Worte und die zutreffende Charakterisierung des Systems, für die ... [weiter]

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