24. März 2022

Haus der Heimat Nürnberg: Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine

Seit dem 24. Februar herrscht Krieg in der Ukraine. Russlands Angriff auf das Nachbarland brachte Tod und Zerstörung, löste zudem die größte Fluchtbewegung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus. Mehr als drei Millionen Menschen haben zum Schutz vor den russischen Artilleriegeschossen und Bomben ihr Heimatland verlassen, in großer Mehrheit Frauen, Kinder und alte Menschen. Deutschland hat bis Mitte März offiziell über 160.000 Geflüchtete aus der Ukraine registriert. Der Bund der Vertriebenen engagiert sich in dieser Krisensituation für Deutsche aus der Ukraine (siehe Aufruf des Bundes der Vertriebenen: Aktion Nothilfe für Deutsche aus der Ukraine).
Als Mitarbeiterin des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland leistet die Migrationsberaterin Anke Karpenstein wertvolle Hilfestellung im Rahmen der Spätaussiedleraufnahme. Ihr Büro befindet sich im Haus der Heimat in Nürnberg. Dessen Geschäftsleiterin Doris Hutter, Stellvertretende Bundesvorsitzende unseres Verbandes, hat diverse Hilfsmaßnahmen für Geflüchtete aus der Ukraine initiiert. Im Gespräch mit Christian Schoger äußern sich Anke Karpenstein und Doris Hutter über ihre Arbeit und aktuellen Herausforderungen im Haus der Heimat Nürnberg.

Frau Karpenstein, seit 2019 arbeiten Sie als Migrationsberaterin unseres Verbandes im Haus der Heimat Nürnberg, wo Ihnen ein Büro gestellt wurde. Inwiefern beeinflusst der russische Angriffskrieg auf die Ukraine Ihre Tätigkeit?

Anke Karpenstein (A. K.): In meiner Tätigkeit als Migrationsberaterin berate ich Menschen, die voraussichtlich dauerhaft in Deutschland leben. Durch die Inkraftsetzung der Massenzustrom-Richtlinie am 3. März 2022, durch die für Geflüchtete aus der Ukraine eine unbürokratische Aufnahme und der vorübergehende Schutz bis zu drei Jahren in allen EU-Ländern gewährleistet wird, war schnell klar, dass dies auch in die Zuständigkeit der Migrationsberatungsstellen fällt.

Frau Hutter weihte mich schon einige Tage nach der russischen Invasion in ihre Überlegungen und Ideen ein, welche Angebote und Hilfsmaßnahmen im Haus der Heimat installiert werden könnten. Schnell wurden mit den Angestellten im Haus Ehrenamtliche aktiviert und ein umfassendes Hilfsangebot auf die Beine gestellt. Wir brachten uns in den nächsten Tagen täglich auf den aktuellen Stand – ich versorgte alle Helfenden mit den tagesaktuellen Informationen und verbreitete die Hilfsangebote in den Arbeitskreisen. Frau Hutter installierte die Hilfsangebote und verbreitete alle Informationen in ihren Arbeitskreisen.

Anke Karpenstein im neuen barrierefreien Büro des ...
Anke Karpenstein im neuen barrierefreien Büro des Hauses der Heimat. Foto: Annette Folkendt
Wie kann man sich diese Arbeit konkret vorstellen?

A. K.: Ich verschaffte mir in der Erstanlaufstelle und im Einwohneramt vor Ort ein Bild, um herauszufinden, was genau die Menschen vom Haus der Heimat und von der Migrationsberatung benötigen. Daraufhin erklärten sich die ehrenamtlich Engagierten aus den Reihen der Sprachschüler dazu bereit, die Flyer über die Hilfsangebote auf Ukrainisch zu übersetzen und vor Ort zu verteilen. Denn ich fand heraus, wie die Menschen versorgt werden: dass sie die Infos über Einwohneramt, Zirndorf und Sozialamt erhalten, was gut und wichtig ist. Nicht aber, wie es für sie nach den ersten „Erledigungen“ weitergehen kann. Im Haus der Heimat werden sie von Menschen begleitet, die schon lange in Deutschland leben und bei allem helfen können, finden aber auch einen Ort, an dem sie zur Ruhe kommen, reden können und auch Freizeitangebote für ihre Kinder finden.

