1. Juni 2006

Friedhof - Kulturdenkmal unter Denkmalschutz

Alle ausgesiedelten Siebenbürger Sachsen stehen nach Ansicht des Musikhistorikers Karl Teutsch in der Pflicht ihrer Tradition, ihrer Hinterlassenschaft und ihrer Toten. Er spricht sich gegen den Verkauf von Grabstellen auf dem Bergfriedhof in Schäßburg und auf anderen Friedhöfen in Siebenbürgen aus. Anlass seiner grundsätzlichen Gedanken ist der Artikel "Friedhöfe - Zeugen ihrer Zeit", erschienen in den Schäßburger Nachrichten vom 30. Dezember 2005.
Die HOG Schäßburg hat eine Arbeitsgruppe beauftragt, eine topographische Erfassung des kulturgeschichtlich und landschaftsästhetisch bedeutsamen Schäßburger Bergfriedhofs (in der Umgebung der Bergkirche) durchzuführen, d. h. alle Gräber und Grabmale, wie sie sich im Augenblick darstellen, aufzulisten, zu beschreiben, zu fotographieren, alle Grabeigentümer zu ermitteln, Daten zu den Beerdigten zusammenzutragen und schließlich alles zusammen in Buchform zu veröffentlichen. Das ist natürlich eine höchst löbliche, verdienstvolle und eminent wichtige Unternehmung.

Vorbildlich gepflegter evangelischer Friedhof in Wolkendorf. Foto: Konrad Klein
Vorbildlich gepflegter evangelischer Friedhof in Wolkendorf. Foto: Konrad Klein

Darf man sich jedoch damit zufrieden geben? Darf man zusehen, wie der Friedhof seit einiger Zeit sein Gesicht zu verändern und sich seiner selbst zu entfremden beginnt? Darf man sich abfinden damit, dass, wie Odette Fabritius in ihrer Mitteilung in den Schäßburger Nachrichten feststellt, "das Interesse an seiner [des Bergfriedhofs] Pflege und Erhaltung nachlässt", dass "die Bepflanzung zu verwildern und die zerfallenden Grabmale zu überwuchern beginnt", dass "die Zerstörung" voranschreitet und "der Friedhof sich verändert"?
Den gravierendsten Eingriff in das Gepräge des in historischer Gestalt überlieferten Friedhofs aber dürften die "Neuzugänge" an Grabsteinen auf tradierten oder neuen Grabstätten und die Beseitigung alter Grabmale darstellen, wodurch Wesenhaftes des Friedhofs verloren geht und Verfälschungen auftreten. Selbstverständlich haben die in Schäßburg noch verbliebenen Siebenbürger Sachsen, die kein Familiengrab besitzen, das Recht, auf dem Bergfriedhof (oder den anderen evangelischen Friedhöfen) Grabstellen zu erwerben. Dafür müsste jedoch eine Neuanlage geschaffen werden (die nicht weniger schön sein muss), wo neue Grabsteine mit neuen Inschriften aufgestellt werden können. Alle vorhandenen Gräber und Grabmäler sowie die gesamte Geländegestaltung des Bergfriedhofs müssen jedoch so erhalten bleiben, wie sie überliefert sind bzw. müssen durch Restaurierungen in ihren Originalzustand zurückgeführt werden.

