2. Dezember 2024

Oberösterreich: 80 Jahre Siebenbürger Sachsen in Vorchdorf

Es war eine von vielen, heuer stattgefundenen Gedenkveranstaltungen, so auch am 10. November in Vorchdorf, an denen der bewegenden Ereignisse vor 80 Jahren gedacht wurde. Vorchdorf war Ankunftsort für so viele Heimatvertriebene, die nach zweimonatiger, über 1000 Kilometer langer, beschwerlicher Fahrt aus Siebenbürgen bei Sturm, Schnee, Ungewissheit, Kummer und Leid, am 16. November 1944 mit dem Treck der Siebenbürger Sachsen aus Tschippendorf hier in der kleinen Gemeinde Vorchdorf ankamen.
Der am 19. September 1944 in Tschippendorf mit 133 Wägen und 309 Personen gestartete Treck erreichte mit 71 Wägen, 88 Familien, gesamt 198 Personen (also knapp 27 Prozent der 738 deutschen Bewohner Tschippendorfs) Vorchdorf. Hier wurden sie vom Ortsgruppenleiter Ignaz Engelhofer begrüßt. Zunächst wurden die Menschen in der alten Schule untergebracht, erhielten Lebensmittelkarten und Unterstützung vom Fürsorgeamt. Innerhalb weniger Wochen brachte man alle Familien in Privatquartieren auf den umliegenden Bauernhöfen unter.

Die Situation in Vorchdorf in den letzten Kriegsmonaten, und darüber hinaus, war sehr angespannt. Neben den Flüchtlingen aus Siebenbürgen (dazu zählen auch Landsleute aus anderen siebenbürgischen Gemeinden) trafen im März und April 1945 gesamt 315 Buchenland- oder Bukowinadeutsche in Vorchdorf ein. Bei ihrer Ankunft in Vorchdorf und Laakirchen waren die Siebenbürger für die Einheimischen eine unbekannte Volksgruppe. Die Freude der Bevölkerung hielt sich in Grenzen. Bedingt durch den Krieg, den Strom an Flüchtlingen und Zwangsarbeitern war besonders die Gemeinde Vorchdorf voll mit Fremden. Die Andersartigkeit der Tschippendorfer in der Mundart, Kleidung (Tracht), Sitte und Brauchtum und ihr evangelischer Glaube erzeugten eine Ablehnung gegen die Fremden. Doch gab es genug Einheimische, die sich gut in die Lage der Neuankömmlinge versetzen konnten, zeigten Herz und halfen, so gut sie konnten.
Gruppenbild, von links: Bundeskulturreferentin ...
Gruppenbild, von links: Bundeskulturreferentin Ingrid Schuller, Kurator Georg Breckner, Sarah Canal (Vorchdorf), Pfr. Volker Petri, Pfr. Martin Eickhoff, Roland Ohler (Musikverein Vorchdorf, Markus Resch (Obmann Musikverein Vorchdorf), Obfrau Irene Kastner, Bundesobmann Manfred Schuller, Obmann Dietmar Lindert, Markus Kroner (Musikverein Vorchdorf). Foto: Franz Xaver Wimmer (extra-blick)
In den ersten Jahren nach Kriegsende gab es meist nur schlechtbezahlte Arbeit bei den quartiergebenden Bauern. Als sich die Arbeitslage besserte, suchten sich die Tschippendorfer Männer andere Arbeit, so in der Papierfabrik Steyrermühl, Papierfabrik Laakirchen, in der Forstwirtschaft, in Sägewerken, im Bau- und Straßenbau und in Gewerbebetrieben. Die Miete bei den Bauern arbeiteten die Frauen und Alten ab. Trotz der totalen Verarmung und der seelischen Not ging man nach der Ankunft bald daran, aus der Heimat gewohnte Gemeindeleben in der neuen Umgebung, soweit es möglich war, neu aufzubauen, dazu gehörte das starke, kirchliche Leben.

