12. Juni 2009

Die sächsische Volksseele im Kunstlied offenbart

Zu dem Festakt „60 Jahre Verband der Siebenbürger Sachsen“ hätte man sich kaum einen passenderen künstlerischen Rahmen vorstellen können, als das von der „Siebenbürgischen Kanto­rei“ unter der Leitung von Prof. Heinz Acker angebotene Festkonzert mit den Liedern des Georg Meyndt, denn das Konzert demonstrierte in anschaulicher Weise eines der Hauptanliegen des Verbandes in den 60 Jahren seines Wirkens, nämlich die Pflege unseres althergebrachten Kul­tur­gutes.
Mit dem angekündigten Programm erwartete man Vertrautes, denn viele der Mund­artlieder des Georg Meyndt sind im Bewusstsein der sächsischen Volksseele tief verankert, als entzückende Spiegelbilder des sächsischen Alltagsleben von ehedem. Sie wurden in unserer alten Heimat landauf, landab als echte Volkslieder gesungen, ohne dass oftmals der Autor dieser schlichten Weisen bekannt war. Was man aber zu hören bekam, war etwas völlig Neues.



Mit seinen kunstvollen Bearbeitungen für Kla­vier und Solostimmen, wie auch für ge­mischten Chor hat nun Prof. Heinz Acker die Liederwelt des Georg Meyndt als ungeahnte Of­fen­barung ganz neu für uns entdeckt und erstehen lassen. Es war Ackers Urgroßvater Carl Reich, der die Lieder seines notenunkundigen Freun­des, des Reichesdorfer Notärs G. Meyndt (1852-1903) gesammelt, aufgeschrieben und 1914 veröffentlicht und so zu ihrer Verbreitung bei­­getragen hatte. Für Acker, den emeritierten Musikhoch­schul-Professor, war es ein langgehegt­es Her­zens­anliegen, die Welt seiner Kind­heit und Vor­fahren in neuer, gehobener Form wie­­der auferstehen zu lassen. Gerne ließ man sich mit diesen Liedern in die scheinbar versunke­ne Welt des siebenbürgischen Dorflebens entführ­en, die in uns allen noch sehnsuchtvoll nach­klingt. Wer kennt sie nicht, diese eingängigen Melodien des Hahnenschreis („Gāde Morjen“), des „Bränn­chens um gräne Rīn“ oder gar des „Motterhärz“, die man am liebsten als schli­chte Volksweise spontan mitsingen möchte. Doch was hier erklang, war etwas völlig anderes. Acker hat diese „Rohdiamanten“ – so seine Ein­schätzung – zum kunstvollen Geschmeide ge­­­­schlif­fen und verarbeitet, was die natürliche Schön­heit dieser Naturperlen noch heller er­strahl­en lässt.
Heinz Acker leitete das Festkonzert der ...
Heinz Acker leitete das Festkonzert der Siebenbürgische Kantorei mit Liedern von Georg Meyndt. Foto: Petra Reiner
Aus den volksliedhaften Weisen sind nun Kunst­lieder geworden, die in ihrer neu­en Ge­stalt auch höchsten Ansprüchen genügen. Dies bewiesen die beiden Solisten, die sich der Lie­der angenommen hatten. Johanna Böh­me, die aus Kronstadt stammende und in Bre­men le­ben­de Künstlerin verstand es, mit ihrem gloc­ken­klaren Sopran und mit wandlungsfähiger Hin­gabe die unterschiedlichsten Gefühlswelten nachzuvollziehen: von der witzigen Liebes­me­ta­pher („Der Apel“) über bittere Liebes­erfahrun­gen („De Ver­kån­ten“) bis hin zu den Ra­che­ge­lüs­ten („Blādig Rach“) schmerzlicher Li­ebesent­täuschung. Mit Christoph Reichs sonorem und einfühlsamen Bariton durfte man – so schien es – der Stimme des Georg Meyndt lausch­en, denn er ist nicht nur der Urenkel des Lied­ersammlers Carl Reich, sondern auch der Ur-Urenkel des Liederdichters Georg Meyndt, dessen klangvolle Stimme er wohl geerbt hat. So hätte man sich keinen authen­tischeren In­terpreten dieser Lie­der vorstellen können. Ge­bannt lauschte man der geschmei­digen Stim­me, die einfühlsam und nuan­cierend den fein­sten Regungen von Text und Melodie nachspürte. So etwa schon in den un­terschiedlichen Ge­stal­tungen der einzelnen Liedstrophen des „Bränn­chens“, in den zu Her­zen gehenden Liebes­lied­ern („Vun āgefer“, „Sät wä hīsch“ oder in den wit­zig­en Scherz- und Neckliedern („Treïßig Kretzer“, „Der Honef“).



