10. April 2010

Das Glück in Amerika gesucht: Was uns der Brief eines siebenbürgischen Auswanderers erzählt

Vor rund 125 Jahren begann die große Auswanderungswelle der Siebenbürger Sachsen nach Amerika, bedingt durch die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse im Lande. Originalbriefe aus dieser Zeit findet man selten, demnach kann der folgende Brief aus dem Nachlass der Familie Bedeus aus Hermannstadt, den wir leicht gekürzt und in der Orthographie des Originals wiedergeben, als ein wichtiges Zeitdokument betrachtet werden.
Das Schreiben wurde am 15. Dezember 1887 aus Salem/Ohio von „Andreas Platz aus Waldhütten No. 37“ an die „Löbliche Verwaltung der Boden-Creditanstalt in Hermannstadt“ gerichtet und ist eine umfassend begründete Bitte um den Aufschub einer Darlehenstilgung bei der Bank in Siebenbürgen. Der Brief umfasst zwei Blätter (insgesamt acht schmale Seiten). Verwendet wurde ein liniertes Briefpapier, das in der oberen Ecke links mit einem Trockenstempel versehen ist, der ein Kleeblatt und darunter den Markennamen Clover Leaf zeigt.

Eingangs erwähnt der Schreiber die Gründe, die ihn zur Auswanderung bewogen haben:

Da bei uns in Waldhütten unsere Weinfechsung wiederum derart schwach ausgefallen, daß die Ausgaben die Einnahmen stark übersteigen; so auch die Kukurutzernte und Kornernte durch Hagelschlag heimgesucht, schwach ausgefallen ist, so sah ich mit bangem Herzen der Zukunft entgegen, denn eine alte 64 Jährige sehr gebrechliche Mutter – 5 Kinder – bei solchen Verhältnißen – ist an ein ge[n]ügendes Durchkommen nicht zu denken!- Jetz[t] noch die vielen Abgaben, dieses alles schwer fühlend, e[n]tschloß ich mich, auch wie manche andere nach Amerika zu wandern und da mein Glück zu versuchen etwas zu verdienen.– Freilich ein gewagter Entschluß, aber ich habe ihn mit Gottes Beistand durchgeführt.

Es folgt eine genaue Beschreibung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Amerika:

Hier wird jede Arbeit besser gezahlt wie in Europa, denn hat man z. B. das Glück b[ei] einer Fabrik Arbeit zu bekommen, so hat man täglich auf 1 Dolar 30 bis 40 Cent zu hoffen. So auch bei einem Farmer 1 Dolar sammt aller Verpflegung per Tag. Dieses Alles aber nur vom Frühjahr bis spätherbst, dann steigt man über 1 Dolar 20 Cent nicht, ist aber schon genug mit 3 Fl. Östr. Währung nach unserm Geldwerth.- Auch kommt jeder Eingewanderte nicht gleich zu Arbeit, sondern gewöhnlich nur binnen 2 od. 3 Wochen, so ist es fast jedem meiner Siebenbürger Landsleute ergangen[…].

Mit dieser Erfahrung begründet der Briefeschreiber seine Hoffnung, selbst zu Geld zu kommen, um in der Heimat seine Schulden bezahlen zu können:

Mit Gotteshilfe nun hoffe auch ich etwas zu verdienen, zumal hier sehr viele Bahn- und Fabrikarbeit in Aussicht steht. Um dann meine rückständigen An[n]uitätsraten nachholen zu können. Und somit wage ich an Eine Löbliche Verwaltung die ergebenste Bitte zu stellen: Hochwohldieselbe möge wie bisher Geduld mit mir armen haben und mir meine Zahlungen bis etwas später nachwarten zu wollen. Wo ich dann nicht versäumen werde alles sammt verzugzinsen zu begleichen.