Der Friedhof ist ein angestammtes kulturelles, historisches, architektonisches, landschaftsgestalterisches, konfessionelles und sakrales Denkmal, das die fast zur Gänze ausgesiedelten Sachsen zurückgelassen haben: Er muss also in seiner tradierten Form gesichert werden. Es ist schwer nachvollziehbar, wie die Kirchengemeinde auf die Idee gekommen ist, anders als in ähnlich gelagerten Fällen bei unter Denkmalschutz stehenden Kirchen, Gebäuden, Wohnhäusern und anderen unbeweglichen Kulturgütern, auf den Friedhöfen Veränderungen zuzulassen oder zu fördern. Die wichtigsten Anliegen und wesentlichen Auflagen für denkmalgeschützte Bauten und Anlagen oder gar für die Zugehörigkeit zum Weltkulturerbe beziehen sich auf die Forderung, dass sie in ihrem Aussehen, ihrer historischen Substanz und überkommenen Form bewahrt werden bzw. dass das ursprüngliche Erscheinungsbild nach Möglichkeit wiederhergestellt werden soll. In manchen Bereichen wird dieses in Siebenbürgen seit Jahren mit beachtlichem Erfolg praktiziert: Dank der Initiativen und Hilfen von Firmen, Stiftungen, Institutionen, Gesellschaften und Heimatortsgemeinschaften aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind Kirchen, Kirchenburgen, öffentliche und private Gebäude, Kunstgegenstände und Kirchenorgeln durch zum Teil aufwändige Sanierungen und Restaurierungen vor Schäden, Verfall, Umgestaltungen oder Zerstörung geschützt worden. Restauriert wurden auch Kirchen oder Orgeln, die etwa an rumänisch-orthodoxe bzw. ungarisch-katholische Kirchengemeinden und Institutionen verkauft worden sind, ihre überkommene Bauart blieb dabei unangetastet! Aus der Siebenbürgischen Zeitung vom 10. April 2006 ist zu erfahren, dass die Siebenbürgisch-Sächsische Stiftung, Hermann-Niermann-Stiftung und das GTZ-Büro Hermannstadt in Zusammenarbeit mit dem World Monument Fund einen umfassenden "Sicherungsplan" für die siebenbürgischen Kirchenburgen vereinbart haben.

Auf ähnliche Weise sollten die Friedhöfe gesichert werden (wozu ein ungleich geringerer Aufwand vonnöten wäre). Ihr ursprüngliches Aussehen, ihr historischer Charakter müssen erhalten bleiben. Die siebenbürgisch-sächsischen Friedhöfe sind nicht zu vergleichen mit hiesigen Friedhöfen, die sich "erneuern" dürfen. Aber auch hier in Deutschland - und nicht nur hier - werden alte Grabsteine, bedeutsame und weniger bedeutsame Grabstätten und Grabmale sowie ganze Anlagen von der öffentlichen Hand, den Kirchengemeinden, Stiftungen und privaten Einrichtungen und Organisationen sorgsam gehütet und unverändert bewahrt, obwohl zum Teil längst keine Nachkommen der Beerdigten mehr am Ort leben. An diesen Beispielen oder etwa am organisatorischen Modell des "Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge" könnte man sich orientieren und Maßnahmen zur Bewahrung des überlieferten Charakters der Anlage und zur Erhaltung jedes einzelnen Grabes, teilweise zur Wiederherstellung des Status quo ante, ergreifen. So täte die HOG Schäßburg gut daran, sich dafür einzusetzen, dass am Bergfriedhof keine Veränderungen und "Zerstörungen" um sich greifen, und nicht nur ein Bilder- und Dokumentationsbuch zusammenzustellen - so begrüßenswert das auch ist.

Es besteht kein Anlass für die in Siebenbürgen noch tätigen Kirchengemeinden wie die in Schäßburg, eine Grabstelle, deren Besitzer oder ihre Nachkommen die Grabgebühr nicht mehr entrichten, als "freigegeben anzusehen" und "laut Friedhofsordnung zu verkaufen". Für einen historischen Friedhof kann das nicht gelten. Was den verlassenen Kirchen, Kirchenburgen, Profanbauten, Bürger-, Bauernhäusern und Kunstwerken recht ist, ist den Friedhöfen billig, denn auch sie sind Denkmale und Dokumente der Geschichte und Kultur. Der Unterschied zu jenen besteht darin, dass diese nicht neuen "Benützern" und Besitzern zugeführt werden dürfen: Eine Art Revirement auf diesen Friedhöfen darf nicht stattfinden, denn das käme einer Substanzänderung, Entfremdung und Zerstörung gleich. Durch den Verkauf von Kirchen - wie geschehen - verändert sich deren Architektur nicht, während sich das Antlitz eines Friedhofs durch Veräußerung von Grabstellen oder Arealen wesentlich umwandeln kann. Das hat schon begonnen und wenn sich die Praxis des Verkaufs fortsetzt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die gesamte Anlage ihren ursprünglichen historischen Charakter und ihren Dokumentationswert verliert, abgesehen davon, dass das gleichzeitig auch einer Art postmortalen Vertreibung gleichkäme.

