15. Juli 2008

Frida Binder-Radler: "Der rechte Weg geht über Steine"

Sie ging den rechten Weg, und der war recht steinig. Am 13. Mai diesen Jahres wäre sie 100 Jahre alt geworden, aber das Leben der vielseitig begabten Siebenbürgerin Frida Binder-Rad­ler währte nur bis 1986.
„Ihr lyrisches Schaffen bildet einen Höhepunkt der siebenbürgisch-sächsischen Mundartdichtung unserer Tage“, schrieb 1969 der Bukarester Literaturkritiker Alfred Kittner an Frida Binder-Radler. Er bereitete eine Anthologie der Rumäniendeutschen Literatur vor, die aber in der Ceaușescu-Ära nicht veröffentlicht werden konnte. Warum das literarische Schaffen der Siebenbürgerin den Literaturhistorikern und -kritikern weniger be­kannt ist, liegt wohl auch daran, dass die Frau nur zögerlich in der Öffentlichkeit auftrat und somit ihr umfangreiches Werk der Nachwelt nur zum Teil zugänglich gemacht worden ist.

„Einsam nennet mich die Welt,
weil ich oft die Menschen meide.
O, wie liebe ich die Stille…“


Frida Binder-Radler, kolorierte Fotografie. ...
Frida Binder-Radler, kolorierte Fotografie.
Geboren wurde sie am 13. Mai 1908 in Elisa­bethstadt. Als zweitjüngste Tochter des Volks­schullehrers Johann Radler, eines Pretaiers, wuchs sie mit ihren vier Schwestern im siebenbürgisch-sächsischen Dorfmilieu auf. Die Mutter war die Tochter der Predigers Johann Rampelt aus Pretai. Der Vater erwarb nach dem Ersten Weltkrieg ein Gut in Michelsdorf im Kaltbachtal. Als Kind und Jugendliche pflegte sie die Kontak­te zu den Dorfbewohnern dieser Landschaft und lernte über deren Folklore den Seelenreichtum dieser Menschen kennen. Das Interesse am völkischen Wesen findet seinen Niederschlag im Sammeln von Sagen, Volkserzählungen sowie Zeitberichten – vorwiegend aus dem Kaltbachtal –, die sich in ihrem Nachlass befinden. Frida besuchte in Hermannstadt die Volksschule, die höhere Handelsschule und nach deren Auflösung das Schäßburger Lehrerseminar. Danach studier­te sie bildende Künste in Neustadt/Baia Mare.

1930 ehelichte sie den Bankbeamten Gerhard Binder, der 1946 in der sowjetischen Deportation verstarb. Sie lebte mit ihrer Familie in Mediasch, wo sie drei Jahre im Atelier des Bildhauers Böge tätig war. Aus Deutschland gerufen, war dieser beauftragt worden, das Stephan-Ludwig-Roth-Denkmal und die Büste des sächsischen Natio­nalhelden anzufertigen. Schon während der Me­diascher Zeit beteiligte sich die junge Bildhauerin an mehreren Ausstellungen und gründete 1946 die Firma „Arta Frida Binder“, in der sie auch Mitarbeiter beschäftigte. Nachdem sie von den Heimgekehrten über den Tod ihres Mannes in­formiert wurde, zog sie mit ihren beiden Söhnen nach Hermannstadt um, wo sie von ihrer kinderlosen Schwester, der Opernsängerin Sarah Csallner, im Haushalt Unterstützung fand. Sie stellte in der Kooperative „Voința“ Puppen her, wirkte an der Gründung des Her­mannstäd­ter Puppentheaters mit, war Bühnenbildnerin am Staatstheater, Kunstpädagogin an der Școala de Artă und Mitglied des „Fondul Plastic“ in der Union der Bildenden Künstler Rumäniens.
Frida Binder-Radler: Sächsisches Tanzpaar (links ...
Frida Binder-Radler: Sächsisches Tanzpaar (links der junge Bildhauer Peter Jacobi).
Ihr malerisches Schaffen umfasst Portraits, Trachten- und Landschaftsbilder, Kirchenburgen und Blumensträuße, vorwiegend in Öl. Sie schuf auch Skulpturen von Persönlichkeiten wie Fried­rich Krasser, Ciprian Porumbescu, Misch Foith u. a. Sehr bekannt ist sie bei den Landsleuten als Keramikerin. Heute stehen in vielen heimatlich eingerichteten Wohnungen die sächsisch ornamentierten Vasen, Lampen, Kerzenständer oder Aschenschalen mit den jugendlichen, meist in der Volkstracht gekleideten, Pärchen, angefertigt von den Händen der Künstlerin.

Der literarische Nachlass der Mitbegründerin des Siebenbürgisch-sächsischen Dichterkreises umfasst 160 Gedichte lyrischen Inhalts, 21 Büh­nenstücke, mehrere Novellen sowie eine Samm­lung von beinahe 199 Sagen und Volkserzählun­gen, die sie im Laufe der Jahrzehnte vorwiegend im Kaltbachtal von Sachsen, Rumänen, Ungarn und Zigeunern gesammelt hatte.

