11. April 2009
Oldenburger Bundesinstitut feierte zwanzigjähriges Jubiläum mit einer internationalen Tagung
Ohne Pomp, sondern einer wissenschaftlichen Einrichtung angemessen, beging das Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa am 9.-11. März in Oldenburg sein zwanzigjähriges Jubiläum mit einer international besetzten Fachtagung zum Thema „Aufbruch und Krise. Das östliche Europa und die Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg“. Dabei wurden, insbesondere von Prof. Dr. Stefan Sienerth, aber auch in weiteren Beiträge siebenbürgische Fragen angesprochen, in anderen Vorträgen wurden vergleichbare Entwicklungen in anderen Regionen Ostmitteleuropas geschildert.
Der Erste Weltkrieg und seine Folgen hatten die politische Entwicklung in Mittel- und Osteuropa nachhaltig beinflusst. Neue Staaten entstanden, neue Grenzen wurden gezogen. Die Pariser Vorort- und Minderheitenschutzverträge haben zahlreiche historisch gewachsene Regionen und Siedlungsgemeinschaften neu geordnet. Minderheiten wurden zu Staatsvölkern, Staatsvölker zu Minderheiten. Die Auseinandersetzung mit dem Krieg und seinen Auswirkungen erfolgte insbesondere auch auf kulturellem Gebiet, in der Literatur, der Architektur, der bildenden Kunst, in den Geistes- und Kulturwissenschaften.
Eine multidisziplinäre und multinationale Betrachtung sei für eine qualitative Erkenntniserweiterung in Anbetracht vergleichbarer Phänomene unerlässlich, betonte Institutsdirektor Matthias Weber. Es bestehe zudem die Notwendigkeit, bisher unbeachtete Quellen stärker als bisher für wissenschaftliche Untersuchungen heranzuziehen.
Die ersten Tagungsbeiträge standen unter dem Titel „Identität und Krise“. Marion Brandt (Gdańsk/Danzig) referierte zu Beginn zur Danziger Rundschau im politischen Umfeld der Freien Stadt Danzig. Die Wochenzeitung, die in den Jahren 1923-1926 erschien, sei ein Beleg dafür, dass es auch Presseorgane abseits vorherrschender Tendenzen gab, die sich als Kontrapunkt zu antisemitischen und nationalistischen Strömungen begriffen. Die Medienwissenschaftlerin Brigitte Braun (Trier) erörterte anschließend die Rolle des Films als breitenwirksames Propagandamedium zur Zeit der Weimarer Republik. Ryszard Kaczmarek (Katowice/Kattowitz) widmete sich den Kriegerdenkmalen und der materiellen Kriegssymbolik in Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg. Sowohl auf deutscher als auch auf polnischer Seite seien Denkmale in sakralem Zusammenhang (z. B. Namenstafeln an Kirchen, Friedhöfen etc.) meist unverändert erhalten geblieben. Die sogenannte Freikorps- und Abstimmungsliteratur der Nachkriegszeit, in die Jürgen Joachimsthaler (Heidelberg) einführte, sei geprägt von einem Kanon an Texten mit vergleichbaren Handlungssträngen und Figurenkonstellationen. Während die so genannte Abstimmungsliteratur, deren Wurzeln in der deutschen und polnischen Kampfliteratur lägen, den Leser politisch zur deutschen Seite bewegen wollte, habe die nach dem Krieg sich etablierende so genannte Freikorpsliteratur den Kämpfer und Krieger zur letzen Bastion gegen den Identitätsverlust stilisiert. Der masurische Autor Richard Skowronnek stand im Mittelpunkt der Betrachtung von Regina Hartmann (Szczecin /Stettin) zur Grenzlandliteratur nach dem Kriegsende. Die Funktionalität von Literatur in propagandistischem Sinne stelle sich dabei als eine Kombination von narrativ-allegorischen und pseudo-dokumentarischen Elementen dar. Am Beispiel von autobiografischen Quellen deutschbaltischer Frauen analysierte Anja Wilhelmi (Lüneburg), in welcher Hinsicht ihrer Ansicht nach Kriegserfahrungen prägend für ein nationales Selbstverständnis und die geschlechtliche Identität (z. B. Tätigkeit im Sanitätsdienst) waren. Die Kunsthistorikerin Małgorzata Omilanowska (Warszawa/Warschau und Gdańsk/Danzig) beleuchtete – nicht zuletzt anhand einer Vielfalt visueller Quellen – den nach dem Ersten Weltkrieg geschaffenen Status Polens als Seemacht als prägend