Dokumentationen anzufertigen ist nicht alles und nicht der Weisheit letzter Schluss. Man stelle sich vor, Baudenkmäler würden, nachdem Bilder, Karten, Pläne und Zeichnungen gemacht worden sind, dem Verfall, der Zerstörung oder Umgestaltung preisgegeben oder abgerissen. Die Menschen können sich mit dem Verschwinden oder Umformen von für sie und die Tradition wichtigen Bauwerken, Kunst- und Kulturdenkmälern nicht abfinden. Aus welchem Grund sonst wären beispielsweise das Bruchsaler Schloss, die Dresdner Frauenkirche, ganze Stadtteile in Warschau und Breslau und unzählige weitere zerstörte Objekte wieder aufgebaut worden? Wenn ein Baudenkmal nicht mehr in der Realität vorhanden ist oder in der Substanz verändert wurde, existiert es eben nicht mehr oder nicht mehr so, wie es überliefert wurde, auch wenn noch so zahlreiche Bilder von seiner einstigen Schönheit, Eigenheit oder Einzigartigkeit künden. In dem Beitrag "Wie wir unsere Ziele erreichen können" äußert sich Hatto Scheiner, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Siebenbürgische Bibliothek, in der Siebenbürgischen Zeitung vom 12. Januar 2006 zu diesem Themenkreis: "Warum bemühen sich die Heimatortsgemeinschaften um die Erhaltung ihrer ehemaligen Kirchen? Nicht weil sie selbst die Kirchen brauchen, um dort zum Gottesdienst zu gehen, sondern weil sie stolz auf ihre Leistungen sind und das von ihnen Geschaffene nicht dem Verfall preisgeben wollen. Es ist ein überzeugender Beweis dafür, dass die Menschen die Zeugnisse ihrer Geschichte bewahren wollen." Bezüglich der ehemaligen sächsischen Kirchen in ihrem "dörflichen oder städtebaulichen Zusammenhang" meint auch Dr. August Schuller: "Als historisch gewachsene Einheiten sind sie Seele und Gedächtnis eines vergangenen Gemeinwesens" (Siebenbürgische Zeitung, 20. Dezember 2005). All dies ist auf die Friedhöfe übertragbar.

Zurück zum Schäßburger Friedhof: Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten müssen geprüft, der Verkauf von Grabstellen muss umgehend gestoppt und es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, alle Gräber und die ganze Anlage mindestens in ihrer heutigen Form in der Realität zu bewahren. Die eingehenden Grabgebühren sollten eigentlich, wenn sie nicht für andere Ausgaben verwendet werden, für Bewahrung, Pflege, Instandhaltung und eventuell Restaurierung der Grabstätten, für deren Tote es keine Nachkommen mehr gibt oder auf die verzichtet wird, zunächst noch ausreichen. Da die Gebühren auch als solidarischer Beitrag zugunsten dieser Gräber und der gesamten Anlage verstanden werden, wären die Grabstellenbesitzer mit Sicherheit nicht abgeneigt, auch einen etwas höheren Beitrag zu entrichten. Eine finanzielle Notwendigkeit für die Kirchengemeinde, die als "freigegeben" betrachteten Grabstellen zu verkaufen, besteht nicht. Für die laufende Pflege der Gräber kommen die im Ausland wie die wenigen noch in Schäßburg lebenden Grabstellenbesitzer selbst auf.

Im Laufe der nächsten Zeit muss dann natürlich der Gedanke diskutiert werden, einen Fonds, eine Stiftung oder Gesellschaft für die Bewahrung des Friedhofs zu schaffen, eventuell unter der Federführung und finanziellen Beteiligung der Heimatortsgemeinschaft und der Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung. Alle ausgesiedelten Siebenbürger Sachsen stehen in der Pflicht ihrer Tradition, ihrer Hinterlassenschaft und ihrer Toten.

Karl Teutsch

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 9 vom 31. Mai 2006, Seite 9)

Schlagwörter: Kulturspiegel, Brauchtum, Schäßburg

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