16. Januar 2019

Die deutsche Minderheit von der Gründung Großrumäniens bis zur EU-Mitgliedschaft

Wie wichtig ist gute Minderheitenpolitik für das „Friedensprojekt Europa“? Welche Rolle spielt Rumänien dabei in der EU? Und wie sieht das die deutsche Minderheit? Kann man verhindern, dass die Minderheit durch Assimilierung verschwindet? Diese und ähnliche Fragen wurden im Rahmen der Veranstaltung „100 Jahre Großrumänien – 100 Jahre Karlsburger Beschlüsse“, organisiert von der Hanns Seidel Stiftung am 23. November im George-Enescu-Museum Bukarest, diskutiert. Den historischen Hintergrund dafür lieferten: der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), Dr. Paul Jürgen Porr, der die Situation seit den Karlsburger Beschlüssen beleuchtete, welche die Minderheitenpolitik im 1919 vereinigten Großrumänien bestimmen sollten; Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, mit dem Thema „Karlsburger Beschlüsse und ihre Bedeutung für die nationale Minderheit“; und der rumänische Historiker Alexandru-Murad Mirnov.

Welche Rolle spielt Rumänien heute, gestern, morgen?

Heute: Rumänien wird für seine Minderheitenpolitik gelobt, die deutsche Minderheit – dank Durchdringung in die Mehrheitsgesellschaft – als Brückenbauer zwischen Vater- und Mutterland. Dennoch stören seit der Wahl des Siebenbürger Sachsen Klaus Johannis zum Staatspräsidenten Dissonanzen den harmonischen Zusammenklang im Land: die wiederholten Angriffe der PSD auf die deutsche Minderheit. „Wenn man die Entstehungsgeschichte des deutschen Forums verfolgt, dann ist es nur verstörend, wenn einige Angreifer so tun, als wäre es eine Nazi-Organisation. Das ist in einem modernen Europa eine untragbare Entgleisung!“, entrüstet sich Fabritius. „Die rumänische Regierung muss sich diese Angriffe zurechnen lassen, solange sie nichts dagegen tut.“ Erst ein Jahr davor wurde das 25. Jubiläum der deutsch-rumänischen Freundschaftsverträge gefeiert.

Gestern: Vor 100 Jahren versprachen die Karlsburger Beschlüsse den Minderheiten der zu Großrumänien hinzukommenden Gebiete Unterricht, Verwaltung und Rechtsprechung in der Muttersprache, Religionsfreiheit, Versammlungs- und Pressefreiheit, Staatsbürgerschaft und Wahlrecht. Als „nahezu visionär“ bezeichnete Fabritius die in den Beschlüssen verbrieften Rechte. Die Entscheidung der Bukowinadeutschen, Bessarabiendeutschen, Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben für Großrumänien sei ein entscheidendes Zünglein an der Waage bei den Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg gewesen, betont Porr. Besondere Hoffnung rief die Anschlusserklärung der Siebenbürger Sachsen hervor, einstimmig beschlossen von den 138 Vertretern am 8. Januar 1919 in Mediasch, mit der sie Ungarn zugunsten Großrumäniens den Rücken kehrten. „Man kann also behaupten, dass die Siebenbürger Sachsen zu den Gründern Großrumäniens gehören“, folgert Porr.
Es diskutierten, von links: Dr. Paul Jürgen Porr ...
Es diskutierten, von links: Dr. Paul Jürgen Porr (Vorsitzender DFDR), der Aussiedlerbeauftragte Dr. Bernd Fabritius, Daniel Seiberling (Hanns Seidel Stiftung Bukarest) und der rumänische Historiker Alexandru-Murad Mironov. Foto: George Dumitriu
Auf die Euphorie folgte Enttäuschung. Die Versprechen wurden großteils nicht eingehalten. Ein Grund war die Zentralisierung des Landes; die rumänischen Politiker in Siebenbürgen, mit denen vorher verhandelt wurde, hatten dort nicht viel zu sagen. Auch die zugesagte Schul- und Kirchenautonomie fand in der Verfassung von 1923 keinen Niederschlag. Die Bodenreform von 1921 mit folgenschweren Enteignungen vor allem für die Deutschen, zunehmende nationalstaatliche Haltung und restriktive Minderheitenpolitik ließen die Unzufriedenheit wachsen. Dies war einer der Gründe für die folgende Radikalisierung im nationalsozialistischen Regime, meint Fabritius. Unter Bevormundung des Deutschen Reichs, allerdings auf Beschluss der Bukarester Machthaber wurden die deutschen Gemeinschaften als „deutsche Volksgruppe“ organisiert und 63000 Mitglieder der deutschen Minderheit durch ein zwischenstaatliches Abkommen deutschen Militärverbänden unterstellt. Am Ende des Zweiten Weltkriegs folgte die kollektive Bestrafung der ethnischen Deutschen unabhängig von ihrer Nähe oder Distanz zu den Nazis. Ihre Zahl sank fortan dramatisch: Krieg, die Umsiedlung der Bukowina- und Bessarabiendeutschen, Deportation in die UdSSR, Abwanderung, die im Massenexodus nach 1989 kulminierte. Von 250000 Mitgliedern war die deutsche Minderheit innerhalb von zwei Jahren auf 120000 geschrumpft, heute sind es 37000, erklärt Fabritius.

Was hat die Große Vereinigung den Rumäniendeutschen gebracht? Indirekt führte sie zur Gründung des deutschen Forums. In Großrumänien mussten sich die deutschen Volksgruppen erstmals zusammenschließen, man hatte eine gemeinsame Stimme im Parlament. Die Pflege deutscher Sprache und Kultur war auch im Kommunismus möglich, so dass die Gemeinschaft nie ganz auseinanderdriftete: „selbst unsere Schulen durften wir behalten – ein Privileg im Vergleich zum übrigen Ostblock“, sagt Porr. So ist es nur natürlich, dass man sich nach der Wende sofort wieder organisierte. Von Anfang an engagierte sich das DFDR mit Blick über den eigenen Tellerrand als Brückenbauer zwischen Deutschland und Rumänien, als Förderer der heimischen Wirtschaft und sozialer Projekte, als Bewahrer des deutschsprachigen Schulsystems, das heute vor allem von Rumänen geschätzt und genutzt wird - Grundbausteine für ein friedliches Morgen.

Nina May

Schlagwörter: Podiumsdiskussion, Bukarest, deutsche Minderheit, Rumänien, deutsch-rumänische Beziehungen, Geschichte, Politik

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