12. Juli 2002

In Österreich ein Stück Siebenbürgen aufgebaut

Nachbarschaft Sierning feierte 50-jähriges Bestandsjubiläum / Politiker würdigen die Aufbauarbeit und den traditionellen Zusammenhalt der Siebenbürger Sachsen
Unter der Schirmherrschaft von Bürgermeister Manfred Kalchmair und Vizebürgermeister Reinhold Baumschlager hat die Nachbarschaft Sierning ihr 50-jähriges Jubiläum mit einer beeindruckenden Festveranstaltung am 30. Juni in Sierning begangen. In zahlreichen Ansprachen und einem vielseitigen Kulturprogramm wurde deutlich: Die Siebenbürger Sachsen halten an Traditionen, Kultur und Glauben fest und sind zu anerkannten Neubürgern ihrer Gemeinden und Städte geworden. Alteingesessene Mitbürger und viele Einrichtungen haben zu ihrer Beheimatung im österreichischen Voralpenland beigetragen, wofür die Siebenbürger ihnen dankbar sind.
Ehrengäste und Amtsträger der Landsmannschaft bei Festzug in Sierning, von links: Landespressereferentin Christine Morenz, Ehrenbundesobmann Dr. Fritz Frank, Bundeskulturreferent Mag. Klaus Wagner, Bundessozialreferent Johann Haitchi (Vöcklabruck), Nachbarvater Michael Müller (Sierning), Pfarrerin Mag. Neubacher, Nachbarmutter Maria Haitchi (Vöcklabruck). Foto: Petra Reiner
Ehrengäste und Amtsträger der Landsmannschaft bei Festzug in Sierning, von links: Landespressereferentin Christine Morenz, Ehrenbundesobmann Dr. Fritz Frank, Bundeskulturreferent Mag. Klaus Wagner, Bundessozialreferent Johann Haitchi (Vöcklabruck), Nachbarvater Michael Müller (Sierning), Pfarrerin Mag. Neubacher, Nachbarmutter Maria Haitchi (Vöcklabruck). Foto: Petra Reiner

An dem Festzug vom Forsthof Sierning zur evangelischen Christuskirche beteiligten sich siebenbürgisch-sächsische Trachtenträger von der Jugend Traun, der Trachtenmusikkapelle Seewalchen-Rosenau, den Nachbarschaften Sierning, Bad Hall, Traun, Seewalchen-Rosenau und Vöcklabruck, zudem die einheimische Goldhaubengruppe Sierning und die Neuzeuger Messerrud sowie Ehrengäste aus Politik, Kirche und Wirtschaft. Die rund 150 Festzugsteilnehmer wurden von den zahlreichen Zuschauern am Straßenrand mit lebhaftem Beifall begrüßt – ein Zeichen der Akzeptanz und gelungenen Integration.

Pfarrerin Mag. Gabi Neubacher freute sich im Gottesdienst, dass die Kirche bei den Siebenbürgern selbstverständlich dazu gehört und ihr Jubiläumsfest mit einem Gottesdienst beginnt. In seiner Festpredigt betonte Pfarrer Mag. Volker Petri, Bundesobmann der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Österreich: „Wir wollen uns heute nicht selbstsicher auf die Schultern klopfen, stolz und übermütig unsere Leistungen und unser Vermögen feiern, sondern in Demut als dankbare, beschenkte und begnadete Christen feiern und unseren Lobgesang erschallen lassen.“ Eine Standortbestimmung, wo wir als evangelische Christen nach 50 Jahren in unserer Kirche, Gesellschaft und vor allem auch vor unseren Kindern und Enkelkindern stehen, nahm Petri anhand des fünften Buches Mose, Kapitel 11, Verse 1-3 und 7, vor. Gottes Wirken sei im Laufe der jahrhundertealten Geschichte im Grenzland Siebenbürgen ebenso sichtbar geworden wie in dem Neuanfang nach dem Heimatverlust 1944. Die Christuskirche in Sierning bezeichnete Petri als „Zeugnis des starken Gottvertrauens, Zeugnis für unseren Glauben und die Kraft unserer Gemeinschaft“. Als Dank für die Hilfe und den Halt, den die Kirche den Siebenbürgern über die Jahrzehnte geschenkt hat, überreichten Nachbarvater Michael Müller und Nachbarmutter Johanna Molner eine Spende an die evangelische Kirchengemeinde.
Festzug anlässlich des 50-jährigen Bestandsjubiläums der Nachbarschaft Sierning. Foto: Petra Reiner
Festzug anlässlich des 50-jährigen Bestandsjubiläums der Nachbarschaft Sierning. Foto: Petra Reiner

Beim anschließend Festakt, der ebenfalls in der Christuskirche stattfand, konnte Nachbarvater Michael Müller zahlreiche Ehrengäste begrüßen, darunter Bundesobmann Senior Pfarrer Magister Volker Petri, den Vereinsobmann von Oberösterreich, Konsulent Hans Waretzi, den Bundesehrenobmann Konsulent Dr. Fritz Frank, Nationalrat Walter Murauer, die Landtagsabgeordneten Gertrude Schreiberhuber und Helga Moser, Bezirkshauptmann Hofrat Dr. Hans Zeller, Bürgermeister Manfred Kalchmair, die Vizebürgermeister Josef Brameshuber und Reinhold Baumschlager, Kulturreferent Mag. Hermann Weingartner, Bezirksbauernkammerobmann Franz Bräuer, den Geschäftsführer der Raiffeisenbank, Karl Dietachmair, und Konsulent Oberstudienrat Alois Walchshofer, der die eingangs gespielte Festfanfare komponiert hatte.

