26. Mai 2010

Vasile Blaga: Siebenbürger Sachsen litten in Rumänien unter "unmenschlicher Diktatur"

Rumäniens Innenminister Vasile Blaga hat bei der Festkundgebung des Heimattages in Dinkelsbühl (am 23. Mai 2010) das den Deutschen während der kommunistischen Diktatur in Rumänien zugefügte Unrecht bedauert. Die Aussiedlung der Siebenbürger Sachsen sei ein empfindlicher Verlust für sein Land. Lesen Sie im Folgenden die Rede des Innenministers.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär Bergner, sehr geehrter Herr Botschafter Comănescu, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Hammer, sehr geehrter Herr Bundesvorsitzender Fabritius, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Siebenbürger Sachsen, ich fühle mich besonders geehrt durch die Einladung des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland zum Heimattag der Siebenbürger Sachsen, dem wichtigsten Ereignis des Jahres für Ihre Gemeinschaft. Ich bedanke mich besonders beim Bundesvorsitzenden Dr. Bernd Fabritius für die Einladung und insbesondere für die Möglichkeit, mich heute, im Rahmen der Kundgebung, an Sie wenden zu können.



Ich gebe zu, dass ich bewegt bin, auch wenn man meint, dass ein Innenminister seine Gefühle immer beherrschen müsste. Ich bin bewegt, weil die heutige Kundgebung außergewöhnlich ist und nicht zur Routine eines Innenministers gehört. Ich habe heute die Möglichkeit mich an Sie, meine ehemaligen Mitbürger, an die Siebenbürger Sachsen und an ihre Nachkommen, zu wenden. Ich stamme auch aus Siebenbürgen, so wie Sie, und in meinem Freundeskreis waren und sind viele Siebenbürger Sachsen, mit denen mich viele schöne Erlebnisse meines Lebens verbinden. Es sind rechtschaffene, fleißige Menschen, die ich schätze und von denen ich vieles gelernt habe.

Heute sehen wir uns hier wieder, im Herzen Deutschlands, in Dinkelsbühl, Ihrem Ort der Begegnung seit bald 60 Jahren, dem Ort, an dem Sie Ihre siebenbürgische Gemeinschaft neu beleben. Sie beweisen jedes Jahr in dieser schönen mittelalterlichen Stadt, die den wunderbaren, von den Siebenbürger Sachsen errichteten mittelalterlichen Ortschaften in Siebenbürgen emotional so nahe steht, dass Wurzeln nie vergessen werden. Die über Generationen, oft unter erheblichen Opfern aufrechterhaltenen Werte werden von Ihnen hier in Deutschland neu belebt und weiter gelebt. Das ist der beste Beweis dafür, dass Sie in Ihrer tiefsten Seele Siebenbürger Sachsen geblieben sind, auch wenn sie heute treue Bürger Deutschlands sind.
Rumäniens Innenminister Vasile Blaga bei seiner ...
Rumäniens Innenminister Vasile Blaga bei seiner Festansprache am Pfingstsonntag in Dinkelsbühl. Foto: Josef Balazs
Sie leisten in Ihrer neuen Heimat einen entscheidenden Beitrag: Sie haben nicht nur am Wiederaufbau des modernen Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg mitgewirkt, sondern auch die interkulturelle Kompetenz und ethnische Toleranz aus Siebenbürgen mitgebracht. Siebenbürgen und das Banat sind im heutigen Europa Vorbilder für ein harmonisches Zusammenleben der verschiedenen Ethnien.

Ihr Heimattag zeigt, dass Ihnen gleichzeitig zwei herausragende Leistungen gelungen sind: sich einerseits perfekt in die bundesdeutsche Gesellschaft zu integrieren, wobei Sie für Ihre Eigenschaften und Ihre Treue geschätzt werden. Andererseits leben Sie Ihr Brauchtum und Ihre Traditionen weiter; Sie haben Ihre Wurzeln nicht vergessen und Ihre Identität als Siebenbürger Sachsen beibehalten. Das macht Sie zu authentischen Europäern und zu einem Musterbeispiel für alle, die die grundlegenden Werte kennen möchten, die aus dem modernen Europa einen Raum der Toleranz, des Wohlstands und des Friedens machen.

