11. August 2011

„Anders rauschen die Brunnen, anders rinnt hier die Zeit“ –

Am 5. Juli 2011 herrschte buntes Treiben an der Rothenburger Straße in Nürnberg: 44 Siebenbürger Sachsen, zum Großteil Kleinprobst­dorfer, hatten sich dort eingefunden, um pünktlich um 7.00 Uhr eine Reise in die alte Heimat anzutreten. Weil jedoch der Koffer einer Mitreisenden sich sträubte und nicht auf direktem Weg seinen Platz im Bus fand, verzögerte sich unsere Abfahrt. Dieser unvorhergesehene Vorfall sollte jedoch keineswegs zu einem schlechten Omen für die folgenden sieben Tage werden. Im Gegenteil – wir alle durften eine Zeit reich an Erlebnissen und Begegnungen mit Land und Leuten in den heimatlichen Gefilden genießen.
Nach dem ersten Abendessen in Budapest reichte die Kraft und Zeit noch für einen Spaziergang zur Fischerbastei. Durch die Puszta vorbei an leuchtenden Mohnfeldern rückten wir am Mittwoch gespannt der Heimat immer ein Stück näher. Die Grenze passierten wir bei Großwardein (Oradea), um dann die neue Autobahn zu erkunden. Die Westkarpaten streifend, behielten wir über weite Teile hinweg deren dunkle Wälder im Blickfeld, während sich der Weg über die serpentinenreiche Strecke über den Feleac Richtung Klausenburg und Turda schlängelte. Die am Straßenrand weidenden Schafherden, die mit Heu voll beladenen Pferdegespanne und die Menschen, die in der Abenddämmerung vor dem Gassentürchen saßen, vermittelten uns zunehmend das Gefühl: Wir kommen heim.
Brunnen in Radeln: Anders wusch man sich frü­her ...
Brunnen in Radeln: Anders wusch man sich frü­her hier die Hände – und Besucher aus Deutsch­land tun es heute mit Selbstverständlichkeit noch. Foto: Maria Grigori
Die Baaßener „Hill“ bot uns einen Panoramablick auf das unserem Heimatdorf nahe gelegene Mediasch, wo wir im Hotel „Edelweiß“ eine gemütliche Unterkunft und beste Verpflegung erhielten.

Tag 1 auf dem Heimatboden war abwechslungsreich gestaltet. Beim offiziellen Empfang im Kleinkopischer Bürgermeisteramt wurden unter anderem anhand einer Filmvorführung die Gegensätze von vor und nach der Wende gezeigt. Die Kontraste im Stadtbild und in der näheren Umgebung nahmen wir ohnehin auch mit freiem Auge wahr und freuten uns, dass frische Farben und bunte Blüten das ehemals allumfassende Schwarz verdrängt haben. Der Nachmittag war der ehemaligen Europäischen Kulturhauptstadt gewidmet. Bei sommerlichen Höchsttemperaturen wurde unsere Ausdauer während einer interessanten, mit Humor gespickten Stadtführung in Hermannstadt auf die Probe gestellt.

Die geschichtliche und architektonische Fortbildung sollte am Abend bei einer Führung durch den gut erhaltenenen alten Stadtkern von Mediasch ihre Fortsetzung finden. Am Freitag folgte ein Ausflug nach Schäßburg, auch das siebenbürgische Rothenburg o.d. Tauber genannt. Für mich persönlich war an diesem Tag die siebenbürgische Atmosphäre äußerst intensiv zu spüren. Die Nebelschwaden über den Hügeln, das allmählich mild einfallende Sonnenlicht, in dem dann letztendlich die alten Dächer und Türme, die verwinkelten Gassen und verträumten Ecken Schäßburgs erstrahlten, die ­leisen Gitarrentöne, die zaghaft durch die mit Spinnweben behangenen Bretterwände der Schülertreppe drangen und der sich dazu gesellende volle Glockenklang der Bergkirche ließen in mir ein nostalgisches Gefühl von Vertrautheit und Geborgenheit aufkeimen, das sich wie ein Schutzwall gegen alle angestaute Anonymität und Kälte ausbreitete. Gelassenheit und viel Zeit brachte Hermann Baier mit. Wie ein Urgestein der Ruhe und Beständigkeit im bunten Treiben der Altstadt erteilte er uns Geschichtsunterricht über die Stadt, mit der ein großer Teil seines Lebens und Wirkens eng verbunden ist. Der Abstecher zum Mittagessen in der Gaststätte „Dracula“ auf der Dunnesdorfer „Hill“ stärkte unsere matten Glieder für die nachfolgende Führung auf der Birthälmer Burg, die Uwe Schuller übernahm.

