28. März 2013

Viktor Kästner: De Weichselbiem

Vir mengem Fensterchen derhiem
ä Kiërz, do stohn zwien Weichselbiem,
versprijjelt sen är Krienen.
De Bååch rouscht äm är Wurzle fräsch
und ämmeränk stoh Bink uch Däsch
ous åålde Kliesterstienen.
Dä nåhm ich ous er deffer Kell,
de Stimpel vun der Gnodesell,
gewåht Marie, der Rienen.
Vir mengem Fensterchen derhiem,
do blähn zwien stattlich Weichselbiem,
dått alle Neest sich biejen.
De Risekiëwer mät der Grunn
und alle Farwespiller kunn
all fänkelä gefliejen.
Dä iëßen Hiench und dränken Daa,
de Härrgottießker sähn en za,
wä proochtvol se sich ziejen.


Vir mengem Fensterchen derhiem,
do dron zwien stattlich Weichselbiem,
vill Weichsle wä Korallen;
är Quastelcher, dä heh gebäckt,
det klinzich Bruetschelche bepäckt
de heschten ze Gefallen.
De Knatscher schmätschen, datt et knatscht,
Guuldlëistre lossen, datt et patzt,
de Däschmusik erschallen.


Vir mengem Fensterchen derhiem
stohn härwestlich meng Weichselbiem
sälwst nooch mät Schmuck behangen.
Är Bliëtcher se’ giël, rit uch grän,
de Owendläftcher, dä ämzähn
se guer mät sessem Bangen;
und pespern en är Schlommerlied
bäs ient ämt ånder schleeft, wä dit,
vum Wängterschlof befangen.


Vir mengem Fensterchen derhiem
stoh gånz bedäft meng Weichselbiem
vum gråme Wängters-Spirkel.
Heht un de Neestchre wä Kristall,
gemiëße se’ seng Stärncher all
wä mät em Zuwerzirkel.
Der Sannestrohl wä Feenhånd,
diër stroppelt uew är Noochtgewånd,
verschwangde sen de Schnirkel.


Vir mengem Fensterchen derhiem,
do stohn zwien stattlich Weichselbiem
äm Blommegärtchen angden.
Und wor ich trourich, wor’t mer gråm,
si hun ich, wänn ich bä se kåm, Zefriddenhiet empfangden.
Dräm wekt uch briet af deser Wält
mer niche Buum wä sä gefällt,
hun nichen heschre fangden.


Worterklärungen:
Weichsel: Sauerkirsche
versprijjelt: ausgebreitet
Kell: Grube
Gnodesell: Gnadensäule
gewåht: geweiht
Härrgottießker: Marienkäfer
Bruetschel(chen): Grasmücke
Knatscher: Kernbeißer
Guuldlëister: Goldamsel
bedäft: bereift
Wängters-Spirkel: Winterfrost
stroppelt uew: streift ab

Entnommen aus: Viktor Kästner: „Gedichte in siebenbürgisch-sächsischer Mundart“, 2. Auflage [herausgegeben von A. Schullerus], Hermannstadt 1895, S. 37-39.

Ein geheimes Zauberband umgibt das makellose Weiß der Baumblüte und die Fragmente der Gnadensäule, einst Maria, der Reinen, geweiht. Das Band, das den Dichter mit den beiden Bäumen verbindet, ist der innere Friede, den er zu allen Jahreszeiten bei ihrem Anblick empfunden hat.

Viktor Kästner, geboren am 30. Dezember 1826 im Kerzer Pfarrhaus, gilt als einer der bedeutendsten Mundartdichter der Siebenbürger Sachsen. Er starb am 29. August 1857 in Hermannstadt.

Ein frohes Osterfest wünschen allen Lesern

Hanni Markel und Bernddieter Schobel

Schlagwörter: Mundart, Gedicht, Saksesch Wält

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