Ohne Zweifel stellt die Lyrik den wertvollsten Teil ihres literarischen Werkes dar. Zu Lebens­zeiten wurden einige Gedichte in den Kirchlichen Blättern, der Zeitschrift Volk und Kultur und in der Karpatenrundschau veröffentlicht. Die Her­ausgabe von 60 Sagen und Volkserzählungen besorgte 1983 Horst Schuller Anger im Buka­rester Ion Creangă Verlag. Fünf repräsentative Gedichte in sächsischer Mundart wurden im Sie­benbürgisch-sächsischen Hauskalender 2002 abgedruckt. Über 30 Gedichte sind von bekannten Siebenbürger Komponisten vertont worden. Sie waren mit der Dichterin befreundet: Hans Mild, Heinrich Bretz, Michael Potoradi sowie Martin Kutschis. Mehrere der Lieder werden schon seit Jahrzehnten in sächsischen Kreisen als Volkslieder gesungen.

Der Erwerb des täglichen Brotes nahm zwar viel Zeit in Anspruch. Dennoch konnte sich die Bildhauerin auch der Dichtkunst widmen. Sie tat es für ihre Landsleute, die sie sehr liebte. Und ihre Landsleute waren alle Siebenbürger ungeachtet der ethnischen oder religiösen Zuge­hörigkeit. Sie galt als nonkonformistisch, ging in der nationalsozialistischen Zeit in die Kirche und pflegte Freundschaftsbeziehungen zu jüdischen Mitbürgern, sie besuchte Zigeuner und wurde von diesen wiederum geschätzt. Auf schöpferischer Ebene hielt sie sich vom sogenannten sozialistischen Realismus fern.

Angezettelt von übereifrigen Kommunisten erfolgte ihr Heraus­schmiss aus dem Schuldienst – eine Demütigung, die sie ein Leben lang nicht überwinden konnte. Gezeichnet durch tiefe Enttäuschungen, ein schweres Familienschicksal und eine fehldiagnostizierte Knochentuberkulose verstarb sie im Alter von 78 Jahren. Repräsentativ für ihre stoische Haltung in Zeiten schwerer Schicksals­schläge sind die folgenden Verse:

„Ich blick zurück in weite, blaue Ferne
mich fragend, wo mein Leben einst begonnen,
wo Sorge dunkle Schatten still ersonnen
mich schlugen – und ich lebte dennoch gerne.“

Wolfgang Gerhard Binder

Künstlerin und Pädagogin

Anfang der fünfziger Jahre war Frida Binder eine besondere Präsenz in der Hermannstädter Kunstszene. Sie machte Skulpturen, malte, dich­tete und schrieb Theaterstücke. Ein poetischer Realismus charakterisierte ihre künstlerische Arbeit. Ihre Thematik war die Geschichte Sie­benbürgens mit ihrer, manchmal auch verklärten, Gegenwart. Diese stilistische Charakteristik ihrer Arbeit war wohl die richtige für die Ver­mittlung erster bildnerischer Begriffe an uns damals 15- bis 16-jährigen Jugendlichen. Eine ihrer großartigen Eigenschaften war, uns an die Meisterwerke der Kunstgeschichte mit Enthusiasmus und Kompetenz heranzuführen. Die Atmosphäre ihres Hauses war von Künstleri­schem durchdrungen. Während ich manchmal als ihr Helfer und auch als ihr Modell tätig war, hörte man das Singen ihrer Schwester, der Opernsängerin Sarah Csallner-Radler. So bekam ich die ersten Eindrücke über Musik und Kunst in ihrem Haus. Durch den Tod ihres Mannes in der russischen Deportation war sie gezwungen, ihre beiden Söhne und die Familie ihrer Schwes­ter durch ihre Kunst und kunsthandwerkliche Tätigkeit über die Runden zu bringen. Unver­gesslich bleibt mir ihre charmante, intelligente und liebenswerte Art.

Peter Jacobi

Bibliographie (Auswahl)

Von Frida Binder-Radler sind bisher erschienen:

Gedichte“. Herausgegeben von Misch Foith. Druck: Hans Christel, Zeiden 1947

Das Brauthemd“. Sagen und Volkserzählun­gen aus dem Kaltbachtal. Herausgegeben von Horst Schuller Anger, Illustration: Ortwin Weiss. Ion Creangă Verlag, Bukarest 1983

Weihnachtsgedichte“. Illustration: Marie-The­rese Gürtler. 1999 *

Licht ins Dunkel“. Gedichte in deutscher Sprache. 2006 *

Im Tal der Tränen“. Novellistische Feder­zeich­nungen aus dem Kaltbachtal, 2004 *

Das goldene Hufeisen“. Sagen aus dem Kalt­bachtal, 2004 *

Der Zeitgeist im Kaltbachtal“. Gesammelte Briefe und Tagebuchaufzeichnungen aus vergangenen Zeiten, 2004 *

Der Birkenhain“. Sagen und Volkserzählun­gen der Zigeuner aus dem Kaltbachtal, 2008 * „Gedichte in siebenbürgisch-sächsischer Mundart“. 2005 * (sämtliche Mundartgedichte der Autorin)

Licht ins Dunkel“, 2006 * (sämtliche in der Hochsprache verfassten wie auch die aus der Mundart ins Deutsche übersetzten Gedichte)

Lieder in siebenbürgisch-sächsischer Mundart“, 2006 * (Geheftet – unvollendet)

21 Bühnenstücke in deutscher Sprache, davon 14 in der Mundart *

* Erschienen im Eigenverlag Wolfgang Binder – Augsburg.

Schlagwörter: Lyrik, Mundartautoren, Malerin, Hermannstadt

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  • 28.07.2008, 10:01 Uhr von Wolfganggerhardbinder: [Beitrag am 28.07.2008, 10:01 von Wolfganggerhardbinder geändert] [Beitrag am 28.07.2008, 10:02 ... [weiter]

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