5. Oktober 2008

HOG Reußmarkt begeistert beim Münchner Oktoberfestzug

Den ganzen Sommer lang hat München sein 850-jähriges Stadtjubiläum mit Hunderten von Veranstaltungen gefeiert und nun stand das 175. Oktoberfest an. Mehr als 8 800 Mitwirkende aus Deutschland und ganz Europa zogen am 21. September d. J. von der Isar durch die Münchner Prachtstraßen der Innenstadt zur Oktoberfestwiese und präsentierten eine Vielfalt von Trachten, Brauchtum und Volkstanz. 68 Teilnehmer der Heimatortsgemeinschaft Reußmarkt e.V. vertraten die Siebenbürger Sachsen an diesem farbenprächtigen Trachtenzug. Dass sie schon zum vierten Mal in 15 Jahren dabei sein durften, zeugt von ihrer wertvollen Tracht mit mittelalterlichen Elementen, dem imposanten Erscheinungsbild der Gruppe und der zuverlässigen Vorbereitung des aufwändigen Auftrittes.
Die ersten Trachtenträger versammelten sich schon früh bei herbstlich kühlen 9°C in der Steinsdorfstraße. Gut getroffen hatten es die Teilnehmer in Wintertracht: Bunt bestickte und mit Lederapplikationen reich verzierte Lammfellwesten, -brustpelze, Kirchenpelze, Mäntel und Kürschen boten wohlige Wärme, wie sie auch unsere Vorfahren in Siebenbürgen an klirrend kalten Wintertagen und in ungeheizten Kirchen dringend brauchten.

Die nach und nach eintreffenden Mitwirkenden stellten sich zu einem Reußmarkter Hochzeitszug auf, dessen Brautpaar, Trauzeugen und Gäste die altsächsische Tracht nach Alter (jüngster Teilnehmer 3, ältester 65 Jahre alt) und Stand (Kinder, Mädchen, Burschen, Brautpaar, junge Verheiratete und Alte) trugen. Erfreulich viele Jungendliche waren bei dieser „Hochzeitsgesellschaft“ vertreten, manche sogar das erste Mal in Reußmarkter Tracht und verständlicherweise etwas angespannt. Das Lampenfieber sollte sich aber dank des Applauses und der Bewunderung seitens der zahlreichen Zuschauer bald lösen und Platz machen für Stolz, Freude und Begeisterung.
Auf den Stufen der Lukaskirche in München bot ...
Auf den Stufen der Lukaskirche in München bot sich die Gelegenheit eines Gemeinschaftsbildes nach dem Vorbild früherer Reußmarkter Hochzeitsbilder: Das Brautpaar wird von den zahlreichen Gästen in Tracht umrahmt. Foto: Paul Schuster
Zunächst wurde aber nach herzlicher Begrüßung – die Teilnehmer kamen aus dem gesamten süddeutschen Raum –noch schnell gegenseitig geprüft, ob alle Trachtenteile richtig sitzen und ob die Hemdsärmel bauschig genug und alle Schleifen schön gebunden sind. Erstaunlich vielfältig sind die an den schwarzsamtenen Borten der Mädchen hinten festgesteckten Bänder: Gold- bzw. Silberbänder, mit Girlanden und Sträußchen bestickte schwarze Samtbänder und traditionelle Seidenbänder (u. a. die beliebten „Partirfronsen“), die noch unter dem ornamentreichen Spangengürtel zurecht gezogen werden mussten. Die mit Blumenranken und Sträußchen in Handarbeit reich verzierten sommerlichen Samtleibchen waren wunderschön anzusehen, wärmten aber kaum die Trägerinnen an diesem kühlen Herbstmorgen. Die Mädchen und alle Frauen hatten für diesen besonderen Anlass die festlichste Version der Schürzen aus weißem Baumwollchiffon gewählt, die in fleißiger Handarbeit schwarz oder gelb bestickt sind, wobei jede Schürze gut lesbar den Namen der ersten Trägerin und das Jahr der Anfertigung zeigt.

