10. Januar 2009

"Was für Steine, was für Bauten": Überlegungen zu Jacobis Kirchenburgen-Bildband

Als Denkanstoß und Diskussionsbeitrag will der Autor des nachfolgenden Beitrags, Dr. August Schuller, seine Überlegungen verstanden wissen. Die Reflexionen des vormaligen Stadtpfarrers von Schäßburg sind inspiriert von Peter Jacobis Bildband „Siebenbürgen – Bilder einer Reise. Wehr- und Kirchenburgen. Pelegrin prin Transilvania“, Verlag Wort + Welt + Bild 2007 (siehe Besprechung in der Siebenbürgischen Zeitung).
„Was für Steine, was für Bauten“, mit diesen Worten legte ich Peter Jacobis Buch zunächst aus der Hand. Autor und Verlag sind dafür zu beglückwünschen. Denn der dokumentarische Wert des Buches und seiner Bilder ist eindeutig und bestimmt auch einmalig. Selten hat mich ein Buch so angesprochen und bewegt, wie dieses. Vor dem einen oder anderen Bild verweilte ich länger, betroffen und mit zwiespältigen Gefühlen und unterschiedlichen Erinnerungen. Auf jeden Fall ein zeitgeschichtliches Dokument von besonderem Wert. Das Titelbild springt einen regelrecht an: „welche Steine ...“! Als ich den Bildband wieder zur Hand nahm, wurde ich beim meditativen Lesen und Schauen an eine biblische Geschichte erinnert, die im 13. Kapitel des Markusevangeliums steht. Da wird erzählt, dass Jesus und seine Jünger den Jerusalemer Tempel verlassen und ihm den Rücken zukehren. Einer von den zwölf Jüngern schaut sich noch einmal um und sagt: „Meister, sieh doch, was für Steine und was für Bauten“ (Markus 13, 1).
Martin Werner, der 95-jährige Burghüter in ...
Martin Werner, der 95-jährige Burghüter in Meschendorf. Foto: Peter Jacobi
Der bekannte antike Geschichtsschreiber Flavius Josephus schildert in seinem Geschichtswerk „Jüdische Altertümer“, dass bei Baubeginn des Jerusalemer Tempels 10 000 Handwerker und 1 000 Priester mitarbeiteten und zum Bauende, etwa nach 70 Jahren, noch 18 000 Bauleute beschäftigt waren. Im Blick auf dieses großartige Bauwerk kennen wir aus der jüdischen Tradition den Spruch: „wer nicht den Tempel des Herodes in Jerusalem gesehen hat, der hat noch nie ein schönes Bauwerk gesehen“. Da kann man schon nachempfinden, wenn einer der Jünger Jesu sagt: „was für Steine und was für Bauten“. Gleichsam für die Ewigkeit gebaut. Dieser Tempel war ein Repräsentant des Göttlichen auf dieser Erde und stand für Gottes Ordnung in dieser Welt. Er stellte das religiöse wie auch politische Zentrum des Judentums dar. Und dann antwortet Jesus dem staunenden Jünger: „Nicht ein Stein wird auf dem andern bleiben, der nicht zerbrechen wird“ (Mk. 13,2). Jesus sagt das nicht besserwisserisch, sondern mit großer Trauer. Der Evangelist Lukas erzählt, dass dieser Tempel zerstört wurde und dass Jesus über diese Zerstörung weint. Er freut sich nicht schadenfroh darüber, aber er erkennt die Zeichen der Zeit. Und er sieht dabei das Ausmaß menschlicher Hybris und Zerstörung, die auch zu diesem Himmel und dieser Erde gehören. Zum Schluss sagt Jesus angesichts dieser vergehenden Pracht das bekannte Wort: „Himmel und Erde vergehen, aber meine Worte bleiben“(Markus 13,13).