Die Tatsache, dass Deutschland die Literaturnobelpreisträgerin, die Schriftstellerin Herta Müller, die aus einer rumäniendeutschen Familie stammt, für diese höchste literarische Auszeichnung vorgeschlagen hat, zeigt, dass die rumäniendeutsche Literatur eine internationale Bedeutung hat und sich weltweiter Anerkennung erfreut. Meine Damen und Herren, liebe Siebenbürger Sachsen!

Ich möchte Ihnen jedoch nicht verheimlichen, dass ich als Siebenbürger traurig darüber bin, dass Ihre Zusammenkunft nicht in Ihrer Heimat Siebenbürgen stattfindet. Ich hätte mir gewünscht, dass mein Land die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen hätte, damit Sie dort geblieben wären, wo Ihre Vorfahren und Sie selbst über acht Jahrhunderte einen Raum des Wohlstands und der Toleranz geschaffen haben. Es trifft uns Rumänen empfindlich, dass Sie durch Ihre Ausreise eine Leere hinterlassen in den Regionen, in denen Sie früher gelebt haben.

Leider haben eine unglückliche politische und soziale Konjunktur und eine unmenschliche Diktatur, nicht nur Siebenbürgen, sondern das ganze Land belastet. Wir fühlen auch heute noch, nach 20 Jahren, die dramatischen Folgen jener Zeiten. Auch wenn wir noch unter diesen Folgen leiden, ist das heutige Rumänien demokratisch und offen, es ist Mitglied der EU und NATO. Unsere wichtigsten politischen Ziele nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, wieder in die europäische und euro-atlantischen Familie aufgenommen zu werden, haben wir durch beachtliche Anstrengungen, aber auch durch die entscheidende Hilfe unserer Partner erreicht.

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Dr. Christoph Bergner, erlauben Sie mir, Ihnen auch auf diesem Wege unseren Dank an die Bundesrepublik Deutschland dafür zu übermitteln, dass Sie mein Land wesentlich unterstützt haben, diesen Wunsch des rumänischen Volkes – von historischer Tragweite – zu verwirklichen. Und danken möchte ich für die intensive Zusammenarbeit in der Europäischen Union.

Ich weiß, dass uns auch die Rumäniendeutschen auf diesem Weg aktiv unterstützt haben, so dass wir heute, als Deutsche und Rumänen, in der großen Familie der Europäischen Union vereint sein können. Wir wissen, dass wir die Zeit nicht zurückdrehen können, um das während der Diktatur begangene Unrecht wiedergutzumachen. Wir wissen aber auch, dass unter der neuen Konstellation gute Voraussetzungen bestehen, damit Sie erneut kulturelle, soziale, wirtschaftliche oder politische Beziehungen in Rumänien knüpfen können. Ich weiß, dass es viele Beispiele siebenbürgisch-sächsischer Familien gibt, die sich in meinem Land aktiv engagieren und vertrauensvoll nach Rumänien zurückkehren, was mich freut.

Ich möchte Ihnen sagen, dass Rumänien Sie vermisst. Rumänien, die Rumänen, aber auch meine Regierung erwarten diejenigen von Ihnen, die die Beziehungen zur Heimat Ihrer Vorfahren neu knüpfen wollen, mit offenen Armen. Es ist mir wohlbekannt, dass in den 20 Jahren seit dem Fall des Kommunismus in Rumänien, der Verband der Siebenbürger Sachsen durch vielfältige Initiativen sowie soziale und wohltätige Projekte, einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage in meinem Land geleistet hat, durch humanitäre Hilfe, durch soziales Engagement, aber auch durch Initiativen zu wirtschaftlichen und kulturellen Partnerschaften oder Partnerschaften zwischen Städten.