für die Vermittlung und Bildung einer spezifischen Staatsidentität. Ausschlaggebend sei dafür das „Meeresbewusstsein“ bzw. die „Erziehung zum Meer“ gewesen, die in Architektur, Kunst und Medien ihren visuellen Ausdruck gefunden habe. Der zweite Themenkomplex „Loyalität, Segregation oder Autonomie? Minderheiten in der Nachkriegsordnung“, wurde von Jochen Oltmer (Osnabrück) mit einem Beitrag zur Migration „Volksdeutscher“ fremder Staatsangehörigkeit im östlichen Europa zur Zeit der Weimarer Republik begonnen. Die Minderheitenpolitik habe dabei die saisonale Wanderung von Arbeitskräften ins Deutsche Reich in Hinblick auf den deutschen Kulturaustausch sowie die Privilegierung deutscher Arbeitskräfte gegenüber „ausländischen“ gefordert und gefördert, wohingegen eine dauerhafte Einwanderung als nicht erstrebenswert erachtet worden sei. Die Loyalitätsfrage bei Soldaten deutscher Nationalität in der polnischen Armee wurde von Pascal Trees (Warszawa/Warschau) erörtert. Einerseits habe sich auf polnischer Seite das Stereotyp des „vorbildlichen Deutschen“ etabliert, andererseits sei der Dienst in der polnischen Armee von deutscher Seite als Möglichkeit zur Kampfausbildung betrachtet worden. Die Facetten polnischer Kulturpolitik in Ostoberschlesien wurden von Wojciech Kunicki (Wrocław/Breslau) aufgezeigt. Von Interesse war dabei besonders die Tätigkeit einer Gruppe von Intellektuellen rund um den schlesischen Publizisten und Autor Wilhelm Szewczyk (1916-1991), die sich später ausgerechnet an die nationalsozialistischen und antisemitischen Tendenzen des Deutschen Reichs anlehnte. Den strukturellen Wandel von den baltischen Provinzen zu den Staaten Estland und Lettland beschrieb Michael Garleff (Oldenburg) in Hinblick auf die Identitätskrise bei den Deutschbalten, die der veränderte Status von der Führungsschicht zur nationalen Minderheit mit sich gebracht habe. Die in beiden Staaten unterschiedlich praktizierten Modelle einer deutschen kulturellen Selbstverwaltung habe die Integration jeweils in den sowohl von Deutschbalten als auch von Esten bzw. Letten als Heimat empfundenen Staat gefördert.
Der dritte Themenkreis widmete sich der „Wissenschaft und Wissenschaftspolitik“. Der Volkskundler Emil Lehmann (1880-1964) gilt als Mitbegründer der so genannten „Sprachinsel- und Grenzlandvolkskunde“ und ist Autor der ersten Darstellung zur sudetendeutschen Volkskunde. Petr Lozoviuk (Dresden) belegte vergleichbare Auswirkungen politisch instrumentalisierter „volkscharakterologischer“ Untersuchungen auf deutscher und auf tschechischer Seite. Die wechselseitige Beeinflussung von Wissenschaft und Politik legte Róbert Keményfi (Debrecen/Debrezin) anhand der Kartographie der Ungarndeutschen im Nationalsozialismus dar. Die Tradition ethnischer Kartographie als Grundlage ethnischer Politik reiche dabei bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Alena Janatková (Berlin) stellte den Kunsthistoriker Karl Maria Swoboda, der von 1934 bis 1945 an der deutschen Universität in Prag tätig war, als politisierenden Wissenschaftler im Spannungsfeld deutscher und tschechischer Netzwerke sowie eigener Karriereinteressen vor. Harald Lönnecker (Koblenz) erläuterte die zunehmende Politisierung und Radikalisierung deutscher Studenten in den Städten Königsberg, Danzig, Breslau, Prag, Brünn und Czernowitz nach dem Ersten Weltkrieg, die in der Gründung von Burschenschaften ihren Ausdruck gefunden habe. Ihnen gemeinsam sei das Betreiben von „Grenzlandarbeit“, später der „Grenzlandkampf“ mit dem Ziel einer „großdeutschen Lösung“, gewesen. Dem Phänomen der „Grenzlandfahrten“ widmete sich in seinem Vortrag Konrad Köstlin (Wien). Verschiedene Gruppen (Studenten, Lehrer, Volkskundler) hätten Fahrten zu den Grenzräumen und so genannten deutschen „Sprachinseln“ mit der Absicht der Stärkung des dort als bedroht angesehenen „Deutschtums“ unternommen, die letztendlich jedoch zu einer Störung der Koexistenz mit beigetragen hätten.