Der Bildband, mit seinen vielen, die Vergänglichkeit und Hinfälligkeit darstellenden Mauern, Steinen und Kirchengebäuden in siebenbürgischen Gemeinden, ist dem Gedächtnis eines Gemeinwesens gewidmet, das nach über 800 Jahren Geschichte denkmalfähig wird. Dabei transportiert er eine Botschaft, die im Kontext des biblischen Wortes aus Markus 13 etwa so lauten könnte: Wir Menschen sind im Leben, Bauen und im Erhalten des von uns Geschaffenen der Endlichkeit ausgesetzt. Was wir Menschen planen und bauen, planen, bauen und vollenden wir immer in den uns gesetzten Grenzen. Die Weisheit des Alten Testamentes fasst das in die Worte zusammen: „Alles hat seine Zeit“ (Prediger 3) – Bauen hat seine Zeit, Abbrechen hat seine Zeit.

Als Luther am 5. Oktober 1544 die Schlosskirche zu Torgau einweihte, sagte er wörtlich: „dass nichts anderes darin geschehe, (als) dass unsere lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang“. Diesem hehren Zweck dienten auch die Kirchen, die der Bildband darstellt. Das war der Grund, weshalb sie gebaut wurden: als Haus der Gemeinde und als Ort der Begegnung mit dem Heiligen. Diese Kirchen atmen und transportieren das Wissen um Menschen, die hier durch die Jahrhunderte gebetet und gesungen, ihre Freude und ihr Leid miteinander geteilt und vor Gott gebracht und so Gottes Heil und Gnade erfahren haben.

Aber die gleichen Kirchen zeichneten sich im Laufe der Jahrhunderte, in welchen sie zu wehrhaften und stolzen Kirchenburgen ausgebaut wurden, auch durch ihre unübersehbare Ambivalenz aus. Um die Kirche als Burg scharten sich auch andere Gebäude: Schulen, Rathäuser, Pfarrhäuser. Dörfer und Städte wurden durch ihre Kirchen, Burgen und Türme gekennzeichnet. Ihre Präsenz und Monumentalität machten auch eine politische Ansage, die aus sichtbarer Macht und religiöser Überzeugung gewonnen wurde. Sie bestimmten im Laufe der Jahre das Bild des sächsischen Dorfes und der Stadt. In ihrer Verquickung von machtpolitischen sowie religiösen Bestrebungen diente die Kirche als Orientierungspunkt. Der betreffende Ort wurde durch seine Kirche gekennzeichnet, in welcher nicht nur Gottesdienste gefeiert wurden. Die Gemeinde, die zum Gottesdienst zusammenkam, demonstrierte auch politische Macht und Stärke. Durch Kirchen und Kirchenburgen besetzte man Orte. Gebaut wurde nicht nur zur Ehre Gottes. So verweisen die Kirchen dieses Bildbandes auch auf eine Zeit, in der „Recht und Brauch“ der Evangelischen Kirche A.B. in Siebenbürgen fast als natürliche gesellschaftliche Ordnung angesehen wurden. Das ist längst nicht mehr so. Spätestens nach dem 1. Weltkrieg setzte eine andere Bewegung ein. Auch in Siebenbürgen. Der öffentliche Raum Kirche verlor allmählich seine Mittelpunktfunktion. Als der Exodus der Siebenbürger Sachsen nach dem 2. Weltkrieg durch Vertreibung und Flucht, durch Familienzusammenführung und, nach der rumänischen Revolution vom Dezember 1989, durch die Öffnung der Grenzen stattfand, blieben die stattlichen Kirchen (Gotteshäuser) ohne lebensfähige Gemeinden zurück. In einigen Gemeinden schrumpfte die Gemeindegliederzahl bis zur Unkenntlichkeit der einstigen Gemeinden zusammen. Zurück blieben Kirchengebäude ohne Gemeinde oder mit Kleinstgemeinden, die überfordert waren. Auch davon erzählt der eindrucksvolle Bildband.

