28. Oktober 2020

Mit der Beschaulichkeit in Deutsch-Weißkirch ist es bald vorbei

Als Förster in Lichtenfels (Bayern) kämpft Dietmar Gross um naturnahe Forstwirtschaft. Als Rentner in Rumänien schützt er erfolgreich den Urwald. Der 70-Jährige ist in seine alte Heimat nach Siebenbürgen zurückgekehrt. Dann kaufte sich Prinz Charles ein Haus in der Nachbarschaft ...
Die Hirten haben das Vieh von der Huteweide ...
Die Hirten haben das Vieh von der Huteweide zurückgebracht. Die Familien holen ihre Kühe im Dorf ab. Fotos: Till Mayer
Jeden Morgen, jeden Abend, gibt es im sommerlichen Deutsch-Weißkirch (Viscri) das gleiche Bild zu sehen. Gegen sechs Uhr sammeln die Hirten das Vieh bei den Dorfbewohnern ein. Dann beginnt der Auftrieb zur Huteweide. Am Abend, wenn die Sonne langsam untergeht, geht es für die Tiere zurück. So haben sie das schon gemacht, als Deutsch-Weißkirch Ende des zwölften Jahrhunderts von Siebenbürger Sachsen gegründet wurde. Wer den Hirten von der eichenbestandenen Huteweide herab folgt, meint, die Zeit wäre seitdem stehen geblieben. Es gibt nur Wald, Wiese und den mächtigen Wehrturm der Kirche zu sehen.

Bei der ersten großen Kreuzung im Dorf warten schon die Viehbesitzer, um ihre Tiere abzuholen. Kleine, geduckte Katen stehen hier. Die größeren Höfe stehen im oberen Dorf. Von dort schlendert ein großer Mann heran. Dietmar Gross freut der Anblick der Viehherde. Die eine oder andere Kuh hat er selbst gespendet. Oder Bekannte aus Deutschland. Die Kühe sind für den 70-Jährigen wichtig. „Sie sind wichtig für die Zukunft als ein weiter nachhaltiges Dorf“, sagt er. Sind die Paarhufer weg, befürchtet er, dann verschwindet auch die Seele von Deutsch-Weißkirch. Und die Gefahr ist durchaus gegeben.

Dietmar Gross ist Siebenbürger Sachse. Als Student kam er 1974 nach Deutschland, blieb und war zu seiner Pensionierung im Jahr 2010 Forstamtsleiter im oberfränkischen Lichtenfels. Einer, der seinen Beruf als Naturschützer ausgesprochen ernst nahm. Das bekam so mancher politische Amtsinhaber schnell zu verstehen. Die Waldbesitzervereinigung Bad Staffelstein im Landkreis Lichtenfels ernannte den streitbaren Waldschützer sogar zum Ehrenmitglied. Beim Bund Naturschutz ist er bis heute Aktivposten auf Landesebene.

Seine alte Heimat in Osteuropa hatte Gross nie losgelassen. Er hielt Kontakte mit rumänischen Förstern und Umweltschützern. Im Jahr 2000 kaufte er in Deutsch-Weißkirch einen alten Hof. Das Dorf war damals ein verträumtes Nest im Dornröschenschlaf. „Fuhr ein Auto über die unbefestigte Dorfstraße, dann guckten die Alten aus dem Fenster“, erzählt Gross. Ruhe und Beschaulichkeit, das wollte er mit seiner Frau Gerhild erleben. Sie ist gebürtige Deutschweißkirchnerin. Der alte Hof wurde über Jahre hinweg mustergültig saniert.

Dann kam der Fluch des Prinzen. Nicht, dass ihre Hoheit Böses im Sinn gehabt hätte. Deutsch-Weißkirch, das ist genau so ein Dorf, wie es Prinz Charles gefällt. Die Kleinbauern arbeiten im Einklang mit der Natur. Traditionen sind lebendig. Die historische Bausubstanz ist beeindruckend gut erhalten. Zusammen mit der Mihai-Eminescu-Stiftung ermöglichte der Prinz Gelder, für die Sanierung des Welterbedorfs.

Einen der typischen Höfe des Straßendorfs mit Tor und Giebel zur Vorderseite hat sich der Prinz gekauft. „Dann war es mit der Beschaulichkeit bald vorbei. Selbst Prinz Charles ist es zu viel geworden, er war schon mindestens drei Jahre lang nicht mehr hier“, sagt Gross. Das Haus des Prinzen mieten jetzt gut betuchte Sommerfrischler. Gross würde vermutlich nicht von einem Prinzen-Fluch sprechen, doch der Segen des Tourismus wirft einen langen Schatten auf Deutsch-Weißkirch. An Wochenenden wird es besonders in der Ferienzeit schnell deutlich. Wenn der ganze Ortskern zugeparkt ist. Der Straßenstaub kaum noch zum Liegen kommt, weil dauernd ein Wagen auf dem Schotter am Rollen ist. „Viel zu wenige der Tagesausflügler nutzen den Parkplatz am Ortsrand“, ärgert sich Gross. Auch der Parkplatz ist der Initiative des Ex-Försters zu verdanken.
Dietmar Gross ist in seine alte Heimat nach ...
Dietmar Gross ist in seine alte Heimat nach Siebenbürgen zurückgekehrt. In dem Dorf Deutsch-Weißkirch (Viscri) hat er sich ein Haus gekauft. Der Naturschützer kämpft jetzt für den Erhalt der Dorfstrukturen. Denn im Ort hält der Tourismus seinen Einzug.
„Es ist wichtig, dass der Tourismus sanft bleibt“, sagt der 70-Jährige. Dann öffnet ihm Dominica Vasilache knarzend die Gartentüre. Gross will sich die Kuh ansehen. Sie ist Teil seines Projekts. Bedürftige Roma-Familien erhalten von ihm eine Kuh zur Verfügung gestellt. Den Milchertrag kann die Familie behalten, Kälber gehen ebenso in das Eigentum über. Voraussetzung ist, sie müssen den Hirten die umgerechnet drei bis vier Euro im Monat zahlen, um das Tier auf die Weide treiben zu lassen. „Und im Winter heißt es dann ausschließlich mit Heu aus dem Umfeld füttern. Kein Kraftfutter. Stattdessen die Ernte einer Mahd, die die extensiven Blumenwiesen schützt“, erklärt der Förster im Ruhestand. Durch die Beweidung werden auch die Eiche-Huteweiden erhalten, die sich der eigens von Gross mitgegründete Viehhalter-Verein „Agro-Eco Viscri-Weißkirch“ gepachtet hat.