Der vierte Themenkomplex „Tradition und Moderne“ wurde mit dem Beitrag zur „stimulierenden Wirkung des Krieges auf literarische und künstlerische Denkbilder“ von Gertrude Cepl-Kaufmann (Düsseldorf) eingeleitet. Am Beispiel der Künstler Max Wislicenus (1861–1957) und Heinrich Tischler (1892–1938) demonstrierte Johanna Brade (Görlitz) das Ringen um eine neue Bildästhetik in Anbetracht der Kriegserfahrungen, die Überwindung tradierter Ikonographie aber auch das Scheitern daran. Stefan Sienerth (München) referierte über die politischen und ästhetischen Optionen im Umfeld des Ersten Weltkriegs für das literarische Schaffen deutschsprachiger Schriftsteller in Siebenbürgen. Von besonderem Interesse waren dabei die sich verändernden Beziehungen zu modernistischen Tendenzen in der Literatur, allen voran dem Expressionismus, sowie zu den rumänischen Schriftstellern. Tomasz Majewski (Wrocław/ Breslau) zeigte am Beispiel Breslaus den „Verlorenen Krieg“ und seine Folgen als Bühnenmotiv im deutschen Sprechtheater auf, dem ab etwa 1933 als Propagandamedium besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Das Bild der „Brennenden Grenze“ wurde dabei als zentrales Motiv transportiert.
Den Umgang mit Zeugnissen deutscher Kultur in der Region Pommerellen erläuterte Karolina Zimna-Kawecka (Toruń/Thorn). Denkmalpflegerisches Handeln habe dabei unter dem Einfluss eines nationalen polnischen Identitätsstrebens gestanden, wobei sakrale Monumente tendenziell eher von Umformungen oder Zerstörungen verschont geblieben seien als säkulare. Mart Kalm (Tallinn/Reval) schließlich präsentierte das estnische Parlamentsgebäude in Tallinn/Reval, das von den Architekten Herbert Johanson und Eugen Habermann in den Jahren 1920-1922 errichtet wurde, als Ausdruck der neu entstandenen Demokratie und Eigenstaatlichkeit im Estland der Nachkriegszeit. Als expressionistisches Gebäude im Hof der ehemaligen Ordensburg Toompea stand es dabei ganz deutlich im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne.
Die Tagung wurde auch zum Anlass genommen, die Dokumentation „80 Jahre Werkbund-Ausstellung ‚Wohnung und Werkraum‘ (WuWA) in Breslau/Wrocław 1929-2009“, die von Beate Störtkuhl vom Bundesinstitut in Zusammenarbeit mit Jerzy Ilkosz vom Architekturmuseum Breslau erarbeitet worden ist, zu eröffnen. An dieser Mustersiedlung des „Neuen Bauens“ ließ sich zeigen, wie der „Aufbruch“ einer internationalen Avantgarde in einer krisenhaft empfundenen Grenzsituation von Politik und Medien für nationale Propagandazwecke eingesetzt werden konnte.
Eine multidisziplinäre und multinationale Betrachtung sei für eine qualitative Erkenntniserweiterung in Anbetracht vergleichbarer Phänomene unerlässlich, betonte Institutsdirektor Matthias Weber. Es bestehe zudem die Notwendigkeit, bisher unbeachtete Quellen stärker als bisher für wissenschaftliche Untersuchungen heranzuziehen.