Aus der Gruppe der jugendlichen Trachtenträger hob sich das stattliche Brautpaar hervor, das am Hochzeitstag die gängige Jugendlichen-Tracht, jedoch mit besonderen Details trägt, die auf den Status „Brautpaar“ hinweisen: die Braut trägt an diesem Ehrentag – abgesehen vom wunderschön gebundenen kleinen Biedermeiersträußchen – alle Schleifen, Bänder und das Seidentuch in der Farbe Rot. Der Hochzeitstag ist der letzte Tag, an dem die Braut noch ihren Borten trägt – bis Mitternacht.
Besondere Details, die am Hochzeitstag getragen ...
Besondere Details, die am Hochzeitstag getragen werden, weisen bei dem Brautpaar (Geschwister Heike und Ralph) auf seinen Status hin: Die Braut trägt zusätzlich zum Sträußchen alle Schleifen, Bänder und das Seidentuch in der Farbe Rot. Auf dem Hut des Bräutigams steckt das Geschenk seiner Braut: ein flaches Sträußchen aus bunten Blüten und dekorativen Blättern (Brejemgepäschken). Foto: Paul Schuster
Auch der Bräutigam wird geschmückt: vorne auf seinem Hut steckt gut sichtbar ein flaches Sträußchen aus bunten Blüten und dekorativen Blättern, ein Geschenk der Braut für diesen festlichen Tag, das die Blicke aller auf das Paar lenkt. Auf dem Hochzeitszug wird das Brautpaar von Trauzeugen flankiert, in der Regel zwei jung verheiratete Ehepaare aus dem Verwandten- bzw. Freundeskreis.

Die ansehnlichen Burschen, die dem Brautpaar und den beiden Reihen der reizenden Mädchen folgten, trugen schwarze Tuchhosen und wadenhohe schwarze Stiefel. Das über der Hose getragene altsächsische Hemd wird in der Taille durch einen spannenbreiten Ledergürtel mit Lederbändchenstickerei zusammengehalten und ist hinten in kleine Fältchen gelegt. Mütter und Freundinnen waren bis zum Losgehen schwer damit beschäftigt, diese Fältchen ästhetisch und ebenmäßig in Ordnung zu halten. Über dem Hemd trugen sowohl die Burschen als auch die jungen Männer schwarze oder weiße, mit reicher Lederapplikation und Zierstickerei versehene Westen. Schwarze, breitkrempige Trachtenhüte, mit buntem Hutband bei den Burschen und schwarzem Samtband bei den Männern, rundeten die würdige Männertracht ab.

Zum Kopfschmuck der jungen verheirateten Frauen, der schönsten Zierde an der Frauenkleidung, gehört die Bockelung. Das Haar wird vollständig von Hauben und bunten Bändern verdeckt, über die zum Schluss ein Schleiertuch aus Tüll oder Spitze gelegt wird, das am Rande mit gezahnter Spitze über dem Haaransatz abschließt. Dieses Tuch wird am Hinterkopf von alten, kunstvoll mit Perlen und bunten Steinen geschmiedeten Bockelnadeln zusammengehalten und hängt bei der Reußmarkterin vorne in einem Bogen durch, so dass der Hals und die gestickten Vorderteile des Trachtenhemdes gut sichtbar bleiben. Eine geübte Bocklerin braucht fast eine Stunde Zeit, um eine Frau – für diesen einen Anlass – zu bockeln. Dieser Fertigkeit musste von einigen Frauen zum Teil neu erlernt und an die heutigen Bedürfnisse (des häufigeren Tragens) angepasst werden.

Die Braut, die Trauzeuginnen und einige gebockelte Frauen trugen zu diesem festlichen Anlass ein winterliches Trachtenstück, das zu den teuersten Trachtenteilen gehört: den Kürschen. Dieses ärmellose, radförmig geschnittene Kleidungsstück aus weißem Lammfell ist mit edlem, dunklem Pelz (Eichhörnchen, Fischotter, Nerz) verbrämt und hat oben einen breiten, aufrecht stehenden Brettchenkragen. Der Kragen ist vorne mit rotem Samt überzogen, mit Goldborten umsäumt und hinten mit Hermelin umspannt. Von diesem mittlerweile seltenen Kleidungsstück erhielt auch das Gewerbe „Kürschner“ seinen Namen.

Sechs Frauen verzichteten auf die volle Kirchentracht und zeigten den Zuschauern die festliche Freizeittracht. Sie trugen zur sonst unveränderten Frauentracht als Kopfbedeckung genetzte Hauben, die mit weißer bzw. weiß/gelber Füllstickerei verziert sind und von einer festlichen „Houwenfrons“ aus dunkelfarbigem Samt zusammengehalten werden, die teilweise mit gold- oder silberfarbigen Fransen abschließt.

Drei stolze Frauen hatten das Kirchentuch aus Organdy oder Baumwollchiffon mit weißer Zierstickerei als Rahmen und Sträußen an den Ecken sorgfältig umgebunden, auf dem auch die Initialen der ersten Trägerin und das Jahr der Anfertigung zu lesen waren. Besonders auffällig war das dezent-gelb gestickte Kirchentuch, auf dem das Herstellungsjahr 1900 zu lesen war, das noch in tadellosem Zustand ist.