Für alle Reiseteilnehmer mag wohl der Samstag den Höhepunkt unserer Reise in die Vergangenheit dargestellt haben, erwartete uns doch an diesem Tag das Wiedersehen mit unserem Heimatdorf Kleinprobstdorf. Es hatte sich mit strahlendem Himmel gekleidet – die Sonne brannte bei 39 Grad Celsius bis tief in unsere Seelen hinein. Verdrängte Gefühle bahnten sich spätestens während des Gottesdienstes oder der Andacht auf dem Friedhof, die Pfarrer Gerhard Roth würdevoll gestaltete, ihren Weg an die Oberfläche. Unser „Duxi“, Bruno Roth, sorgte für die musikalische Begleitung im Gottesdienst und verlieh diesem einen umso festlicheren Rahmen. Bei zwei rumänischen Familien in Kleinprobstdorf erfuhren wir die großzügige Gastfreundschaft dieser Menschen, die sich unermüdlich um unser leibliches Wohl bemühten. Alle Ehre machte der Sonntag seinem Namen. Er wurde ein Tag, an dem wir viel von dem Reichtum und der Unberührtheit der siebenbürgischen Natur in feierlichem Gewand wahrnehmen durften.

Über Schäßburg, Reps und durch den Geisterwald nahmen wir Kurs auf Kronstadt. Kein Sterne-Menü hätte uns besser geschmeckt als das urige Picknick am Fuße der Zinnenstadt, bestehend aus frischem Hausbrot, Speck, Schafskäse und Zwiebeln. Über Fogarasch und Agnetheln fuhren wir unserem „Letzten Abendmahl“ in Mediasch entgegen, um uns am 12. Juli auf die Rückreise über Hermannstadt, Mühlbach und Arad zu begeben. Wir nahmen dieses Mal alle reellen Koffer mit, aber auch viele ideelle Koffer, bestückt mit bleibenden Erinnerungen, wertvollen Erfahrungen und tiefen Wahrnehmungen. Auch wenn der g

eschichtliche und gesellschaftliche Wandel die Zeichen der Zeit verändert hat, so empfinde ich nach zwanzig Jahren Rückkehr in die Heimat, dass Adolf Meschendörfers Verse „Anders rauschen die Brunnen, anders rinnt hier die Zeit“ immer noch einen hohen Aktualitätswert in sich bergen.

Dieser kommt zum Ausdruck in den ganz einfachen Dingen des alltäglichen Lebens: Sei es in der Unbeschwertheit der Kinder, die zu zweit barfuß in die Pedalen eines Fahrrades treten, in der Gelassenheit, mit der Jung und Alt auf dem Gras vor dem Haustor liegen, oder in der paradiesischen Wildnis der abgelegenen Dörfer wie Radeln, wo Gänse in der brütenden Mittagshitze im Dorfbach dösen, oder auch in dem zuverlässigen Weckruf des frühmorgendlichen Hahnenschreis in unmittelbarer Nähe des Hotels, auch wenn manche diesen anfangs als Handyton, den jemand vergessen hatte einzustellen, wähnten. Dafür, dass wir in so kurzer Zeit so viel erleben durften, danke ich namens aller „Juliheimkehrer“ dem von Tatendrang und Idealismus erfüllten Organisator dieser Reise, Hans Folea-Stamp.

Ein herzliches Dankeschön gilt auch unserem Fahrer Kurt Penteker, der sein Steuer mit sicherer Hand auf allen ebenen und unebenen Straßen lenkte. Ehrenamtlich standen ihm der selbstlose Co-Pilot Freddie und die Stewardessen Katharina und Melanie hilfsbereit zur Seite.

Maria Grigori

Schlagwörter: Reisebericht

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