26. Dezember 2011

Weihnacht

Es war vor einem ganzen Leben. Die Weihnacht 1928 in der alten Heimat, wo wir in der wundervollen siebenbürgischen Bergstadt Kronstadt gewohnt haben. Wir saßen am Heiligen Abend in unserer Küche im ersten Stock des Hauses in der kleinen Schlossergasse. Von der nahen Burggasse haben Violinklänge herübergeklungen. Der Schulfreund „Putzi“ Dietrich hatte schon einige Jahre Violin-Unterricht. Er ist ein bedeutender Violinist geworden, auch „Primus Musicus“ der Berliner Philharmoniker. Dietrich war Partner aller großen Dirigenten, besonders mit Karajan.
Wir waren alle vier am Nachmittag in der „Schwarzen Kirche“, dem größten gotischen Dom im Südosten Euro­pas. In der Kirche ist auch wieder die wundervolle Alt-Stimme von Medi Fabritius erklungen. Medi, später mit dem Musikdirektor Bickerich verheiratet, liegt seit ihrem Tod auf dem Friedhof in Lechbruck.
Weihnachten. Scherenschnitt von Gerhild Wächter ...
Weihnachten. Scherenschnitt von Gerhild Wächter (2011).
Nach dem Gottesdienst ist Tata etwas vorgegangen, wir alle vier waren schließlich in der schön gemütlich-warmen Küche. Wie immer am Heiligen Abend hat es Bratkartoffeln und Würstchen zur Mahlzeit gegeben. Irgendwann ist Tata aufgestanden und leise in das Wohnzimmer gegangen. Er hat wohl die Kerzen am Christbaum angezündet. Dann hat durch einen Türspalt ein Glöcklein leise gebimmelt. Mama und wir Buben durften nun in das Wohnzimmer gehen. Da hat er gestanden, unser Christbaum, im flackernden Kerzenlicht. Mir aber ist der Atem vergangen, ich konnte es kaum glauben. Da haben sie neben dem Baum gestanden. Sie waren schwarz glänzend lackiert, etwas größer als ich, mit einer Riemenbindung und auch mit Metallbakken: meine so heiß herbeigesehnten allerersten Ski! Artig habe ich mich bei Mama und Tata bedankt für die Geschenke. Da war noch eine warme Weste, eine Schüssel mit Äpfeln und Birnen, ein neues Schreibheft. Auch Bruder Zozo, der jüngere, hatte seine Gabenecke.

Die Familie hat sich wieder in der warmen Küche versammelt. Mama und Tata haben an einem warmen Getränk genippt. Dann hat Mama mit ihrer wundervollen Stimme das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ angestimmt. Tata und wir Buben haben alle Strophen mitgesungen. „Oh, du fröhliche, oh, du selige“ ist gefolgt. Allmählich war der Abend am Ende. Einen heimlichen Plan allerdings habe ich noch gehabt. Ich habe mich irgendwie in das Wohnzimmer geschlichen. Meine Ski hatten mich nicht losgelassen, ich habe sie einfach probieren müssen. Es ist wohl ein günstiger Augenblick gewesen. Ich legte die Ski auf den blanken Parkettboden, bin mit meinen Hausschuhen an den Füßen in die beiden Bindungen gestiegen, die Stöcke in den Händen, bin ich einige Zentimeter vorgerutscht. Plötzlich ist das Licht angegangen und Mama hat gerufen: „Mein schönes Parkett!“

Das waren meine allerersten Ski-Bewegungen vor einem darauffolgenden ereignisreichen Leben mit dem Brauchgerät „Ski“.

Bruno Moravetz

Schlagwörter: Weihnachten

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