22. Juni 2011

Susanne Kastner: "Mit Herzblut und Hingabe um Traditionen kümmern"

Die Heimattage seien ein Beweis, dass die Siebenbürger Sachsen beides hätten: Wurzeln und Flügel, sagte Dr. h.c. Susanne Kastner, Vizepräsidentin a. D. des Deutschen Bundestages, bei der Eröffnung des Heimattages am 11. Juni im Schrannenfestsaal. Die vielen jungen Gäste und das 25-jährige Jubiläum der Jugend zeigten deutlich, dass die Siebenbürger Sachsen eine gute Jugendarbeit leisten. Die Rede der SPD-Politikerin, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, der Deutsch-Rumänischen Parlamentariergruppe und des Deutsch-Rumänischen Forums in Berlin, wird im Folgenden leicht gekürzt wiedergegeben.
An diesem Wochenende gibt es gleich drei freudige Anlässe, die wir gemeinsam feiern wollen: Vor 800 Jahren wurde das Burzenland erstmals urkundlich erwähnt. Vor 60 Jahren fand der erste Heimattag der Siebenbürger Sachsen statt. Und die Gründung der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend in Deutschland (SJD) liegt heuer 25 Jahre zurück.

Als Vorsitzende der Deutsch-Rumänischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag und auch als langjährige Freundin Rumäniens bin ich gerne Ihrer Einladung nach Dinkelsbühl gefolgt.

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Wenn Jahr für Jahr aufs Neue zahlreiche Heimatgruppen und Verbände ihren Weg hierher finden, dann ist das schon etwas ganz Besonderes. Die Heimattage zeigen, dass die Siebenbürger Sachsen nicht nur Kunst und Tradition haben, sondern diese auch zu leben wissen. Das habe ich jetzt wieder mal gemerkt, als der Trompeter noch ein Lied gespielt hat, das alle konnten, und Sie spontan mitgesungen haben. Das fand ich wunderschön. Außerdem habe ich auch beim Siebenbürgerball in München erlebt, wie fröhlich die Siebenbürger tanzen können.

Die Pflege der alten Traditionen war und ist allerdings niemals eine leichte Aufgabe. Sprachwissenschaftler schätzen, dass weltweit von den über 6000 Sprachen noch vor Ablauf dieses Jahrhunderts 90 Prozent wahrscheinlich ausgestorben sein werden. Wenn die Sprachen verschwinden, verlieren wir auch die mündlichen Überlieferungen, weil viele Sprachen nicht niedergeschrieben sind. Das bedeutet den Verlust eines einzigartigen kulturellen Welterbes.

Susanne Kastner. Foto: Kurt Pachl ...
Susanne Kastner. Foto: Kurt Pachl
Für die Pflege der Tradition ist eines besonders wichtig: die Weitergabe an jüngere Generationen. Die vielen jungen Gäste und das Jubiläum der SJD zeigen deutlich, dass die Siebenbürger Sachsen im Bereich der Jugendarbeit offensichtlich sehr, sehr gute Arbeit leisten.

Erst vor wenigen Wochen durfte ich eine siebenbürgisch-sächsische Jugendtanzgruppe aus Bayern in der Bundeshauptstadt begrüßen bei unserem Parlamentarischen Abend, den wir gemeinsam mit der rumänischen Botschaft in Berlin veranstaltet haben. Mit ihren Tanzvorführungen hat die Gruppe dem Parlamentarischen Abend in der rumänischen Botschaft in Berlin nicht nur einen würdigen Rahmen verliehen, sondern auch einen fröhlichen. Ein Blick in die Gesichter der Tänzerinnen und Tänzern genügte, um zu erkennen, mit welch großem Spaß und Elan sie bei der Sache sind. Eine Begeisterung, die wahrlich ansteckend ist!

Diese Begeisterung werden wir auch dieses Wochenende bei den vielen Darbietungen und Veranstaltungen erleben dürfen. Der Heimattag bietet etwas für jedes Interesse und für jeden Geschmack. Der 60. Heimattag der Siebenbürger Sachsen steht unter dem Motto „Flügel hier – Wurzeln dort. Brücken über Zeit und Raum“. Schon Johann Wolfgang von Goethe hatte zu diesem Thema Wichtiges zu sagen. Ich zitiere: „Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.“ Sehr geehrte Damen und Herren, wir alle benötigen starke Wurzeln, um in stürmischen Zeiten fest stehen zu können. Diese Erdung und diese Gewissheit, fest verankert zu sein, geben einem die Stärke und die notwendige Gelassenheit, die man zum Leben braucht. Wir brauchen aber auch Flügel, um nicht im Stillstand zu verharren. Um Neues zu finden und auszuprobieren.