In seiner Ansprache erinnerte Festobmann Gerhard Wächter an die Wurzeln der Nachbarschaft, die weit in die Geschichte der deutschen Besiedlung Nordsiebenbürgerns zurückreichen. 1944 kamen rund 50 Familien aus den nordsiebenbürgischen Gemeinden Mönchsdorf, Weißkirch, Kallesdorf, Großschogen und Kyrieleis mit ihren Wagentrecks in Sierning im Voralpenland an. Die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr in ihre alte Heimat zerschlug sich, und etliche Familien wanderten nach Deutschland oder Übersee aus. Ab 1951 versuchten Michael Lochner und Johann Roth als Vertrauensmänner die Gemeinschaft zusammenzuhalten. Lochner war erster Nachbarvater der neu gegründeten Nachbarschaft Sierning und gab sein Amt an Roth weiter. Der Geist der Nachbarschaftshilfe erwachte zu neuem Leben, man organisierte sich in der Nachbarschaft, baute Eigenheime und – gemeinsam mit einheimischen Glaubensschwestern und –brüdern - eine evangelische Kirche. „Die Nachbarschaft Sierning ist inzwischen eine feste Größe im kulturellen und gesellschaftlichen Leben unserer Marktgemeinde“, betonte Wächter.
Blaskapelle Rosenau-Seewalchen beim 50-jährigen Bestandsjubiläum in Sierning. Foto: Petra Reiner
Blaskapelle Rosenau-Seewalchen beim 50-jährigen Bestandsjubiläum in Sierning. Foto: Petra Reiner

Bürgermeister Manfred Kalchmair würdigte in seinem Grußwort den Pioniergeist und den Zusammenhalt der Siebenbürger Sachsen. „Fern der Heimat haben Sie durch gegenseitige Hilfe und Weiterpflege der Kultur eine neue Heimat aufgebaut“. Kalchmair dankte den Siebenbürgern für das, was sie der Gemeinde geschenkt haben. Dank und Respekt für ihre Leistungen, ihren Zusammenhalt und ihr Durchhaltevermögen zollte auch Bezirkshauptmann Hofrat Dr. Hans Zeller den Siebenbürgern. Landtagsabgeordnete Helga Moser verwies auf ihre im Laufe der Jahrhunderte stark ausgeprägte Identität und Kultur: „Das Bewusstsein von einer eigenen Geschichte ist die Grundlage der Identität.“ Landtagsabgeordnete Gertrude Schreibhuber erinnerte in ihrem Grußwort an die 400 Siebenbürger die 1944/45 nach Sierning gekommen waren und wünschte viel Glück beim Weg in die gemeinsame Zukunft.

Nationalrat Walter Murauer überbrachte Grüße seitens des Landeshauptmannes von Oberösterreich, Josef Pühringer. Die Siebenbürger seien aufgrund ihrer Erfahrungen geradezu prädestiniert, europäisches Gedankengut weiterzugeben, betonte Murauer. Er dankte den Siebenbürgern für ihre Aufbauarbeit und ihr Bekenntnis zu Österreich und Europa. „Sie sind aus unserer Kultur nicht mehr wegzudenken!“ Tänze, Blaskapellen, Nachbarschaft, soziales Engagement prägten die intakte Gemeinschaft der Siebenbürger, die dank der vorbildlichen Jugendarbeit eine Zukunft habe.

Einen „Geburtstag in einer großen Familie“ bezeichnete Festredner Dr. Fritz Frank das 50-jährige Bestandsjubiläum der Nachbarschaft Sierning. Den Kern der Begegnung in Sierning bildete die Schicksalsgemeinschaft derer, die 1944 aus Nordsiebenbürgen geflüchtet und im Voralpengebiet um Steyr angekommen seien. „Und zur historischen Großfamilie der Siebenbürger Sachsen gehören im weiteren Sinne alle Menschen, denen dieses schöne Land im Karpatenbogen einst Heimat war und bis auf den heutigen Tag einen Wertbegriff für Kultur und Tradition und Toleranz bedeutet“, führte Frank aus. Eltern und Großeltern seien schwer vom Schicksal der Flucht, von Krieg und Gefangenschaft getroffenen worden, und nach 1944 seien ihnen viel Kraft, Gottvertrauen und Disziplin abverlangt worden, um die Nachkriegszeit zu überleben. Nach langen Verhandlungen mit der Besatzungsmacht und den Behörden und nach vergeblichem Suchen nach einer geschlossenen Auswanderung der Siebenbürger Sachsen nach Übersee stand für die Siebenbürger Sachsen fest, dass die „alte Heimat in kommunistischer Unfreiheit verloren war“. Die Flüchtlinge aus Siebenbürgen entschieden sich für die Eingliederung in die neue Heimat. Als Männer der „ersten Stunde“, die sich vor 50 Jahren für einen Verbleib in Österreich und den Erhalt der Gemeinschaft eingesetzt hatten, erwähnte Dr. Frank Namen wie Andreas Schell, Dr. Karl Molitoris, Dr. Eduard Keintzel, Reinhold Sommitsch, Ernst Haltrich, Dr. Kurt Streitfeld, Kuno Eisenburger, Martin Kreutzer, Georg Grau.