Die Partnerschaft zwischen Dinkelsbühl und Schäßburg (Sighișoara) ist nur ein Beispiel für die vielen zukunftsorientierten Kooperationen. Ich möchte mich dieser Stelle beim Oberbürgermeister der Stadt Dinkelsbühl für seine Offenheit und dafür bedanken, dass seine wunderschöne Stadt jedes Jahr Gastgeber des Heimattages unserer ehemaligen Landsleute ist. Wir danken Ihnen, Herr Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer.

Sehr geehrte Damen und Herren, obwohl mein Land in den letzten Jahren schon wichtige Schritte zur Wiedergutmachung des Unrechts, das während der kommunistischen Diktatur begangen worden ist, unternommen hat, weiß ich sehr wohl, dass es noch viel Unzufriedenheit hinsichtlich der Anwendung der Gesetze gibt, vor allem der Gesetze, die sich auf die Rückerstattung des während der kommunistischen Zeit enteigneten Eigentums beziehen.

Zu diesem Thema befinde ich in einem ständigen Dialog mit der Leitung Ihres Verbandes. Erst kürzlich, im Monat März, war der Bundesvorsitzende des Verbandes der Siebebbürger Sachsen, gemeinsam mit dem Bundesgeschäftsführer sowie Vertretern der Banater Schwaben, in Bukarest. Der Besuch war Anlass für ein ausführliches Gespräch zu diesem und zu anderen Themen, die für Sie von Interesse sind. Es war ein offenes und konstruktives Gespräch, ein wichtiger Schritt für beide Seiten. Diesen Dialog haben wir hier in Dinkelsbühl fortgesetzt, und ich wünsche mir, dass wir auch in der Zukunft in engem Kontakt bleiben. Herr Bundesvorsitzender Fabritius, ich stehe Ihnen auch in Zukunft gerne unterstützend zur Seite, wenn meine Hilfe nötig ist.

Sehr geehrte Damen und Herren, der Heimattag wird in meiner Erinnerung bleiben, als einer der schönsten Ereignisse, an denen ich als Minister teilgenommen habe. Sowohl die Schönheit der siebenbürgisch-sächsischen Trachten als auch die menschliche Wärme, die Sie mir entgegengebracht haben, freuen und ehren mich außerordentlich. Ich fühle mich sehr wohl in Ihrer Mitte, ich fühle mich hier wie zu Hause.

In diesen Tagen habe ich eindeutig festgestellt, dass Sie die besten Brückenbauer zwischen unseren Ländern, zwischen Rumänien und Deutschland, sind, und dass Sie diese Rolle auch aktiv wahrnehmen. Heute ist das viel einfacher als jemals zuvor, sind wir doch alle Mitglieder der großen europäischen Familie, Bürger der Europäischen Union. Die Tatsache, dass manche von Ihnen in die rumänischen diplomatischen Vertretungen kommen, um Ihre rumänische Staatsbürgerschaft wieder zu erwerben, ist für uns eine sehr erfreuliche Tatsache und ein Beweis dafür, dass Sie Ihre Beziehungen zur alten Heimat weiter intensivieren möchten. Innerhalb der Europäischen Union ist die doppelte Staatsbürgerschaft akzeptiert, so dass dieser Schritt heute sehr einfach ist.

Sehr geehrter Herr Bundesvorsitzender Fabritius, meine Damen und Herren, ich danke Ihnen aus ganzem Herzen für Ihre Gastfreundschaft und die Einladung zum Heimattag. Gleichzeitig wünsche ich Ihnen, dass Sie die Bräuche der Siebenbürger Sachsen wie eine lebendige Flamme Ihrer Identität mit dem gleichen Einsatz weiterpflegen. Von außerordentlicher Bedeutung für die Zukunft ist es, die Traditionen und das Gemeinschaftsbewusstsein der Siebenbürger Sachsen an die junge Generation weiterzugeben. Die Tatsache, dass so viele junge Leute an dem Heimattag teilnehmen, ist wunderbar, und eine Gewähr, dass diese wunderbaren Traditionen auch für der Zukunft erhalten werden können. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

Schlagwörter: Heimattag 2010, Verband, deutsch-rumänische Beziehungen, Vergangenheitsbewältigung

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