Aus Kornspeichern entstehen Kirchen

Wenn wir heute durch Europa reisen, durch Frankreich oder Irland, durch England oder Holland, wenn wir durch den ehemaligen „Ostblock“ reisen, stellen wir allgemeinen fest: überall gibt es diese „Kirchenruinen“. Aber wir nehmen auch eine Gegenbewegung wahr: aus Kornspeichern entstehen Kirchen, ebenso aus Schwimmhallen, wie in St. Petersburg. In Mecklenburg-Vorpommern machen sich auch bekennende Atheisten für ihre baufällige Dorfkirche, die sie einst verfallen ließen, wieder stark. „Alles hat seine Zeit“. Auch Kirchengebäude sind dem Wandel der Zeit unterworfen. Nichts muss bleiben, wie es einmal war. Nichts wird werden, wie es einmal war.

Aus Hamburg weiß ich, dass in den Jahrzehnten zwischen 1950 und 1980 nahezu ebenso viele Kirchen gebaut wurden, wie in sämtlichen vorherigen Jahrhunderten zusammen. Dass sich diese Kirchenlandschaft im 21. Jahrhundert verändern muss, ist allen klar. Darüber wird in den einzelnen Stadtteilen heftig diskutiert. In der Politik genau wie in der Kirche. Und das ist gut so. Insoweit war und ist der Bildband von P. Jacobi notwendig. Es sind „Bilder einer Reise“. Die Bilder fordern den Betrachter heraus, regen an und laden zum Gespräch ein. Es geht also um mehr, als nur einen „Hauch von Verlassenheit, von Untergang“ durch diese Bilder zu dokumentieren. Er steht für eine existentielle Auseinandersetzung des Bildbetrachters. Der Band möchte einladen, „zur eigenen Vergangenheit in Beziehung zu treten“, so Ioana Vlasiu im Begleittext. Heißt das nicht auch, nach den eigenen Ursprüngen zu suchen, nach den eigenen Wurzeln neu zu fragen? Das Buch trägt den sehr gegenwartsnah anmutenden rumänischen Untertitel: „Pelegrin prin transilvania“. Das Kirchenlatein wandelte den peregrinus (Fremdling) in den pelegrinus ab und machte aus ihm den Wallfahrer, der sich auf den Weg macht, um seinem Leben Tiefe zu verleihen. Die deutsche Übersetzung des Untertitels, „Peter Jacobis Siebenbürgische Wallfahrt“, bringt das Anliegen des Bildbandes am deutlichsten zum Ausdruck.

Die Pilger, die sich in Siebenbürgen einmal für eine bestimmte Zeit niedergelassen haben, Kirchen gebaut, um dem Heiligen einen Ort zu geben, sind wieder aufgebrochen. Sie sind weitergezogen und in andere Räume eingezogen. Sie werden eingeladen, sich mit dem Woher und Wohin des Lebens zu beschäftigen. Der Pilger ist Gast auf Erden, auch der siebenbürgische. Er hat ein Ziel. Paul Gerhardt sagt: Ich bin ein Gast auf Erden und hab hier keinen Stand. Der Himmel soll mir werden, da ist mein Vaterland. Hier reis ich bis zum Grabe, dort in der ewgen Ruh, ist Gottes Gnadengabe, die schließ all Arbeit zu (Ev. Gesangbuch 529). Veränderungen wollen wir deshalb nicht nur als Abschied begreifen und deuten, sondern auch als Neuanfang.

Die VELKD (Vereinigte Evangelisch-lutherische Kirche Deutschlands) hat sich mit diesem sehr komplexen Problem, das keineswegs nur ein siebenbürgisches ist, ausführlich beschäftigt und grundsätzliche Kriterien dafür erarbeitet und herausgegeben: „Was ist zu bedenken, wenn eine Kirche nicht mehr als Kirche genutzt wird?“ (Dokument Nr. 122 von 2003). Hier wird gesagt: „Der Mensch ist auf eine feste und sinnlich wahrnehmbare Gestalt des Glaubenszeugnisses angewiesen. Er braucht deshalb sichtbare Orte der Evangeliumsweitergabe, die als solche öffentlich erkennbar und auf Dauer angelegt sind. (...) Als geprägte Räume haben Kirchengebäude darüber hinaus eine kulturelle Bedeutung sowohl in ihrer Wirkung nach innen bezüglich der versammelten Gemeinde wie auch nach außen als Wahrzeichen am Ort“. Leitendes Kriterium ist deshalb das Zusammenspiel der beiden Funktionen von Kirchengebäuden: zum einen der „Symbolwert der Präsenz“ und zum anderen die „ Innere Funktion“ (der Gebrauchswert) als Versammlungsstätte der feiernden Gemeinde (ebenda Seite 3 und 4).