Brauchtumsgruppe Laakirchen erfreute mit siebenbürgischen Tänzen auf der Bühne des Festuzeltes. Foto: Petra Reiner
Brauchtumsgruppe Laakirchen erfreute mit siebenbürgischen Tänzen auf der Bühne des Festuzeltes. Foto: Petra Reiner

Die traditionellen Lebensformen von „zu Hause“ hätten den ehemaligen Bauernfamilien Halt und Kraft gegeben, in der ungewohnten Industriegesellschaft zu bestehen, betonte Dr. Frank weiter. In der Landsmannschaft habe sich in der Folge ein reichhaltiges Gemeinschaftsleben entwickelt. „Über 1 500 Eigenheime unserer Mitglieder und über 20 evangelische Kirchenbauten zeugen vom Aufbauwillen und der Opferbereitschaft unserer Landsleute. Die Brauchtumspflege, Jugendarbeit und Bewahrung unserer Traditionen werden als Gemeinschaftsaufgaber erkannt, von den Nachfolgegenerationen getragen und sind ein Teil der Volkskultur Österreichs. So ist in Österreich ein Stück Siebenbürgen entstanden.“ Das Schicksal der Siebenbürger sei ein Beispiel dafür, „dass die Kraft der Menschen zum Überleben und zum Aufbau sowie das Festhalten an Gottes Ordnung stärker sind als Not und Zerstörung“.

Die Feier in der Christuskirche wurde von der Trachtenmusikkapelle Seewalchen-Rosenau unter Kapellmeister Wolfgang Zilles hervorragend musikalisch umrahmt. Die siebenbürgische Blaskapelle bestritt anschließend ein Konzert im Festzelt vor dem Marktgemeindeamt. Rund 400 Gäste wurden hier von der Nachbarschaft Sierning mit Siebenbürger Bratwurst, Holzfleisch, Baumstriezel, Mehlspeisen u.a. bestens bewirtet. Sächsische Volkslieder sangen die Schwestern Sini und Erika. Den interessierten Besuchern wurde zudem ein Einblick in den Volkstanz in Siebenbürgen bis hin zu jenem in der neuen Heimat geboten. Dass die Jugend siebenbürgische Traditionen mit neuen Leben füllt, stellten die Brauchtumsgruppe Laakirchen und die Jugendtanzgruppe Traun unter der Leitung von Markus Auinger mit gekonnten Tanzdarbietungen unter Beweis. Die Neuzeuger Messerrud gratulierte den Siebenbürgern mit einem Rudentanz. In ihrem Singtanz, der in dieser Form seit über 260 Jahren in Sierning gepflegt wird, gingen die Einheimischen in humorvollen Versen auf Aspekte des siebenbürgischen Nachbarschaftslebens ein.
Jugendtanzgruppe Traun bot schwungvolle siebenbürgisch-sächsische Tänze in Sierning. Foto: Petra Reiner
Jugendtanzgruppe Traun bot schwungvolle siebenbürgisch-sächsische Tänze in Sierning. Foto: Petra Reiner


Mit der Ehrennadel in Silber der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen wurden folgende Ausschussmitglieder der Nachbarschaft Sierning geehrt: Leopold Gubitzer, Michael Johrend, Johann Mollner und Johann Rittsteuer. Vom 24. Juni bis 5. Juli wurde im Marktgemeindeamt eine Fotoausstellung über die 50-jährige Geschichte und die Aktivitäten der Nachbarschaft Sierning gezeigt. Nebenan wurden wertvolle Exponate siebenbürgischer Volkskultur wie Trachten, Haustextlien, Keramik usw., die größtenteils auf der Flucht aus Nordsiebenbürgen gerettet wurden, zur Schau gestellt.

Für die gelungene Jubiläumsfeier sei Festobmann Gerhard Wächter, der Fest organisierte und koordinierte, Nachbarvater Michael Müller, Nachbarmutter Johanna Molner und den zahlreichen Helfern der Nachbarschaft gedankt. Der Nachbarschaft und ihren Mitgliedern wünschen wir noch viele Jahre der lebendigen Kulturpflege und des Zusammenhalts.

Siegbert Bruss


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 11 vom 15. Juli, Seite 10)

Schlagwörter: Oberösterreich

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