Am 25. Dezember 1944 war Kirchgang für die evangelischen Tschippendorfer im Saal eines Vorchdorfer Gasthauses. Später hielt Pfarrer Michael Hösch jeden Sonntag Gottesdienst im Saal des damaligen Kino Denk. Der Kirchenbesuch übertraf alle Erwartungen, für viele war er eine Quelle der Kraft und Zuversicht. An Sonntagen kamen bis zu 200 Landsleute, an hohen Feiertagen wesentlich mehr. Die Not jener Zeit war groß, doch der Zusammenhalt der Menschen war stark, was bei der hiesigen Bevölkerung Erstaunen, teils auch Bewunderung auslöste.

Nach Gründung der „Tschippendorfer Musikkapelle Vorchdorf“ (später umbenannt in Musikverein Siebenbürger Vorchdorf) und der Mitwirkung der großen Trachtengruppe stieg der Bekanntheitsgrad der Siebenbürger in der näheren und weiteren Umgebung. Es herrschte eine gewisse Aufbruchsstimmung, Erfolgserlebnisse und viel Beachtung gab es bei zahlreichen Festen, so u.a. in Salzburg, Wels, Lambach und Gmunden. Die Mitwirkung beim Münchner Oktoberfest 1952 war ein Höhepunkt.

Das Jahr 1953 Jahr wurde für die Gemeinschaft der Tschippendorfer in Vorchdorf und Umgebung zu einer großen Belastungsprobe. Eine Werbeaktion des Eschweiler Bergwerks-Vereins (EBV) aus dem linksrheinischen Aachener Steinkohlerevier fand starkes Gehör. Der in Aussicht gestellte wesentlich höhere Verdienst, die Bereitstellung von Bergarbeiterwohnungen und der baldige Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft (in Österreich waren Volksdeutsche damals staatenlos) zeigten Wirkung. Eine erste Gruppe der Angeworbenen reiste am 17. April 1953 nach Setterich bei Aachen aus, darunter 12 Musiker, die ihre Instrumente im Gepäck hatten. Bis Ende 1954 waren es 198 Männer, Frauen und Kinder, die Vorchdorf und ihre Landsleute verließen – und die in Setterich dann schließlich heimisch wurden. Bereits Jahre vorher waren mehrere Familien aus Vorchdorf in die USA und nach Kanada ausgewandert. Nach den ersten schweren Jahren setzte noch vor Mitte der 1950er Jahre eine Wende ein. Mit dem günstigen Erwerb von Grundstücken und den anschließenden Hausbauten wurden die Tschippendorfer langsam heimisch. In einer beispielhaften Gemeinschaftsleistung und unter großer Opferbereitschaft gelang zusätzlich noch der Bau der evangelischen Kirche (Grundsteinlegung 1957 und die Einweihung).

Mit dem Bundesgesetz der österreichischen Regierung vom 20.12.1955 endete für die Volksdeutschen, so auch für die Siebenbürger, der Status der Staatenlosigkeit. Mit der Siedlungstätigkeit, dem Kirchenbau, dem starken kirchlichen Leben und trotz aller Belastungsproben bekamen die Tschippendorfer ein neues Selbstwertgefühl, das erlittene Schicksal schweißte sie zusammen und ließ einen Neubeginn zu.