Das perfekte Zusammenspiel mit der Klavier­begleitung war gegeben, denn am Klavier saß sei­ne Mutter Ilse Maria Reich, die ständige Lei­terin der Siebenbürgischen Kantorei. Eine an­spruchsvolle Aufgabe, denn jedes Lied zaubert in Ackers Bearbeitung eine eigene, unverwechselba­­­re und stimmungsvolle Klangwelt, die die Pi­an­istin einfühlsam umzusetzen verstand. In dem Liebesduett „Ech hun dich läw“ und erstrecht in der anrührenden Gesangs-Szene des „Fiëld­schätz“ zwischen dem armen Jungen (Sopran) und dem Feldschütz (Bariton) vereinten sich die bei­­den Solisten zu innigem und harmonischem Mit­einander.



Der stete Wechsel von Sologesang und Chor­gesang verlieh dem Programmablauf besondere Leben­digkeit. Dazu trug auch die Moderation von Heinz Acker bei, der in knapper, aber launiger Weise durch die Liederwelt des Georg Meyndt führte, um dann schnell an das Dirigentenpult zu wechseln. Schon mit dem eingangs gesungenen Scherzlied „De Bånk“ konnte der Chor nicht nur eine hervorragende Visitenkarte abgeben, sondern auch unter Beweis stellen, dass das Motto des Festaktes „Gemeinsinn leben, im Dialog han­­deln“ auf der Bank, der „Bånk“, die vor je­dem siebenbürgischen Haus stand, längst mit größ­ter Selbstverständlichkeit praktiziert wurde. Selten noch hat man den Chor – so die einhellige Meinung vieler Zuhörer – so klangprächtig er­lebt. Das mag wohl auch an den zahlreichen gut­en Gastsängern gelegen haben, aber sicher auch daran, dass es Acker mit seinen Bearbeit­ungen gelungen ist, die Sänger für die Klang­welt des Georg Meyndt zu begeistern und zu Höchst­leistungen zu animieren. So bestach der Chor mit fein ausbalancierten Stimmregistern und fein­sinnigem Nachspüren von so unterschiedlichen Stimmungslagen wie dem anrührenden „Motter­härz“, dem sprühenden „Gāde Morjen“, oder dem tiefempfundenen „Fromm Wänsch“. Mit dem „Brokt- oder Schesserlīd“ ließ man sich von dem Chor mitnehmen zu dem rituellen Ab­schied der Braut von der Jugend und erfreute sich anschließend mit den „Kīpekratzern“ am Hoch­zeits-Jux der jungen Burschen. Mit dem Chor­lied „Et sång e schatzig Vijelchen“ ging schließ­lich ein Programm zu Ende, das den halb­­verschütteten Schatz der Meyndt-Lieder wied­er entdeckt und in neuer, prächtiger Gestalt – als nostalgischer Rückblick und hoffnungsvoller Ausblick – zu neuem Leben erweckt hat. Die zahl­reichen Zuhörer dankten es mit langanhalten­dem, stehendem Applaus.



Zudem gestaltete die Siebenbürgische Kan­tor­ei den Pfingstgottesdienst und die Preisver­leih­ungen am Sonntag mit. Für den Gottes­dienst hatte Ilse Maria Reich als Organistin und Chor­lei­terin ein reichhaltiges und ausgewogenes Pro­gramm zusammengestellt mit Kompo­si­tion­en von Rudolf Lassel, Max Reger, Hans Cherain-Pe­tit u.a. und den Chor bestens vorbereitet, so dass die Paulskirche vom festlichen Pfingstjubel er­klang. Besonderen Eindruck hinterließ auch das „Kleine geistliche Konzert“ von Heinrich Schütz in der Interpretation von Johanna Böh­me (Sopran), Christoph Reich (Bari­ton) und Ilse Maria Reich (Orgel), und insbesondere die eindring­liche Spruchmotette über die Jahreslosung 2009 „Was bei den Men­schen unmöglich ist“ von Heinz Acker, die unter der Leitung des Kom­ponisten erklang. Einen äußerst stimmungsvollen künstlerischen Rahmen zum Festakt der Preisverleihung bildeten wiederum Lieder des Georg Meyndt, dargeboten von den beiden Sängern Johanna Böhme (Sopran) und Christoph Reich (Bariton), begleitet von Ilse Maria Reich (Klavier). Die acht dargebotenen Lieder, darunter die wohl bekanntesten wie „Brännchen um gräne Rin“, „Det Motterhärz“ oder „Et sang e schatzig Vijelchen“, waren ein Auszug aus dem Festkonzert des Vortrags.



Den Liedern des Georg Meyndt ist zu wünschen, dass sie – nun auch in dieser Gestalt – ein wei­teres Jahrhundert die Seele unserer Volks­ge­meinschaft erreichen und bereichern.

Chr. D.

Schlagwörter: Heimattag 2009, Konzert, Mundart

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