Die ersten Tagungsbeiträge standen unter dem Titel „Identität und Krise“. Marion Brandt (Gdańsk/Danzig) referierte zu Beginn zur Danziger Rundschau im politischen Umfeld der Freien Stadt Danzig. Die Wochenzeitung, die in den Jahren 1923-1926 erschien, sei ein Beleg dafür, dass es auch Presseorgane abseits vorherrschender Tendenzen gab, die sich als Kontrapunkt zu antisemitischen und nationalistischen Strömungen begriffen. Die Medienwissenschaftlerin Brigitte Braun (Trier) erörterte anschließend die Rolle des Films als breitenwirksames Propagandamedium zur Zeit der Weimarer Republik. Ryszard Kaczmarek (Katowice/Kattowitz) widmete sich den Kriegerdenkmalen und der materiellen Kriegssymbolik in Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg. Sowohl auf deutscher als auch auf polnischer Seite seien Denkmale in sakralem Zusammenhang (z. B. Namenstafeln an Kirchen, Friedhöfen etc.) meist unverändert erhalten geblieben. Die sogenannte Freikorps- und Abstimmungsliteratur der Nachkriegszeit, in die Jürgen Joachimsthaler (Heidelberg) einführte, sei geprägt von einem Kanon an Texten mit vergleichbaren Handlungssträngen und Figurenkonstellationen. Während die so genannte Abstimmungsliteratur, deren Wurzeln in der deutschen und polnischen Kampfliteratur lägen, den Leser politisch zur deutschen Seite bewegen wollte, habe die nach dem Krieg sich etablierende so genannte Freikorpsliteratur den Kämpfer und Krieger zur letzen Bastion gegen den Identitätsverlust stilisiert. Der masurische Autor Richard Skowronnek stand im Mittelpunkt der Betrachtung von Regina Hartmann (Szczecin /Stettin) zur Grenzlandliteratur nach dem Kriegsende. Die Funktionalität von Literatur in propagandistischem Sinne stelle sich dabei als eine Kombination von narrativ-allegorischen und pseudo-dokumentarischen Elementen dar. Am Beispiel von autobiografischen Quellen deutschbaltischer Frauen analysierte Anja Wilhelmi (Lüneburg), in welcher Hinsicht ihrer Ansicht nach Kriegserfahrungen prägend für ein nationales Selbstverständnis und die geschlechtliche Identität (z. B. Tätigkeit im Sanitätsdienst) waren. Die Kunsthistorikerin Małgorzata Omilanowska (Warszawa/Warschau und Gdańsk/Danzig) beleuchtete – nicht zuletzt anhand einer Vielfalt visueller Quellen – den nach dem Ersten Weltkrieg geschaffenen Status Polens als Seemacht als prägend für die Vermittlung und Bildung einer spezifischen Staatsidentität. Ausschlaggebend sei dafür das „Meeresbewusstsein“ bzw. die „Erziehung zum Meer“ gewesen, die in Architektur, Kunst und Medien ihren visuellen Ausdruck gefunden habe. Der zweite Themenkomplex „Loyalität, Segregation oder Autonomie? Minderheiten in der Nachkriegsordnung“, wurde von Jochen Oltmer (Osnabrück) mit einem Beitrag zur Migration „Volksdeutscher“ fremder Staatsangehörigkeit im östlichen Europa zur Zeit der Weimarer Republik begonnen. Die Minderheitenpolitik habe dabei die saisonale Wanderung von Arbeitskräften ins Deutsche Reich in Hinblick auf den deutschen Kulturaustausch sowie die Privilegierung deutscher Arbeitskräfte gegenüber „ausländischen“ gefordert und gefördert, wohingegen eine dauerhafte Einwanderung als nicht erstrebenswert erachtet worden sei. Die Loyalitätsfrage bei Soldaten deutscher Nationalität in der polnischen Armee wurde von Pascal Trees (Warszawa/Warschau) erörtert. Einerseits habe sich auf polnischer Seite das Stereotyp des „vorbildlichen Deutschen“ etabliert, andererseits sei der Dienst in der polnischen Armee von deutscher Seite als Möglichkeit zur Kampfausbildung betrachtet worden. Die Facetten polnischer Kulturpolitik in Ostoberschlesien wurden von Wojciech Kunicki (Wrocław/Breslau) aufgezeigt. Von Interesse war dabei besonders die Tätigkeit einer Gruppe von Intellektuellen rund um den schlesischen Publizisten und Autor Wilhelm Szewczyk (1916-1991), die sich später ausgerechnet an die nationalsozialistischen und antisemitischen Tendenzen des Deutschen Reichs anlehnte. Den strukturellen Wandel von den baltischen Provinzen zu den Staaten Estland und Lettland beschrieb Michael Garleff (Oldenburg) in Hinblick auf die Identitätskrise bei den Deutschbalten, die der veränderte Status von der Führungsschicht zur nationalen Minderheit mit sich gebracht habe. Die in beiden Staaten unterschiedlich praktizierten Modelle einer deutschen kulturellen Selbstverwaltung habe die Integration jeweils in den sowohl von Deutschbalten als auch von Esten bzw. Letten als Heimat empfundenen Staat gefördert.