Beeinträchtigen diese zusätzlichen Anforderungen Ihre bisherige Arbeit nicht?

A. K.: Natürlich kommen meine Bestandskunden weiterhin zu mir und auch Neukunden aus allen anderen Ländern. Deshalb ist es für mich eine große Bereicherung, dass in einigen Wochen zwei neue Personalstellen im Haus der Heimat geschaffen werden, die sich um Geflüchtete aus der Ukraine kümmern. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.

Doris, soweit ich weiß, arbeiten die Aussiedlerbetreuer im Haus der Heimat ehrenamtlich. Wie kommt es, dass ihr zwei Personalstellen einrichtet?

Doris Hutter (D. H.): Die Beratungsstelle des Freistaates Bayern für Geflüchtete aus der Ukraine im Haus der Heimat einzurichten entspringt dem Ministerratsbeschluss vom 2. März 2022, gemäß dem zwei Vollzeit-Personalstellen für ganz Bayern, zunächst befristet auf ein Jahr, geschaffen wurden, da eine sehr hohe Anzahl Geflüchteter erwartet wird. Dieses Pensum aufzufangen, auch noch in Ukrainisch, schaffen Ehrenamtliche allein nicht. Daher war für mich erste Priorität, einen Haushaltsplan aufzustellen als Grundlage für einen Bewilligungsbescheid, um schnellstmöglich die Ausschreibung auf den Weg zu bringen. Erfreulicherweise liegen erste Bewerbungen schon vor.

Welches sind die wichtigsten Anforderungen an die Bewerber?

D. H.: Zwecks Beratung der Geflüchteten sind sehr gute Ukrainisch- und auch Deutschkenntnisse, ebenso Onlineberatung ganz wichtig. Kenntnisse im Sozial- und Aufenthaltsrecht sind von Vorteil. Wenn diese nicht ausreichen, hoffen wir auf den Sachverstand unserer Migrationsberaterin Anke Karpenstein, die uns ganz selbstverständlich von Anfang an mit wichtigen Infos versorgt hat. Die Räume allerdings sind nun wieder voll ausgelastet, weil wir zwei zusätzliche Beraterbüros zur Verfügung stellen, wobei wir auch unsere Bibliothek umfunktioniert haben, Tanz- und Malkurse zusätzlich angeboten werden. Die angedachten Gesprächskreise mutieren wahrscheinlich zu Sprachkursen und müssen dann aufgerüstet werden.

Was brauchen die geflüchteten Menschen jetzt am vordringlichsten, Frau Karpenstein?

A. K.: Was die Menschen in erster Linie benötigen, sobald sie in Nürnberg ankommen, ist eine Unterkunft und die Sicherstellung der Grundversorgung. Soweit ich es verfolgen konnte, sind die Menschen, die unmittelbar nach der Invasion geflohen sind, dann nach Nürnberg gekommen, wenn sie Verwandte hier haben, von denen sie aufgenommen werden konnten. Dies hat sich inzwischen geändert und auch andere, ohne Bezug zu Nürnberg, kamen und kommen. Die Stadt Nürnberg hat seit dem 2. März eine Erstanlaufstelle für Geflüchtete eingerichtet. Von hier aus wird die Grundversorgung sichergestellt, zu der auch die Vermittlung von privaten Unterkünften gehörte. Viele Nürnberger Bürgerinnen und Bürger haben sich also bei der Stadt gemeldet, um sich ehrenamtlich zu engagieren, auch um private Unterkünfte zu Verfügung zu stellen. Da die Koordination der privaten Unterkünfte allerdings auf Dauer nicht von der Erstanlaufstelle geleistet werden konnte, wurde dies kurzfristig eingestellt. Die Stadt hat aber schnell eine Lösung gefunden und koordiniert das private Wohnen nun über ein Online-Portal.