Im zweiten Teil des Briefes wird ein Schiffsunglück erwähnt, das andere Auswanderer im Ärmelkanal erlitten haben und das viele Menschenopfer gefordert hat:

Am 24/11 trafen die Geretteten vom Dampfer „Schollten“ in Rotterdam ein unter denselben fanden wir Simon Binder aus Nimesch u. Kath. Fröhlich aus Reichesdorf. [Es handelt sich um den Passagierdampfer W. A. Scholten, der zwischen Rotterdam und New York verkehrte und am 19. November 1887 bei Dover mit einem Frachter kollidierte]. Dieselben erzählten uns von jenem Unglücksfalle folgendes: Etwa 7 Uhr aben[d]s fuhren wir von Rotterdam (am 19/11) in die See, dieselbe war sehr still und von 8 bis 9 Uhr neblig, dann aber (bis 10 Uhr) verschwand aller Nebel, und war ziemlich hell. Gegen 11 Uhr als schon alles sich schlafen gelegt wurden wir durch einen Krach u. Ruck wach denn wir hörten dann gleich Geschrei und Hülferufe, liefen so schnell als möglich auf das Verdeck, denn schon drang sehr viel Wasser in den Schiffsraum ein, und erfuhren das ein Englischer Dampfer unser Schiff an der linken vorderseite zerstoßen u. sogleich verschwunden sei. Nun wurden Nothsignale gegeben […], in aller Eile zur Befreiung der Rettungsbothe geschritten, aber bloß ein Both konnte befreit werden denn schon sank das Schiff zur Seite, schüttete gleich nachher uns alle über Borth und verschwand in der Tiefe. Klumpenweise hingen die Unglücklichen aneinander und zogen sich einer den andern in die Tiefe. Kinder hingen an ihren Müttern und jammerten herzzerreißend und schauderhaft waren die Klagen der Mütter, welche ihre Kinder loßlassen mußten, um ihr eigenes Leben wenigstens zu retten, kein einziges Kind von den vielen ist gerettet, alle sind verlohren! Etwa 1 Stunde mögen wir auf dem Wasser geschwommen haben, als wir endlich ein Licht in weiter ferne erblickten, welches sehr schnell immer näher kahm, endlich langte es an und warf uns Seile zu welche wir dann faßten und hinaufgezogen wurden. Am ganzen Körper zitternd vor Frost und Angst, ohne Kopfbedeckung schafften uns die Matrosen ins Schiff bei ein warmes Feuer, wo wir verblieben bis am Morgen […]. Am Morgen 20/11 wurden wir in die Stadt Dover gebracht, wo uns die Leute sehr freundlich empfingen und uns alle mit Kleidungsstücken u. Geldbeträgen beschenkten, so daß die meisten ihren Verlust an Kleidern garnicht beklagen können. [N]ur 80 Personen die Schiffsmannschaft mit inbegriffen sind gerettet. – Nicht Nebel! nein, sondern unverzeihliche Unaufmerksamkeit der wachhabenden Schiffsoffiziere auf dem Englischen Dampfer soll die Ursache dieses großen Unglücks sein, so sagen unsere Geretteten! Die „Geseltschaft“ spendete dann bei Ankunft in Castle Garden, in Amerika jedem Verunglückten einen neuen Anzug und 10 Dollar!

Wie die Bodenkreditanstalt auf das Bittschreiben reagiert hat, ist unbekannt; aber vielleicht gibt es Nachkommen, die Angaben über das weitere Schicksal von Andreas Platz machen können. Oder auch mehr über das beschriebene Schiffsunglück und seine Opfer bzw. seine Überlebenden wissen. Anrufe oder Post richten Sie bitte an Christian Reinerth, Siebenbürgen-Institut, Nachlassarchiv, Schloss Horneck, 74831 Gundelsheim, Telefon (0 62 69) 42 10 40, Dienstag 10–11, 12-15 Uhr, E-Mail: nachlaesse [ät] siebenbuergen-institut.de.

Ch. Reinerth, A. Weber

Schlagwörter: USA, Siebenbürgen-Institut

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Neueste Kommentare

  • 10.04.2010, 08:52 Uhr von bankban: Ein sehr interessanter Artikel. Den Autoren gebührt mein Lob dafür, durch solche Artikel der ... [weiter]
  • 10.04.2010, 07:26 Uhr von Robert: Hier ein Bild der Familie Fleps in Youngstown/Ohio im Jahre 1910. Nach einigen Jahren Aufenthalt ... [weiter]

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