Der dritte Themenkreis widmete sich der „Wissenschaft und Wissenschaftspolitik“. Der Volkskundler Emil Lehmann (1880-1964) gilt als Mitbegründer der so genannten „Sprachinsel- und Grenzlandvolkskunde“ und ist Autor der ersten Darstellung zur sudetendeutschen Volkskunde. Petr Lozoviuk (Dresden) belegte vergleichbare Auswirkungen politisch instrumentalisierter „volkscharakterologischer“ Untersuchungen auf deutscher und auf tschechischer Seite. Die wechselseitige Beeinflussung von Wissenschaft und Politik legte Róbert Keményfi (Debrecen/Debrezin) anhand der Kartographie der Ungarndeutschen im Nationalsozialismus dar. Die Tradition ethnischer Kartographie als Grundlage ethnischer Politik reiche dabei bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Alena Janatková (Berlin) stellte den Kunsthistoriker Karl Maria Swoboda, der von 1934 bis 1945 an der deutschen Universität in Prag tätig war, als politisierenden Wissenschaftler im Spannungsfeld deutscher und tschechischer Netzwerke sowie eigener Karriereinteressen vor. Harald Lönnecker (Koblenz) erläuterte die zunehmende Politisierung und Radikalisierung deutscher Studenten in den Städten Königsberg, Danzig, Breslau, Prag, Brünn und Czernowitz nach dem Ersten Weltkrieg, die in der Gründung von Burschenschaften ihren Ausdruck gefunden habe. Ihnen gemeinsam sei das Betreiben von „Grenzlandarbeit“, später der „Grenzlandkampf“ mit dem Ziel einer „großdeutschen Lösung“, gewesen. Dem Phänomen der „Grenzlandfahrten“ widmete sich in seinem Vortrag Konrad Köstlin (Wien). Verschiedene Gruppen (Studenten, Lehrer, Volkskundler) hätten Fahrten zu den Grenzräumen und so genannten deutschen „Sprachinseln“ mit der Absicht der Stärkung des dort als bedroht angesehenen „Deutschtums“ unternommen, die letztendlich jedoch zu einer Störung der Koexistenz mit beigetragen hätten.
Der vierte Themenkomplex „Tradition und Moderne“ wurde mit dem Beitrag zur „stimulierenden Wirkung des Krieges auf literarische und künstlerische Denkbilder“ von Gertrude Cepl-Kaufmann (Düsseldorf) eingeleitet. Am Beispiel der Künstler Max Wislicenus (1861–1957) und Heinrich Tischler (1892–1938) demonstrierte Johanna Brade (Görlitz) das Ringen um eine neue Bildästhetik in Anbetracht der Kriegserfahrungen, die Überwindung tradierter Ikonographie aber auch das Scheitern daran. Stefan Sienerth (München) referierte über die politischen und ästhetischen Optionen im Umfeld des Ersten Weltkriegs für das literarische Schaffen deutschsprachiger Schriftsteller in Siebenbürgen. Von besonderem Interesse waren dabei die sich verändernden Beziehungen zu modernistischen Tendenzen in der Literatur, allen voran dem Expressionismus, sowie zu den rumänischen Schriftstellern. Tomasz Majewski (Wrocław/ Breslau) zeigte am Beispiel Breslaus den „Verlorenen Krieg“ und seine Folgen als Bühnenmotiv im deutschen Sprechtheater auf, dem ab etwa 1933 als Propagandamedium besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Das Bild der „Brennenden Grenze“ wurde dabei als zentrales Motiv transportiert.
Den Umgang mit Zeugnissen deutscher Kultur in der Region Pommerellen erläuterte Karolina Zimna-Kawecka (Toruń/Thorn). Denkmalpflegerisches Handeln habe dabei unter dem Einfluss eines nationalen polnischen Identitätsstrebens gestanden, wobei sakrale Monumente tendenziell eher von Umformungen oder Zerstörungen verschont geblieben seien als säkulare. Mart Kalm (Tallinn/Reval) schließlich präsentierte das estnische Parlamentsgebäude in Tallinn/Reval, das von den Architekten Herbert Johanson und Eugen Habermann in den Jahren 1920-1922 errichtet wurde, als Ausdruck der neu entstandenen Demokratie und Eigenstaatlichkeit im Estland der Nachkriegszeit. Als expressionistisches Gebäude im Hof der ehemaligen Ordensburg Toompea stand es dabei ganz deutlich im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne.
Die Tagung wurde auch zum Anlass genommen, die Dokumentation „80 Jahre Werkbund-Ausstellung ‚Wohnung und Werkraum‘ (WuWA) in Breslau/Wrocław 1929-2009“, die von Beate Störtkuhl vom Bundesinstitut in Zusammenarbeit mit Jerzy Ilkosz vom Architekturmuseum Breslau erarbeitet worden ist, zu eröffnen. An dieser Mustersiedlung des „Neuen Bauens“ ließ sich zeigen, wie der „Aufbruch“ einer internationalen Avantgarde in einer krisenhaft empfundenen Grenzsituation von Politik und Medien für nationale Propagandazwecke eingesetzt werden konnte.
Dr. Marco Bogade
Schlagwörter: Tagung, Jubiläum, Geschichte
7 Bewertungen:
Noch keine Kommmentare zum Artikel.
Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.