Diesen Ereignissen von Verlust und Neuanfang gedachte man am 10. November in der Evangelischen Heilandskirche in Vorchdorf mit einem Fest– und Gedenkgottesdienst mit zahlreichen Teilnehmern aus näherer und weiterer Umgebung. Kurator Georg Breckner konnte viele Ehrengäste begrüßen, neben Bürgermeister Johann Mitterlehner als Hausherr der Gemeinde Vorchdorf, fanden sich Rainer Lehni, Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland und Präsident der weltweiten Föderation der Siebenbürger Sachsen mit Gattin Heike ein. Ebenso konnte Georg Breckner den Bundesobmann der Siebenbürger Sachsen in Österreich, Manfred Schuller, mit Bundeskulturreferentin Ingrid Schuller sowie Gästen aus der Siebenbürger Nachbarschaft Traun mit Dietmar Lindert, Obfrau Irene Kastner, den Obmann der Siebenbürger Nachbarschaft Rosenau, DI Franz Peter Seiler mit Gattin, begrüßen. Durch die Liturgie führte Pfarrer Mag. Martin Eickhoff, die vielbeachtete Festpredigt hielt Ehrenbundesobmann der Siebenbürger Sachsen in Österreich Pfarrer i.R. HR Mag. Volker Petri. In den Grußworten ging Bürgermeister Johann Mitterlehner auf den Fleiß der Siebenbürger Sachsen ein, ihre Siedlungstätigkeit und ihr Zusammenhalt sei stets vorbildhaft gewesen. Rainer Lehni dankte für die Einladung, der er sehr gerne gefolgt ist, und betonte in seinem Grußwort die Wichtigkeit von Gedenkveranstaltungen, bei denen solcher Ereignisse erinnert wird, denn nur so könne aus der Geschichte gelernt und diese verstanden werden. „Es sind unsere Wurzeln in Siebenbürgen, ist man noch so fern der Heimat. Das Weitergeben an die nächsten Generationen ist unser Erbe. Dessen müssen wir uns bewusst sein und das verpflichtet uns auch, danach zu handeln“, so Rainer Lehni.

Bundesobmann Schuller betonte in seinem Grußwort ebenso die Wichtigkeit von Gedenkveranstaltungen, aber auch das jetzt immer noch in den Siebenbürgischen Nachbarschaften in Oberösterreich gelebte Brauchtum und die Aktivitäten. „Unser Brauchtum, unsere Kultur sind ein Markenzeichen geworden, ist im Kulturland Oberösterreich fest verankert und gelebte Volkskultur. Der Siebenbürgische Kulturherbst, in dessen Programm sich auch diese Veranstaltung einreiht, ist bereits 12 Jahre hindurch ein Garant für unsere Siebenbürgische Kultur und in Oberösterreich nicht mehr wegzudenken. Das Land Oberösterreich besteht darauf, dass wir unsere Traditionen fortführen“, so der Bundesobmann. Er dankte allen, die sich für den Erhalt und Fortbestand der Siebenbürger Sachsen einsetzen, vor allem denen, wenn auch im Nachhinein, damaligen, verantwortlichen, politischen Amtsträgern der Gemeinde Vorchdorf für die schwierige Zeit der Aufnahme vor 80 Jahren, aber auch jenen, welche in den vielen Jahrzehnten immer und immer wieder an unserer Gemeinschaft festgehalten, unterstützten und angenommen haben.

Dem Gottesdienst folgte anschließend im Museum der Region Vorchdorf (Kitzmantelfabrik) die Eröffnung der Sonderausstellung „80 Jahre Siebenbürger Sachsen in Vorchdorf“. Die Eröffnungsworte sprach Georg Breckner vom Heimat- und Kulturverein Vorchdorf, der als Initiator, Heimatforscher und Autor die Schautafeln der Ausstellung erstellt hat. Er bedankte sich u.a. bei Ingrid Schuller, Bundeskulturreferentin, maßgebend bei der Konzepterstellung, und bei Irene Kastner, Nachbarmutter der Siebenbürger Nachbarschaft Traun, die beide beim sorgsamen Aufbau der Sonderausstellung neben Exponaten viel Wissen und Erfahrung einbrachten. Den Abschluss bildete das gemeinsame Mittagessen mit gemütlichem Ausklang im Foyer des Veranstaltungszentrums Kitzmantelfabrik.

Die sehenswerte Sonderausstellung ist bis 10. April 2025 zu besichtigen. Nähere Auskünfte unter www. museum-vorchdorf.at

G. Breckner/I. Schuller

Schlagwörter: Österreich, Nordsiebenbürgen, Flucht und Vertreibung, Vorchdorf

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