Den Bau von kleinen Ställen hat Gross ebenfalls finanziert, damit besonders bedürftige Familien Vieh halten können. Und nicht gezwungen werden, als Billigarbeiter im Ausland ihr Glück zu suchen. „Bei Großschlachtereien wie Tönnies arbeiten viele Rumänen. Ich bin hier mit meiner deutschen Pension sehr privilegiert. Da sollte man einfach etwas abgeben, damit die Menschen hier eine Chance haben“, erklärt Gross. Es ist nicht so, dass immer alles reibungslos funktioniert. Eine Roma-Familie zog kurzerhand selber in den Stall, weil er solider als das Haus war. „Eine Familie hat die Viehzucht aufgegeben, weil die Milchpreise so niedrig sind“, erklärt der Siebenbürger weiter. Dann kommen Probleme wie bei Dominica Vasilache. Ihre Kuh will sich nicht decken lassen. Gross wird die Behandlung beim Tierarzt bezahlen. „Wenn er nicht helfen kann, kaufe ich eine neue Kuh dazu“, sagt er. Dominica Vasilache profitiert vom Tourismus-Boom in Deutsch-Weißkirch. Sie hat einen Job in der Dorfbäckerei gefunden.

Urlauber sind wichtige Kunden. Aber so ganz geheuer sind ihr die vielen Besucher nicht. „Ich bin da neutral“, sagt sie. Aber die meisten Touristen seien höflich, meint sie ein wenig schüchtern.

Der Wert der Immobilien ist nicht in den Straßen der Roma gestiegen, wo die 45-Jährige lebt. Sondern um das Vielfache dort, wo die historischen Höfe der Siebenbürger Sachsen stehen. Auch Peter Maffay hat sich dort einen gekauft. Direkt gegenüber vom Anwesen von Dietmar Gross wohnt seit Jahrhunderten die Familie von Martin Teutsch. Der Bauer Martin Teutsch ist geblieben, als Ende der 1990er Jahre die meisten Siebenbürger Sachsen dem harschen Leben im Dorf den Rücken kehrten und in die Bundesrepublik ausreisten. Der 47-Jährige erzählt davon, wie es Anfang der 1990er Jahre nur in der Post einen Telefonanschluss gab und keine Kanalisation. Heute ist er noch enttäuscht, wie sich nach der Wende in Rumänien alte Seilschaften der Kommunistischen Partei Land und Betriebe unter sich aufteilten. Der Tourismus, den sieht er als Chance. Um seinen Honig zu verkaufen und alle seine Bio-Produkte. Zwei Höfe besitzt er, einen will er vielleicht zum Gästehaus umbauen. Trotz Corona, das sieht er, ist das ganze Dorf voll mit Urlaubern hauptsächlich aus dem Inland.

Gerade kommt seine Frau nach Hause. Gerhild Gross ist die gute Seele für die Kirchenburg von Deutsch-Weißkirch, die seit 1999 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört. Sie verkauft dort die Eintrittskarten, kümmert sich um das kleine Museum, ist Organistin und als Verwalterin der Kirchengemeinde aktiv, im Kirchenvorstand sitzt ihr Mann. Wenn es die Zeit zulässt, bringt sie auf der schlichten Orgel das Gotteshaus zum Klingen.

Manchmal, da macht es sie traurig, wie wenig Respekt einige Besucher dem Gotteshaus entgegenbringen. „Selfie hier, Selfie da. Und dann beschweren sie sich, dass es so wenig zu sehen gibt“, sagt sie ärgerlich. Aber sie ist stolz, wie viele Menschen ihr Heimatort anzieht, das merkt man ihr an. Ihr Mann hat derweil zwei Ziele für das Dorf. Eine Vereinskäserei soll entstehen: „Das wäre eine direkte Wertschöpfung für die Dorfbewohner.“ Das Gebäude ist schon erworben. Ein ehemaliger Stall der Kollektivwirtschaft aus dem verblichenen Kommunismus. Er liegt direkt gegenüber vom Parkplatz. Und dorthin will Gross auch die Besucherautos lenken. Das entpuppt sich als mühsam, ohne Unterstützung der Kommunalpolitik. Dabei kann Gross Erfolge auf höchster nationaler Ebene nachweisen. Nicht zuletzt dank seiner beharrlichen Netzarbeit ist nun ein naher Urwald in den Südkarpaten zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt worden.

Till Mayer

Schlagwörter: Deutsch-Weißkirch, Prinz Charles, Umweltschutz, Tourismus, Kirchenburg, UNESCO

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