Die beiden jüngsten Teilnehmer Leon und Florian hatten es warm und bequem, da sie den zwei Stunden dauernden Umzugsweg nicht zu Fuß laufen mussten, sondern in einer warmen Decke eingehüllt, in dem sehr dekorativ mit Stickereien und Blumengirlanden geschmückten Leiterwagen sitzen durften. Den würdigen Abschluss unserer Trachtengruppe bildete die Reihe der älteren Männer mit ihren schönen Kirchenmänteln aus weißem Lammfell, die, ähnlich den kürzeren Kirchenpelzen der Frauen, mit Lederapplikationen und bunter Stickerei verziert sind.

Als sich die Trachtengruppe dann in Bewegung setzte, wurde sie von den Tausenden Zuschauern, die die Straßen säumten, sehr herzlich begrüßt. Viele erkannten den Wert der aufwändig hergestellten Trachten und drückten ihre Anerkennung mit Näh-Gesten sowie mit Kommentaren wie „Wahnsinn“, „so viel Handarbeit“, „wie alt die Jahreszahl auf der Schürze, auf dem Tuch ist“, „so alte Trachtenteile und noch so intakt“, „schön“, „hübsch“ aus. Zurufe wie “wollen wir nicht tauschen?“ an die Pelztragenden gerichtet, waren nicht selten zu hören.
Begleitet von Blasmusik fiel das beschwingte ...
Begleitet von Blasmusik fiel das beschwingte Gehen der Trachtenträger beim Einzug auf die Festwiese (Wies’n) etwas leichter und ließ – so nahe am Ziel – die Müdigkeit vergessen. Foto: Paul Schuster
Petrus hat es dann schließlich doch noch gut gemeint. Auf dem Weg hin zur Theresienwiese stellte sich ein klarer bayerischer Himmel ein und die Sonne strahlte mit dem vielen Weiß unserer Trachten um die Wette und verstärkte damit den freundlichen Gesamteindruck der Gruppe. Trotzdem war für jene, die unter der Tracht nicht vorsorglich etwas Warmes angezogen hatten, zeitweise Bibbern angesagt.

Gemeinsam am Trachten- und Schützenzug teilzunehmen, heißt Freude an der siebenbürgischen Tracht zu haben, sie mit Stolz zu tragen, aber auch anderen Menschen eine Freude zu bereiten, in die lachenden Augen der Zuschauer zu blicken, ihnen freundlich zuzuwinken sowie bei jeder sich bietenden Möglichkeit Auskunft über Herkunft und Details zur Tracht zu geben.

Die gute Stimmung, das fröhliche Miteinander nach dem Festzug im Festzelt der Ochsenbraterei und die Gespräche mit netten Menschen gaben uns schließlich das Gefühl, gemeinsam wieder etwas Schönes erlebt zu haben. Besonders zu erwähnen ist, dass zu diesem Anlass bis auf einige altsächsische Männerhemden, keine neuen Trachtenstücke angefertigt werden mussten, was auf intensive Trachtenpflege bei den Reußmarktern hindeutet. Ein herzlicher Dank sei allen (nicht nur) Reußmarkter Trachtenbesitzern ausgesprochen, die ihre alten und seltenen Trachtenteile so vertrauensvoll den Trägern für diesen besonderen Anlass ausgeliehen haben.

Auf diesem Wege wärmsten Dank allen Mitwirkenden in und ohne Tracht, den Beratern und den Organisatoren. Ihr Einsatz machte diesen Tag für uns alle zu einem besonderen, erinnerungswürdigen Erlebnis.

Vielen liegt die Pflege und Erhaltung der Reußmarkter Tracht in ihrer ursprünglichen, unverfälschten Form, aber auch der siebenbürgischen Tradition und des Brauchtums besonders am Herzen. Bei weiterer regelmäßiger Teilnahme an diesem Festumzug, der strengste Maßstäbe an die Trachtenträger setzt, sind wir zuversichtlich, dass auch die junge Generation für Kontinuität und zukünftiges Traditionsbewusstsein sorgen wird.

Erika Spielhaupter

Online-Bildergalerie: HOG Reußmarkt beim Münchner Oktoberfestumzug 2008

Schlagwörter: Oktoberfest, Trachten, Brauchtumspflege, Öffentlichkeitsarbeit, HOG

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