Viele Bilder des Bildbandes weisen darauf hin, dass die innere Funktion der jeweiligen Kirche erloschen ist oder demnächst erlöschen wird. Wo in einer Kirche keine Gottesdienste mehr gefeiert werden, hat diese Kirche als Gotteshaus ihren Existenzausweis verloren. Denn die Kirche ist kein medium salutis. Geblieben ist „neben einem Hauch von Untergang“ der Symbolwert (Zeichenfunktion) der Präsenz dieser Kirchen. Die Türme weisen nach wie vor, wie Zeugen der Erinnerung, nach oben, zum Himmel. Andere Kirchen sowie mancher Kirchplatz erinnern eher an offene Wunden, die noch schmerzen, weil sie nicht verheilen wollen. Insgesamt aber werden sie von Gläubigen und Ungläubigen wahrgenommen „als hilfreiche Zeichen in einer diesseitigen Welt und Wegweiser für Sinn in einer fragenden Welt“ (Leipziger Erklärung 2002).

Der eindrucksvolle Bildbericht wird mit einem „Aufruf zur Rettung der Baudenkmäler in Siebenbürgen“ abgeschlossen. Auch Möglichkeiten einer zukünftigen Nutzung werden ins Auge gefasst. Aus eigener Erfahrung kann ich dazu dieses sagen: Bevor Kirchen verfallen und als unansehnliche, störende oder peinliche, das Heilige entweihende Ruinen dastehen und die religiösen Gefühle der Menschen beleidigen oder verletzen, sollen sie abgetragen werden.

Als wir in Nordsiebenbürgen evangelische Kirchen verkauften, konnten wir sie an orthodoxe Kirchengemeinden, die im jeweiligen Ort schon heimisch geworden waren, verkaufen. Das war immer eine vertretbare Lösung. Diese Kirchen behielten ihr äußeres Aussehen, lediglich der Innenraum wurde dem orthodoxen Gottesdienstverständnis angepasst. Aber grundsätzlich gilt: Kirchen werden nicht verkauft. Lieber das Pfarrhaus oder andere Räume veräußern, um mit dem Erlös die Kirche zu erhalten.

Über die Umnutzung von Kirchen wird zurzeit intensiv nachgedacht und diskutiert: z. B. in Kulturkirchen (Konzerte, Ausstellungsräume) oder in Bildungskirchen (Tagung- und Begegnungsstätten) etc. Kirche als ökumenisches Zentrum wäre als Zukunftsprojekt wichtig; oder zwei Gemeinden nutzen eine Kirche (Simultankirche). Prioritär muss man jedoch mit der Erkenntnis umgehen, dass Kirchen und Kirchenräume nicht beliebig zu verzwecken sind. Wenn nämlich eines Tages alles gleich gültig wird, wird alles gleichgültig. Nicht uninteressant ist auch die geäußerte Vorstellung, dass ein kontrolliertes Einmotten von bestimmten Kirchen, im Blick auf bessere Zeiten, vorgenommen werden kann. Im Blick auf die Kostenfrage muss der Grundsatz eingehalten werden: Menschen vor Mauern. Bei allen Vorschlägen und Überlegungen dürfen wir jedoch im Blick auf dieses Anliegen sowie dessen Verwirklichung eins nicht vergessen: Die angemessene Bewahrung und Restaurierung all dieser Kirchen und Burgen ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Kulturaufgabe.

Dr. August Schuller, Brühl


Schlagwörter: Kirchenburgen, Kulturerbe, Kirche und Heimat

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