Welchen Nutzwert bietet dieses Portal?

A. K.: Hier können Helfende exakt angeben, für wie viele Personen und für welchen Zeitraum sie welche Art von Unterkunft anbieten können. Somit wird dem anfänglichen Problem entgegengewirkt, dass Menschen privat unterkommen, bereits aber nach einigen Tagen schon wieder die Unterkunft verlassen müssen und doch in einer Gemeinschaftsunterkunft landen. Wer eine Unterkunft braucht, wird über das ANKER Zentrum in Bayern verteilt oder sucht sich über die Integreat APP eine private Unterkunft.

Funktioniert das organisatorische ­Zusammenspiel?

A. K.: Wie immer, wenn eine neue, gar eine Extremsituation eintritt, bei der zudem viele Institutionen und, wie in diesem Fall, auch noch viele ehrenamtlich Engagierte zusammenwirken, gibt es laufend Änderungen und viele Unklarheiten für alle Beteiligten. Eine neue Information kann am nächsten Tag schon wieder nicht mehr aktuell sein. So war es gerade in den ersten Wochen wichtig, mich täglich bei der Ausländerbehörde, der Erstaufnahmeeinrichtung vom BAMF, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dem Einwohneramt, dem Sozialamt und auch der Erstanlaufstelle zu informieren, welche Regelungen aktuell gelten.

Können Sie ein Beispiel aus der Praxis anführen?

A. K.: Alle, die bereits privat unterkommen, registrieren sich beim Einwohneramt Mitte. Dort wurde ein Schalter für Geflüchtete aus der Ukraine eingerichtet, bei dem man sich täglich, Montag bis Freitag, ohne Termin registrieren kann. Da Ausländerbehörde und Einwohneramt sich unter einem Dach befinden, muss die Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr vorerst nicht nochmal separat bei der Ausländerbehörde beantragt werden. Dies gilt nur, wenn man sich bei einem anderen Einwohneramt registriert. Dies ist aktuell nach wie vor aber nur mit Online-Terminvereinbarung möglich und man bekommt schwer einen Termin.

Sicher nicht ganz einfach, sich hier durchzuarbeiten. Sind auch andere Aspekte zu berücksichtigen?

A. K.: Es sind noch weitere Fragen offen, beispielsweise wie das BAMF die Umsetzung der Teilnahme an Integrationskursen von Ukrainern gestaltet. Fest steht bereits, dass sie zur Teilnahme berechtigt sind, aber wie und anderes mehr ist noch in Planung. Alle schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen dürfen sofort zur Schule gehen, müssen aber erst nach drei Monaten. Aktuell meldet man sich beim Schulamt in der Lina-Ammon-Straße 28 an und wird auf eine der etwa 15 Schulen verteilt, die eine Deutschklasse haben. Wird es spezielle Klassen geben, werden genug Lehrkräfte gefunden, die die Sprache sprechen?

Die medizinische Erstversorgung wird in der Erstanlaufstelle durch den medizinischen Dienst sichergestellt. Im Notfall kann man ins Krankenhaus. Sobald man Sozialleistungen beantragt hat, kann man einige Tage später über das Sozialamt versichert werden nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Das Durchlaufen all dieser Stellen und Institutionen verlangt den aus den Kriegsgebieten geflüchteten, teils traumatisierten Menschen gewiss einiges ab. Vielen Dank für diese informativen Einblicke in die im Haus der Heimat geleistete Arbeit.

Schlagwörter: Ukraine, Krieg, Flucht, Flüchtlinge, Haus der Heimat, Nürnberg, Karpenstein, Doris Hutter, Migration, Hilfe, Aussiedlung, Schoger

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