Die bewegte Geschichte der Siebenbürger Sachsen zeigt, dass es viele stürmische Zeiten gab, die Sie trotz aller Probleme und Herausforderungen gemeinsam überwunden haben, weil Sie starke Wurzeln haben.

Der Heimattag ist der Beweis dafür, dass die Siebenbürger Sachsen beides haben: Wurzeln und Flügel. Ihre Traditionen sind in Ihrer Mitte fest verwurzelt, sie werden aber auch an die jüngeren Generationen weitergegeben. Die Bewahrung der Tradition ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit und schon gar kein Selbstläufer. Gerade in Anbetracht des ­demografischen Wandels muss man sich mit Herzblut und Hingabe darum kümmern, dass die althergebrachten Traditionen nicht in Vergessenheit geraten und langsam verblassen. [...] So wie Sie hier, so fungieren die Deutschen in Rumänien als verbindendes Glied zwischen Deutschland und Rumänien.

Die Bundesregierung unterstützt die deutsche Minderheit dabei konsequent auf kulturellem, wirtschaftlichem und bildungspolitischem Gebiet. Es gibt, und das muss ich Ihnen nicht ­erzählen, aber ich will es erwähnen, es gibt deutschsprachige Kindergärten, deutsche Schulen. An Universitäten sind mehr deutschsprachige Studiengänge fest etabliert. Die rumänische Medienlandschaft wird um deutsche Tageszeitungen bereichert – eine davon beziehe ich in meinem Berliner Büro, und das ist sehr interessant, weil man dann unmittelbar erfährt, was in Rumänien passiert.

Die deutsche Minderheit ist aber auch im politischen Bereich sehr aktiv. Das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien fungiert mit fünf Regionalforen und verschiedenen dezentralen Einrichtungen als starke Interessenvertretung. Wer hätte vor einigen Jahren damit gerechnet, dass das Forum bei verschiedenen Regionalwahlen derartige Erfolge einfahren würde? Und sogar im rumänischen Parlament ist die deutsche Minderheit mit einem Sitz vertreten, um die Interessen der Deutschen zu vertreten. Ich versuche mir immer vorzustellen, dass im Deutschen Bundestag die Minderheiten einen gesetzlichen Anspruch auf ihre parlamentarische Vertretung hätten! Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das jemals passiert.

Auf dem Gebiet der Minderheitenrechte hat Rumänien in der Vergangenheit viel Gutes getan und nimmt mittlerweile eine Vorreiterrolle ein. Das friedliche und freundschaftliche Miteinander ist zweifelsohne ein Aushängeschild in ganz Europa.

Ich habe vor zehn Jahren das Deutsch-Rumänische Forum gegründet und Sie werden sich fragen, warum es eines Deutsch-Rumänischen Forums überhaupt bedarf. Wir haben festgestellt, dass Rumänien in der breiten Meinung der Bevölkerung nicht den Stellenwert hat, den es eigentlich verdient. Wir haben uns gesagt, wir wollen im besten Sinne des Wortes Lobbyarbeit für Rumänien machen. Auch dies, glaube ich, ist eine Brückenfunktion und diese Lobbyarbeit wäre ohne die deutschen Landsmannschaften hier in Deutschland nicht zu schaffen. Dafür danke ich sehr herzlich.

Ich weiß, dass in diesem Raum viele sitzen, die Projekte in Rumänien betreiben: soziale Projekte, kulturelle Projekte, Austauschprojekte, Wirtschaftsprojekte. Peter Maffay ist ein bisschen das Aushängeschild eines sozialen Projektes, und das ist auch gut so. Ich bin dankbar, dass Peter auch hier auf die Heimattage kommt und dieses Projekt vorstellt. Ich weiß, dass es da viele, viele Schwierigkeiten gibt, auch noch in Zukunft. Aber diese Schwierigkeiten mit Fröhlichkeit und Elan zu überwinden, nicht aufzugeben und weiterzumachen in der Projektion, das ist unser aller Aufgabe und das ist, glaube ich, auch Ihre Aufgabe, die Sie wahrnehmen können.

Ich werde nächste Woche wieder nach Rumänien reisen und ich freue mich, heute hier mit Ihnen die so vielfältige siebenbürgisch-sächsische Tradition und Kultur erleben zu dürfen.

Es gibt einen Spruch, der heißt: Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Zukunft nicht leben. Leben Sie Ihr Brauchtum fröhlich, Ihre Vergangenheit fröhlich und gestalten Sie die Zukunft genauso gut und weiterhin so fröhlich wie eh und je. Vielen Dank!

Schlagwörter: Heimattag 2011, Rede, deutsch-rumänische Beziehungen, Tradition

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Neueste Kommentare

  • 22.06.2011, 12:01 Uhr von rolandsky: Frau Kastner kann sich lt. eigener Aussage nicht vorstellen, dass es jemals so weit kommen wird, ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

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